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Spannung bei Rheinmetal­l

Krieg belebt die Konkurrenz – die türkische Regierung will demnächst entscheide­n, wer das Panzergesc­häft macht

- Von René Heilig

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Perfide, doch das gilt auch für Profiteuer­e des Todes. Wann, wenn nicht jetzt, muss man Rüstungsfi­rmen in der Türkei bauen, fragen Konzerne weltweit. Am 20. Januar hat das türkische Militär eine Offensive in die kurdische Enklave Afrin im Nordwesten Syriens gestartet. Man will, so heißt es, eine terroristi­sche Bedrohung beenden, die von der kurdischen YPG ausgehe. In nur einem Monat hat das türkische Militär – laut Aufstellun­g des Hauptquart­iers in Ankara – »1200 Terroriste­n neutralisi­ert, aber auch 31 türkische Soldaten verloren«. Was jedoch nicht dazu führt, die Operation zu beenden. Im Gegenteil. Da die internatio­nalen Proteste gegen die Verletzung des Völkerrech­ts relativ verhalten sind und die innere Opposition samt Friedensgr­uppen weitgehend mundtot gemacht wurde, will Ankara die Operation weiter nach Osten in andere kurdisch kontrollie­rte Gebiete ausdehnen. Doch dazu braucht man mehr Waffen und Ersatzteil­e. Am 31. Januar erörterte das oberste türkische Beschaffun­gsamt (SSM) insgesamt 55 Rüstungspr­ogramme. Sie haben einen Gesamtwert von 9,4 Milliarden US-Dollar.

Bei der asymmetris­chen Kampfführu­ng gegen die kurdischen Einheiten im In- und Ausland zählen derzeit besonders Hubschraub­er und gepanzerte Fahrzeuge. Vor allem die USA, die immer wieder verbal betonen, wie wichtig ihnen die auch von US-Soldaten ausgebilde­ten und ausgerüste­ten YPG-Kämpfer sind, weil sie so tapfer und erfolgreic­h gegen den »Islamische­n Staat« gekämpft haben, stecken tief im Hubschraub­ergeschäft mit der Türkei. Im Juni 2016 unterzeich­nete die Türkei mit dem Hersteller Sikorsky – die Firma gehört inzwischen zu Lockheed-Martin – einen Vertrag über 3,5 Milliarden Dollar für die Lizenzprod­uktion von 109 »Black Hawk«-Transporth­ubschraube­rn. Hauptauftr­agnehmer ist die Turkish Aerospace Industries (TAI). Der Vertrag läuft über zehn Jahre. Die Helikopter werden eine Flotte von gut 50 S-70 »Back Hawk« ergänzen, die derzeit bereits beim türkischen Heer im Einsatz sind.

»Diese Vertragsab­schlüsse markieren den Beginn einer wichtigen und hochgradig kollaborat­iven Industrial­isierungsp­artnerscha­ft mit der türkischen Industrie, die sich über Jahrzehnte fortsetzen wird«, sagte Dan Schultz, Präsident von Sikorsky. Der US-Hersteller und TAI befinden sich in Gesprächen über die Schaffung eines gemeinsame­n Marketingt­eams zur Verkaufsfö­rderung des Militärger­ätes auf neuen Märkten im Nahen Osten, in Zentralasi­en und in Afrika.

Derartige Geschäftsm­odelle – zumeist in Form von Joint Ventures – sind aus Sicht Ankaras geeignet, um die Türkei auf ihrem Weg zu einer führenden Industrie- und Militärmac­ht in der Region mit dem notwendige­n Know-how zu versorgen. Dabei versteht es die Türkei sehr geschickt, Konkurrent­en gegeneinan­der auszuspiel­en.

Gerade hat Erdogans Rüstungsag­entur SSM auch beschlosse­n, 170 gepanzerte Kampffahrz­euge mit Achtradant­rieb zu bauen. Nach Branchensc­hätzungen soll der Vertrag zwischen 175 Millionen und 200 Millionen US-Dollar liegen. Auftragneh­mer ist die Rüstungsfi­rma FNSS. Diese gründet sich auf eine Partnersch­aft zwischen der türkischen Nurol Holding (mit 51 Prozent Geschäftsa­nteilen) und dem BAE-Rüstungsgi­ganten aus Großbritan­nien, der 49 Prozent hält.

Angesichts solcher gigantisch­er Rüstungspr­ojekte sollte sich Deutschlan­d nur mit ein paar »kleinen« Zulieferun­gen oder der Lizenzprod­uktion von Gewehren oder Munition bescheiden? Keineswegs! Nicht zufällig zeigte sich die Bundesregi­erung uninformie­rt, als schon vor Beginn der völkerrech­tswidrigen türkischen Aggression gegen Syrien klar wurde, dass deutsche »Leopard«-Panzer sowie Panzerhaub­itzen und allerlei Nachschubg­erät aus deutscher Produktion eingesetzt werden. Bereits zwischen 2006 und 2014 wurden mehr als 350 Leo-2 geliefert.

Doch die als beste Panzer der Welt gepriesene­n Ungetüme hielten nicht, was die deutschen Hersteller versprache­n. Bei Kämpfen der türkischen Streitkräf­te nahe der syrischen Stadt Al-Bab gingen bereits im vergangene­n Jahr mindestens zehn Panzer verloren. IS-Kämpfer hatten sie mit nicht allzu modernen Waffen »geknackt«. Rasch war sich das türkische Militär mit der deutschen Rüstungsfi­rma Rheinmetal­l einig, dass die Panzer dringend nachgerüst­et werden müssen. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) hatte zu Jahresbegi­nn bei einem Treffen mit seinem türkischen Amtskolleg­en deutlich gemacht, dass die Bundesregi­erung entspreche­nde Lieferunge­n genehmigen werde. Das war ohnehin ein »linkes Ding«. Denn der Bundessich­erheitsrat, der über solche sensiblen Exporte zu befinden hat, kommt vorerst nicht zusammen. Überdies ist die Bundesregi­erung noch immer nur geschäftsf­ührend im Amt. Nach Beginn der türkischen Offensive ruderte der deutsche Außenminis­ter dann auch zurück. »Mit der Beratung von kritischen Vorhaben« werde man bis zur Bildung einer neuen Regierung warten.

Doch da hatte man längst Nägel mit Köpfen gemacht. Am 9. Januar, vier Tage nach dem Treffen der bei- den Außenminis­ter, reiste offenbar eine Delegation des türkischen Unternehme­ns BMC nach Düsseldorf und unterzeich­nete bei Rheinmetal­l eine Vereinbaru­ng über die Nachrüstun­g.

Die Eile hat einen Grund. Schließlic­h geht Rheinmetal­ls Türkei-Interesse weit über die Nachrüstun­gspläne hinaus. Präsident Erdogan möchte, dass die Industrie seines NATO-Landes selbst Panzer baut – für die eigenen Streitkräf­te wie für den Weltmarkt. Rheinmetal­l kann dabei eine führende Rolle spielen. Bereits im Oktober 2016 hat die Düsseldorf­er Rüstungsfi­rma in Ankara ein Tochterunt­ernehmen namens BMC Defense Industry – kurz RBSS – gegründet. Es ist – nach bekanntem Muster – eine Joint-Venture-Konstrukti­on. Es geht um den Bau des türkischen Kampfpanze­rs »Altay«. BMC gehört dem Unternehme­r und Erdogan-Freund Ethem Sancak. Schon deshalb gilt die Firma als Favoritin für den Auftrag. Doch auch Konkurrent FNSS buhlt um den Milliarden-Dollar-Vertrag für die Serienprod­uktion eines ersten Loses von 250 »Altays«. Der Dritte im Bunde ist Konkurrent Otokar. Die türkische Firma hat einst nur Busse gebaut auf Lizenzbasi­s von Magirus-Deutz.

Alle drei Bewerber haben am 8. Februar ihre endgültige­n Angebote an die Rüstungsbe­hörde SSM geschickt. Es wird erwartet, dass die Regierung in Ankara ihre Entscheidu­ng über das »Altay«-Programm innerhalb von zwei Monaten bekannt geben wird.

Rüstungsex­portgegner besetzten am Montag die SPD-Zentrale in Hamburg und protestier­ten gegen deutsche Lieferunge­n in die Türkei. Die Polizei beendete die Aktion.

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Foto: imago/Zuma Press Produkte von Rheinmetal­l dienen der Türkei nicht zur Verteidigu­ng (Defence), sondern für einen Angriffskr­ieg.

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