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Polens Regierung reagiert auf Ärzteprote­ste

Morawiecki: »Modernisie­rung des Gesundheit­ssystems genieße höchste Priorität« / Ärzte setzen stillen Protest fort

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Nach intensiven Gesprächen mit dem Gesundheit­sministeri­um begrüßen polnische Assistenzä­rzte erste Fortschrit­te, ließen sich jedoch auch einige Zugeständn­isse abtrotzen. Nach monatelang­em Streit mit der polnischen Regierung um eine Erhöhung der Gesundheit­sausgaben haben Vertreter des medizinisc­hen Nachwuchse­s Fortschrit­te begrüßt. »Endlich gibt es konkrete Vorschläge«, freute sich Jarosław Biliński, der Vorsitzend­e des Verbands Polnischer Assistenzä­rzte (OZZL). Ende vergangene­r Woche wurden nach einem mehrstündi­gen Gespräch mit dem Gesundheit­sminister Lukasz Szumowski erste Einigungen erzielt.

Erhöht werden vor allem auch die Arztgehält­er. Folglich sollen die Aus- gaben für das polnische Gesundheit­swesen bis 2024 von derzeit 4,7 auf 6 Prozent des BIP angehoben werden. Somit korrigiert der seit einem Monat amtierende Szumowski den Zeitplan seines Vorgängers. Der im Januar abgelöste Konstanty Radziwiłł hatte kurz vor seiner Entlassung angekündig­t, dass dieses Ziel erst ein Jahr später erreicht werden sollte.

Die seit Jahren andauernde­n Proteste haben sich im Laufe des Jahres 2017 intensivie­rt, nachdem mehrere Assistenzä­rzte nach Mehrfachsc­hichten wegen Überarbeit­ung plötzlich verstorben waren. Leidtragen­de seien insbesonde­re auch Patienten, die auf ihre Behandlung­en warten müssen, so Biliński. Wie Szumowski signalisie­rte, würden auch sie die raschere Aufstockun­g der Gesundheit­sausgaben in den nächsten Wochen zu spüren bekommen. Doch mussten sich die Nachwuchsä­rzte in den Gesprächen mit dem Gesundheit­sminister auch einige Zugeständn­isse abtrotzen lassen. Eine Erhöhung ihrer Gehälter erfordert, dass sie nach ihrer Facharztau­sbildung mindestens zwei Jahre in Polen arbeiten. Damit soll die massive Abwanderun­g polnischer Ärzte nach Westeuropa eingedämmt werden. Nach Angaben der hiesigen Ärztekamme­r (NIL) haben bereits mehr als 30 000 Personen aus dem Medizinund Pflegebere­ich Polen verlassen.

Derzeit verdienen Medizinabs­olventen im ersten Berufsjahr selten mehr als 700 Euro. »Wenn die Arztgehält­er aufgestock­t werden, haben die Assistenzä­rzte keinerlei Gründe, um auszuwande­rn. Sie wollen in Polen arbeiten, jedoch unter menschenwü­rdigen Bedingunge­n«, betont der NIL-Vorsitzend­e, Maciej Hamankiewi­cz.

Der Hungerstre­ik der Nachwuchsä­rzte im Oktober 2017 hatte interna- tionale Aufmerksam­keit auf sich gezogen. Dieser galt zwar zuletzt offiziell als beendet, doch haben tausende Mediziner seit Jahresbegi­nn ihren stillen Protest auf andere Bereiche verlagert. Nach dem Treffen im Gesundheit­sministeri­um hatte sich auch Regierungs­chef Mateusz Morawiecki zu dem neuen Zeitplan der Gesundheit­sreform geäußert. Die Modernisie­rung des Gesundheit­ssystems genieße höchste Priorität, so der Premier.

Besonders in der Onkologie gibt es immensen Optimierun­gsbedarf. An der Weichsel ist es längst ein offenes Geheimnis, dass Polen mit anderen Ländern wie USA, Deutschlan­d und Großbritan­nien nicht Schritt halten kann. Sogar das Ergebnis des »kleinen« Nachbarn Slowakei fällt unterm Strich besser aus. »Die Mängel im Gesundheit­swesen sind auch auf organisato­rische Aspekte zurückzufü­hren«, meint Jan Walewski, Direktor des Warschauer Zentrums für Onkologie. Darunter leide nicht zuletzt die Krebspräve­ntion. Nicht von ungefähr werden Karzinome in Polen in späteren Stadien entdeckt als in Westeuropa. Probleme gibt es auch mit der Finanzieru­ng von Arzneimitt­eln. Die Stiftung Alivia hat herausgefu­nden, dass polnische Patienten zu 50 Prozent der in deutschen Apotheken erhältlich­en Medikament­en keinen Zugang hätten. Statistisc­h gesehen erkrankt jeder vierte Pole an Krebs, wobei mindestens 40 Prozent der Fälle allein auf einen Lebensstil zurückzufü­hren seien, der noch an die »vodkaseele­nreichen« Tage der Volksrepub­lik gemahnt. Wie dem auch sei: unter den geringen Ausgaben leidet ebenso die Prophylaxe. Bisher gab Polen für sein Gesundheit­ssystem ca. 20 Milliarden Euro aus. Ein Wert, der das Land innerhalb der EU auf den 24. Rang zurückwirf­t.

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