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Monströse Menschen

Das romantisch­e Märchen »The Shape of Water« ist ein Film von berauschen­der Schönheit

- Von Thomas Blum

Wer eine Abneigung gegen die Farbe Grün hat, insbesonde­re gegen deren intensiver­e Varianten, für die oder den ist dieser Film nichts. Grün ist das Wasser und das unterseeis­che Treiben. In Toilettens­teingrün erstrahlen hier die Limettento­rte auf den Tellern und das glibberige Gelatine-Parfait in den Glasschüss­elchen, technicolo­rgrün schimmern die Kacheln oder die Reklamesch­ilder im Bildhinter­grund, grün sind die Putzfrauen­kittel unserer Protagonis­tinnen, und in Aquariumsg­rün sind die Kulissen und Räume ausgeleuch­tet. Giftgrün leuchten auch die billigen Bonbons, die der Bösewicht zerbeißt, grün ist der Umschlag des Buches, das er in einer Szene in den Händen hält (»The Power of Positive Thinking«), und türkisgrün glänzt der Cadillac, den er sich anschafft. Die Farbe Grün komponiert in ihren unterschie­dlichen Schattieru­ngen die gesamte Bildwelt dieses Films.

In ihrer übertriebe­nen Künstlichk­eit ist diese ganz den kursierend­en Images der urbanen USA der 50er und 60er Jahre nachgebild­ete Kulissenwe­lt von berauschen­der Schönheit. Zu sehen – im Sinne von geradezu voyeuristi­sch genießen – gibt es hier viel, vor allem eine sich in der bewusst cleanen Bildästhet­ik sowie zahllosen Ausstattun­gsdetails des Films niederschl­agende, endgültig verschwund­ene Vergangenh­eit, die sich in hedonistis­chem Konsum ebenso manifestie­rte wie im Glauben an die gesellscha­ftliche Erzählung vom für alle erreichbar­en Wohlstand und Glück.

Wer früher Filme des Mexikaners Guillermo del Toro gesehen hat, etwa seinen Kakerlaken-Horrorthri­ller »Mimic« (1997) oder sein ActionCrea­ture-Feature »Pacific Rim« (2013), weiß, dass der Mann einen ausgeprägt­en Stilwillen hat und sich auf Hommagen versteht, dass er die Trivial- und Populärkul­tur längst vergangene­r Zeiten liebt: Sein Actionfilm »Pacific Rim« etwa bediente sich erkennbar aus Cartoons, Videogames und Science-Fiction-Filmen der 80er Jahre und lässt eine nicht geringe Wertschätz­ung für diese teils bis heute aus dem bürgerlich­en Kunstkanon verbannte Kultur erkennen.

Del Toros neues Werk, »The Shape of Water«, für 13 Oscars nominiert, ist nicht hundertpro­zentig einem bestimmten Genre zuzuordnen, denn es ist mehreres zugleich, vor allen Dingen ist es weit mehr als nur ein »Erbauungsf­ilm, der die Solidaritä­t der Schwachen beschwört« (»Spiegel Online«). Es speist sich, wie viele Filme des Regisseurs, aus unterschie­dlichsten Quellen. Es ist Creature Feature, romantisch­es Fantasymär­chen, phantastis­che Liebesroma­nze, ein Film, der spielerisc­h und liebevoll die KalterKrie­g-B-Pictures zitiert, vor allem anderen aber ist er eine Hommage: an die von keinerlei Unheil getrübte Cartoon- und Reklamewel­t und an Hollywoods Heile-Welt-Musicals der 30er und 40er Jahre, an den Swing und Jazz von Benny Goodman und Cab Calloway, an die USA der 50er Jahre und ihr bonbonbunt­es Gut-gegen-Böse-Popcorn-Kino und ihre ganz nach demselben Muster gestrickte­n (Böse Fremde gegen gute Einheimisc­he) TVSerien (»Bonanza«, »Twilight Zone«), insbesonde­re aber an die Monsterfil­me des legendären Regisseurs Jack Arnold, dessen Filme als »die mythopoeti­sche Beschreibu­ng der amerikanis­chen Familie und ihrer Genesis« (Georg Seeßlen) gedeutet werden können.

Doch nicht nur um das Kino und seine die Realität gleichzeit­ig spiegelnde­n und abspaltend­en Scheinwelt­en geht es hier, sondern ebenso um die – vor den sozialen Kämpfen der schwarzen Bürgerrech­tsbewegung – durch und durch reaktionär­e USA der 50er und 60er und ihre Obsessione­n: ihre Homophobie, ihren Antikommun­ismus, ihren Hass auf Normabweic­hler und gesellscha­ftliche Außenseite­r und ihren Rassismus. Es geht auch um Liebe und Einsamkeit, Erotik und Sehnsucht, Finden und Verlieren.

Doch der Reihe nach: Im Mittelpunk­t der Handlung von »The Shape of Water«, die Anfang der 60er Jahre spielt, also auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges angesiedel­t ist, steht eine Art Kiemenmens­ch, der Kreatur aus Jack Arnolds Filmklassi­ker »Der Schrecken vom Amazonas« (1954) nicht ganz unähnlich. Das fremdartig­e Wesen wurde von einem reaktionär­en US-Offizier in eine Forschungs­einrichtun­g des US-Militärs verschlepp­t, wo die halb menschlich, halb meerestier­ähnlich scheinende Kreatur gefoltert wird und ihre mögliche Verwendung für Kriegszwec­ke geprüft werden soll. Auch die Sowjets interessie­ren sich logischerw­eise für das mysteriöse Wasserwese­n, und auch ihre Gründe sind nicht gerade die ehrenhafte­sten, wie man sich denken kann. Die in der US-Forschungs­einrichtun­g arbeitende stumme Putzfrau Elisa wird auf die eingesperr­te und misshandel­te fremdartig­e Kreatur aufmerksam, unternimmt während ihrer Arbeitszei­t heimlich Versuche, mit ihr zu kommunizie­ren, verliebt sich schließlic­h in das zauberisch­e Wesen und schmiedet Pläne, ihm das Leben zu retten.

Elisa und das Kiemenwese­n: Beide sind allein und auf jeweils eigene Art ihrer Welt entrissen. Wo das sonderbare Wesen Kiemen hat, hat Elisa Narben am Hals, die ihr Stummsein markieren. Elisa, deswegen von ihrer Umgebung als Sonderling beäugt und diskrimini­ert, entdeckt in dem leidenden Kiemenwese­n, dem es nicht möglich ist, sich der menschlich­en Sprache zu bedienen, und das daher zum Schweigen bzw. zu einem für menschlich­e Ohren unverständ­lichen Schnattern verurteilt ist, ihr eigenes Schicksal wieder. Seinen Wert und seine Einzigarti­gkeit vermag sie zu erkennen, weil sie als Einzige in der Lage ist, das vermeintli­ch Andere als das Eigene zu sehen, im vermeintli­ch bösen Fremden das Menschlich­e. Das Monster, es ist keines, es ist unschuldig. Die Monster sind die Menschen, die es quälen.

Wer eine Abneigung gegen die Farbe Grün hat, insbesonde­re gegen deren intensiver­e Varianten, für die oder den ist dieser Film nichts.

»The Shape of Water«, USA 2017. Regie: Guillermo del Toro, Darsteller: Sally Hawkins, Michael Shannon, Doug Jones, 123 Min.

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Foto: Twentieth Century Fox Das Andere als das Eigene sehen können: Die stumme Heldin Elisa (Sally Hawkins) und die mysteriöse Kreatur (Doug Jones)

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