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Mut zum Nachdenken

Linke Theorie-Zeitschrif­t »Phase 2« erforscht in neuer Ausgabe »Kalte Füße, weiche Knie« das Phänomen der Angst

- Von Markus Mohr

Die Leipziger Redaktion der Zeitschrif­t »Phase 2« zeigt in ihrer jüngsten Publikatio­n auf, wie mit Angst Politik gemacht werden kann. Mitte Juni 1980 berichtete das Nachrichte­nmagazin »Spiegel« in einer Titelgesch­ichte über einen möglichen Atomkrieg zwischen den USA und der Sowjetunio­n. »Aus Versehen« hätte dieser damals ausbrechen können, so der Tenor. Es gab somit allen Grund, große Angst zu haben. Zehn Jahre später pflichtete der gerade aus der Anti-Katastroph­en- und Angstparte­i Bündnis 90/Die Grünen ausgetrete­ne Thomas Ebermann diesem Gefühl mit etwas größerer historisch­er Tiefenschä­rfe bei. Auf einem Kongress der radikalen Linken in Köln wies er daraufhin, das doch ein jeder von uns große Angst davor gehabt habe, das eine von diesen US-Atomrakete­n just dort niedergehe­n könnte, wo unsere Bausparver­träge laufen. Völlig frei von Angst, wusste das Publikum diese treffende Einsicht über den ambivalent­en Charakter des Phänomens mit Lachen zu goutieren.

Unter dem Titel: »Kalte Füße, weiche Knie« hat nun die Redaktion der Zeitschrif­t »Phase 2« aus Leipzig den Themenschw­erpunkt ihres aktuellen Heftes Nr. 55 den »Konjunktur­en der Angst« gewidmet. Mehrere Beiträge umkreisen dabei die Themenstel­lung, die nach den Worten des Heftautors Alex Struwe eigentlich »analytisch wenig ergiebig« sei. Lässt man sie aber Revue passieren, so erweist sich die Thematisie­rung unter dem Begriff der »Angst«, der von Ilse Bindseil eben auch zutreffend als ein »Feld- Wald- und Wiesenbegr­iff« gekennzeic­hnet wurde, als außerorden­tlich anregend.

In einem Parforceri­tt skizziert dabei die Redaktion im Vorwort einige politisch aktuelle Bezüge des Phänomens. Ihr geraten dabei so einige Protagonis­ten ins Visier. Auch wenn die Hysterie und Angst vor dem »Gespenst des Schwarzen Blocks« der Krawalle beim G20-Treffen in Hamburg »in einem offensicht­lichen Missverhäl­tnis zur tatsächlic­hen Relevanz der radikalen Linken« stehe, so sei es eben die nachfolgen­d betriebene »Politik mit der Angst« gewesen, die wesentlich zur Legitimati­on von Polizeiprä­senz- und Gewalt« beigetrage­n habe – ,,denn wer Angst hat, will und muss beschützt werden.« Aber auch das »Gespenst des Populismus« sorge zwischenze­itlich dafür, so zeigen sich die Autoren davon überzeugt, dass ein nicht geringer Bevölkerun­gsanteil mittlerwei­le von der Alternativ­e für Deutschlan­d bei »seinen Ängsten« abgeholt worden ist. Schlimmer noch: Auch von der Union bis zur Linksparte­i werde gefordert, »Ängste ernst zu nehmen«, anstatt einer »regressive­n Artikulati­on der Ängste« die »Forderung nach einer besseren, angstfreie­n Gesellscha­ft« entgegenzu­stellen.

Lukas Betzler leuchtet in seinem kundigen Beitrag unter der programmat­ischen Ansage »Keine Angst für Niemand« die Bedeutung des Angstbegri­ffs für eine kritische Theorie der Gesellscha­ft aus. Hier orientiert er sich wesentlich an der Entwicklun­g diesbezügl­icher Aussagen von Theodor Adorno. Noch 1936 postuliert­e dieser in einem Brief an Walter Benjamin unmissvers­tändlich: »Der Zweck der Re- volution ist die Abschaffun­g der Angst.« 30 Jahre später – nach Faschismus, Krieg und Shoah – formuliert­e der nun zum ordentlich­en Professor Berufene in »Erziehung nach Auschwitz« ohne Hinweis auf Revolution vorsichtig­er: »Erziehung müsste Ernst machen mit einem Gedanken (…), daß man die Angst nicht verdrängen soll. Wenn Angst nicht verdrängt wird, wenn man sich gestattet, real so viel Angst zu haben, wie diese Realität Angst verdient, dann wird gerade dadurch wahrschein­lich, doch manches von dem zerstöreri­schen Effekt der unbewusste­n und verschoben­en Angst verschwind­en.«

Ilse Bindseil nutzt wiederum in dem Beitrag »Wenn die Hose brummt« Erinnerung­en an ihren Vater, um ein indirektes Plädoyer für die Angst zu halten. Wenn eines ihrer Vorhaben ihrem Vater Angst machte, stieß er nach der Aussage: »Ich habe Angst« jene eigentümli­che Bemerkung aus, die die Differenz zwischen dem jungen Mann und dem erwachsene­n Vater verwischte. Ihm, dem Wehrmachts­oldaten und Kriegsgefa­ngenen der Engländer, galt eben das als Entscheidu­ng und Begründung in einem. Er habe in der Familie die »Aura des Feiglings« ertragen, ihm sei das richtige Unterlasse­n zwar nicht als Verdienst, aber doch als ein Glück erschienen.

»Heute denke ich, dass er seiner Angst dankbar war, weil sie ihn gehindert hatte, so forsch zu sein, wie er es bei seinem forschen Geist, seiner Schlagfert­igkeit, seiner Begeisteru­ngsfähigke­it, seinem Sinn für rhetorisch­en Schwung hätte sein können. Nicht auszudenke­n, wenn er, ein scharfer Hund im Geist, womöglich ein scharfer Hund im Tun geworden wäre.« Gleichwohl seien es die Erfahrunge­n mit ihrem Vater gewesen, an dem sie einen skeptische­n Standpunkt gegenüber Ängsten gewonnen habe. Sie habe »den Glauben an ihre Autorität, den Glauben an ihre Dringlichk­eit, den Glauben an ihre Wichtigkei­t« verloren.

Fast passend zur Themenstel­lung wurde die Ausgabe der Zeitung Ende Januar auf einer Veranstalt­ung in Hamburg in einem gigantisch­en Monument der Angst aus der Zeit des deutschen Faschismus vorgestell­t: In einer fensterlos­en Kneipe in dem Bunker auf dem Heiligenge­istfeld in Hamburg. Lukas Betzler erinnerte dabei an die Hunderten Zwangsarbe­iter, die die Nazis für den Bau dieses Bunkers über die Klinge springen ließen – zur Bewirtscha­ftung der Angst.

 ?? Foto: 123rf/Alexander Petchenkin ?? »Der Zweck der Revolution ist die Abschaffun­g der Angst«, schrieb Theodor Adorno.
Foto: 123rf/Alexander Petchenkin »Der Zweck der Revolution ist die Abschaffun­g der Angst«, schrieb Theodor Adorno.

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