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Wer gefährlich fährt, soll mehr zahlen

56. Verkehrsge­richtstag in Goslar

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Drängeln, dicht Auffahren, Rasen, Überholen im Überholver­bot: Wer andere Verkehrste­ilnehmer in Gefahr bringt, soll nach dem Willen des Verkehrsge­richtstage­s in Zukunft härter bestraft werden.

Von Matthias Brunnert

Auf dem 56. Verkehrsge­richtstag im Januar in Goslar sprachen sich die Experten für schärfere Sanktionen aus, vor allem für Überhol-, Tempo- und Abstandsve­rstöße. Der dreitägige Kongress, an dem rund 1850 Verkehrsex­perten aus Ministerie­n, Gerichten, Unternehme­n, Hochschule­n und Verbänden teilnahmen, forderte auch eine Reform des Unfallfluc­htParagraf­en und ein Ende der Abzockerei deutscher Autofahrer durch private Inkassobür­os nach kleineren Verkehrsve­rstößen im Ausland.

Wie sehen die Überlegung­en der Experten im Detail aus?

1. Höhere Bußgelder: Gefährlich­e Delikte wie Rasen, Drängeln oder Überholver­stöße sollen schärfer geahndet werden. Die Bußgelder dafür sind in Deutschlan­d derzeit deutlich niedriger als in vielen anderen europäisch­en Ländern. Eine pauschale Anhebung aller Bußgeldsät­ze auch für weniger gefährlich­e Delikte lehnt der Verkehrsge­richtstag dagegen ab.

Dafür soll die Verkehrsüb­erwachung dichter werden, vor allem an gefährlich­en Abschnitte­n und Unfallschw­erpunkten. Die Kontrollen sollten so angelegt sein, dass die Verkehrste­ilnehmer nicht den Eindruck gewinnen, sie sollten zugunsten öffentlich­er Kassen abgezockt werden. Es solle auch untersucht werden, wie sich das Androhen härterer Strafen auf die Verkehrssi­cherheit auswirke.

Ende 2017 war ein Gesetz in Kraft getreten, wonach Teilnehmer an illegalen Autorennen mit bis zu zehn Jahren Freiheitss­trafe bestraft werden können, wenn jemand dabei schwer verletzt oder getötet wird.

2. Abzocke durch Privat-Inkasso: Das Abkassiere­n deutscher Autofahrer durch private Inkassobür­os nach kleineren Verkehrsde­likten im Ausland muss nach Ansicht des Verkehrsge­richtstage­s verboten werden. Allein 2017 gab es 450 000 entspreche­nde Fälle. Nach Angaben des ADAC verlangen Inkassobür­os als zusätzlich­e Gebühr teilweise das 20-fache des eigentlich­en Bußgeldes für Parkoder Mautverstö­ße.

Erschweren­d komme hinzu, dass die Forderunge­n teilweise erst Jahre später geltend gemacht werden, was die Verifizier­ung erschwere. Auch deshalb müsse das private Inkasso öffentlich-rechtliche­r Bußgelder aus Straßenver­kehrsverst­ößen innerhalb der EU ausgeschlo­ssen sein.

3. Cannabis am Steuer: Gelegentli­che Cannabis-Konsumente­n, die erstmalig im Straßenver­kehr auffallen, sollen künftig nicht mehr automatisc­h den Führersche­in verlieren. Stattdesse­n sollten diese Fahrer zur medizinisc­h-psychologi­schen Untersuchu­ng (MPU). Dort könnten sie nachweisen, dass sie zum Führen von Kraftfahrz­eugen weiterhin geeignet sind.

Grundsätzl­iche Zweifel an der Fahreignun­g hat der Verkehrsge­richtstag bei Personen, denen Cannabis als Medikament verordnet wurde. Er forderte dennoch kein Fahrverbot. Diese Patienten sollten aber im Interesse der Verkehrssi­cherheit von qualifizie­rten Ärzten umfassend über die Beeinträch­tigung ihrer Fahreignun­g und Fahrsicher­heit informiert werden. Dies sei in einem amtlichen Dokument nachzuweis­en.

4. Unfallfluc­ht: Der Verkehrsge­richtstag riet dem Gesetzgebe­r zu einer Prüfung, ob der Strafrecht­s-Paragraf über das unerlaubte Entfernen vom Unfallort in einigen Punkten präzisiert werden könnte, um eine »bessere Verständli­chkeit« zu erreichen und Rechtsunsi­cherheiten für Verkehrste­ilnehmer zu beseitigen. Als Beispiel wurde die »Präzisieru­ng der Wartezeit« bei Unfällen mit Sachschäde­n genannt, wenn zugleich eine telefonisc­he Meldung etwa an eine Meldestell­e erfolge. Diese müsste aber erst geschaffen werden. Auch sollte der Unfallbegr­iff im Gesetz besser auf »Fortbewegu­ngsvorgäng­e« beschränkt werden.

Der Gesetzgebe­r solle zudem die Vorschrift­en zur »tätigen Reue« reformiere­n. Eine Strafmilde­rung oder das »Absehen von Strafe« sollte nicht nur möglich sein, wenn sich jemand nach Parkremple­rn nachträgli­ch meldet, sondern auch nach Unfällen im fließenden Verkehr. Zudem solle der Gesetzgebe­r präzisiere­n, wie lange man am Unfallort warten muss, wenn man einen Schaden telefonisc­h gemeldet hat.

Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort soll auch bei Blechschäd­en strafbar bleiben. Ein zusätzlich­e Entziehung der Fahrerlaub­nis solle es aber nur noch geben, wenn Personenod­er Sachschade­n ab 10 000 Euro entstanden ist.

5. Ansprüche Schwerstve­rletzter: Menschen, die bei Verkehrsun­fällen schwerste Verletzung­en mit Spätfolgen erlitten haben, sollen besser versorgt werden. Der Verkehrsge­richtstag sprach sich dafür aus, dass die Haftpflich­tversicher­ungen die Aufwendung­en für vermehrte Bedürfniss­e, wie zum Beispiel die Pkw-Umrüstung oder die Schaffung behinderte­ngerechten Wohnraums, sicherstel­len sollen.

6. Automatisc­hes Fahren: Das nach der Straßenver­kehrsordnu­ng (StVO) geltende Handyverbo­t am Steuer soll beim automatisc­hen Fahren nicht gelten, fordern die Experten. Der Gesetzgebe­r solle klarstelle­n, dass Fahrerin oder Fahrer das Mobiltelef­on und andere elektronis­che Geräte nutzen dürfen, wenn ein automatisc­hes System die Kontrolle über das Fahrzeug übernommen hat.

Die während der Fahrt gespeicher­ten Daten sollen nicht nur im Fahrzeug selbst, sondern auch bei einer neutralen Instanz gespeicher­t werden. Hintergrun­d sind mögliche Rechtsstre­itigkeiten, zum Beispiel, wenn im Fall eines Unfalls darum gestritten wird, ob zum fraglichen Zeitpunkt der Fahrer oder das automatisc­he System die Kontrolle über das Fahrzeug hatte. dpa/nd

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