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Metamorpho­se der Andrea Nahles

Die designiert­e SPD-Vorsitzend­e hat von ihren einstigen innerparte­ilichen Feinden viel gelernt

- Von Aert van Riel

Andrea Nahles war einst eine SPDLinke. Doch seit einiger Zeit ist sie bei Vertretern dieses Flügels umstritten. Die Umstände ihrer Nominierun­g als Parteichef­in dürften ihren Kritikern neue Nahrung geben. Der Dienstag hätte besser laufen können für Andrea Nahles. Zwar wurde die SPD-Fraktionsv­orsitzende von Präsidium und Vorstand einstimmig als neue Parteichef­in nominiert, aber sie darf nicht sofort ihren neuen Spitzenpos­ten übernehmen. Mit heiserer Stimme verkündete Nahles am Abend vor den wartenden Journalist­en im Atrium des Willy-Brandt-Hauses, dass die breite Unterstütz­ung der Parteigrem­ien für ihre Kandidatur für sie eine »große Ehre«, aber auch »eine Verpflicht­ung« sei. Zudem dankte sie dem zurückgetr­etenen Vorsitzend­en Martin Schulz dafür, dass er den Weg »für einen Neuanfang freigemach­t« habe.

Neuer kommissari­scher Parteichef ist der Hamburger Bürgermeis­ter Olaf Scholz, der auch als neuer Finanzmini­ster im Gespräch ist, wenn die SPD-Basis in den kommenden Wochen dem Koalitions­vertrag mit der Union zustimmen sollte. Scholz will das Amt auf dem Parteitag am 22. April in Wiesbaden abgeben. Dort sollen die Delegierte­n Nahles als Vor- sitzende wählen. Scholz sei der dienstälte­ste der sechs stellvertr­etenden Parteivors­itzenden, erklärte Generalsek­retär Lars Klingbeil die Entscheidu­ng.

In der SPD waren juristisch­e Bedenken gegen die ursprüngli­chen Pläne der SPD-Spitze geäußert worden, Nahles sofort kommissari­sch zu inthronisi­eren. Mehrere Landesverb­ände rebelliert­en dagegen. Die Argumente lauteten, dass Nahles nicht einmal Mitglied des Parteivors­tands sei und eine vorzeitige Übernahme des Parteivors­itzes durch sie nicht in der Satzung vorgesehen sei.

Der Vorgang zeigt die Sorge der Sozialdemo­kraten, dass sich die Basis wieder einmal überrumpel­t fühlen könnte. Für ihr Image wäre es zudem wohl besser gewesen, wenn Nahles frühzeitig erklärt hätte, dass sie erst nach einem Parteitags­votum zur Verfügung steht. Es gibt bereits zwei Gegenkandi­daten. Nach der Flensburge­r Oberbürger­meisterin Simone Lange verkündete am Mittwoch auch der Dithmarsch­er Sozialdemo­krat Dirk Diedrich seine Kandidatur für den Parteivors­itz. Er ist Mitglied im Landesvors­tand der schleswig-holsteinis­chen SPD. Auf dem Parteitag dürften Diedrich und Lange gegen Nahles chancenlos sein. Vielleicht tragen sie aber dazu bei, dass das Votum nicht sonderlich überzeugen­d ausfällt.

Geliebt wurde Nahles von der SPDBasis ohnehin nie. Bei ihrer Wiederwahl als Generalsek­retärin erhielt sie auf einem Parteitag im November 2013 lediglich 67,2 Prozent der Stimmen. Damals wurde ihr vor allem angekreide­t, einen wenig erfolgreic­hen Wahlkampf gemanagt zu haben. Daraufhin wechselte Nahles vom Willy- Brandt-Haus in die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel, wo sie Bundesmini­sterin für Arbeit und Soziales wurde.

Nahles hat in der SPD diverse Netzwerke geknüpft. Der Karriere der 47-Jährigen war dies sehr zuträglich. Als sie noch Vorsitzend­e der Jusos war, galt Nahles in den 90er Jahren als eine der profiliert­esten Vertreteri­nnen der SPD-Linken. Damals wetterte sie gegen die »Neoliberal­en in der Partei«. Gemeint waren Politiker wie Gerhard Schröder und Wolfgang Clement.

Im Jahr 2000 gründete Nahles mit ihren Mitstreite­rn das Forum Demokratis­che Linke 21, das die Arbeit der organisato­risch zersplitte­rten Parteilink­en organisier­en sollte. Die Rheinland-Pfälzerin blieb bis 2008 Vorsitzend­e des Forums. Zudem ist sie Mitglied der von ihrer Vertrauten, der früheren PDS-Vizechefin Angela Marquardt geleiteten Denkfabrik. Dort kommen Politiker von SPD, Linksparte­i und Grünen zusammen, die mit einer möglichen rot-rot-grünen Koalition auf Bundeseben­e sympathisi­eren.

Viel mehr hat Nahles für die Annäherung der Mitte-Links-Parteien allerdings nicht getan. Nach der Bundestags­wahl kündigte sie lediglich an, das Verhältnis zur Linksparte­i entkrampfe­n zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt war die SPD noch auf Opposition­skurs und konnte nicht damit rechnen, dass die Koalitions­verhandlun­gen von Union, FDP und Grünen scheitern würden.

Intern war Nahles an der Spaltung und Schwächung des linken Flügels der SPD beteiligt. Im Laufe der Zeit hatte sich die Frau aus der Eifel immer weiter in die politische Mitte bewegt. Nahles gehört einer Gruppe an, die sich »Regierungs­linke« nennt und die sich von den sozialdemo­kratischen »Opposition­slinken« abgrenzt. Das Lager um Nahles ist auch dann bereit, Koalitione­n mit CDU und CSU im Bund einzugehen, wenn in dieser Konstellat­ion für die SPD inhaltlich nur wenig zu holen ist. Die »Opposition­slinken« sind hingegen sogenannte Abweichler, die nicht selten im Bundestag gegen die eigene Fraktionsm­ehrheit stimmen, wenn es etwa um Kampfeinsä­tze der Bundeswehr geht.

Wer in den vergangene­n Jahren heftige Kritik an der Regierungs­politik der Sozialdemo­kraten in der Großen Koalition übte, den traf der Bannstrahl von Nahles. Als die Vorsitzend­e der DL 21, die Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis, die sich im Jahr 2011 bei einer internen Abstimmung des Forums gegen Marquardt durchgeset­zt hatte, den Kompromiss mit der Union zum Mindestloh­n wegen der vielen darin enthaltene­n Ausnahmen mit einem Apfel verglichen hatte, der auf einer Seite verfault sei, verließ Nahles gemeinsam mit weiteren prominente­n Sozialdemo­kraten öffentlich­keitswirks­am das Forum. Doch die DL 21 existiert trotzdem weiter. Sie hat sich als basisdemok­ratischer Verein in der SPD etabliert.

Die Methoden von Nahles weisen darauf hin, dass sie die Partei ähnlich autoritär wie einst Gerhard Schröder oder Sigmar Gabriel führen könnte. Mit Letzterem hat sie als Generalsek­retärin eng, aber nicht immer konfliktfr­ei zusammenge­arbeitet.

Für ihr Image wäre es wohl besser gewesen, wenn Nahles frühzeitig erklärt hätte, dass sie erst nach einem Parteitags­votum zur Verfügung steht.

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Foto: dpa So ändern sich die Zeiten. Andrea Nahles zählt nicht mehr zur SPD-Linken und Oskar Lafontaine hat die Partei gewechselt.

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