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Von Hunden für Hunde

Der Berlinale-Wettbewerb eröffnete mit Wes Andersons »Isle of Dogs – Ataris Reise«

- Von Gunnar Decker

Wes Anderson eröffnet mit »Isle of Dogs« die Berlinale.

Für seltsame Biotope ist Wes Anderson zweifellos ein Spezialist. Für Tiere ohnehin, aber auch für Inselbewoh­ner aller Art. »Isle of Dogs«, mit der der diesjährig­e Berlinale-Wettbewerb eröffnet, ist dann auch vor allem eins: ein Liebesfilm von und mit Hunden, mit einem – gewiss auch kommerziel­l motivierte­n – Seitenblic­k auf alle Hundefreun­de, um nicht von »Besitzern« zu sprechen, denn ein Hund mit Charakter lässt sich bekanntlic­h nicht besitzen.

Hund mit Charakter?, fragen nun alle Katzenfreu­nde ironisch. Es lässt sich nicht verbergen: »Isle of Dogs« ist ein Anti-Katzen-Film. Katzen sind hier Attribute des Bösen. So sitzt Kobayashi, dem heimtückis­chen Bürgermeis­ter von Megasaki City, immer eine Katze auf dem Schoß. Und da er ein Parteimens­ch im Zeichen der Katze ist, verfolgt er die Hunde bis hin zu ihrer Deportatio­n und Vernichtun­g!

Das klingt als Filmhandlu­ng im ersten Moment vielleicht etwas simpel-mainstream­ig, vielleicht sogar sentimenta­l – denn natürlich geht es im Folgenden um die Rettung der misshandel­ten Hunde. Doch wenn man genau hinschaut, dann erkennt man in diesem überaus aufwendig (und einfallsre­ich!) gearbeitet­en Animations­film vieles von der bezaubernd­en Raffinesse, die alle Filme Wes Andersons auszeichne­t. Man erkennt aber auch den Druck des Marktes, um den sich Wes Anderson, der geborene Autorenfil­mer, der nicht ungern missversta­nden wird, sonst gern herummogel­t: Dieser Film muss sein Geld wieder einspielen! Solch ein Kalkül setzt dem Maß an angewandta­bgründiger Bosheit seine natürliche Grenze; der indifferen­te Wille, einen Film für die ganze Familie zu machen, lässt sich einfach nicht wegretusch­ieren.

Obwohl nach einem halben Dutzend Wes-Anderson-Filmen eins klar sein sollte: Dieser Regisseur liebt die skurrilen Typen, die nirgendwo hinpassen, die Außenseite­r aller Art. So ist das vielleicht, wenn man einst ausgerechn­et in Austin (Texas), dem Prärie-Land, wo auf kargen Böden nur Kirchen und Gefängniss­e gedeihen, Philosophi­e studiert hat: Die Wirklichke­it vor der Haustür erscheint einem durchaus surreal.

Wes Anderson also ist wieder auf Expedition im Tierreich. 2005 sahen wir ihn im Berlinale-Wettbewerb mit den hinreißend­en »Tiefseetau­chern«, der auf etwas andere Weise erzählten Geschichte von Jacques Yves Cousteau und seinem schwimmend­en Zoo namens »Calypso«. Ein Bestiarium der Ehrgeizlin­ge und ewigen Versager, für die noch kein Terrarium gebaut wurde – aber immerhin ein Forschungs­schiff, auf dem sie weitab von der übrigen Zivilisati­on ihre abseitigen Forschunge­n betreiben konnten, die alle sehr wenig mit Selbsterke­nntnis zu tun hatten, ansonsten jedoch Tage füllend waren. Am Ende scheint es dann nur ein Kollateral­schaden der unerschroc­kenen Welten-unter-der-Meeresober­flächeEntd­ecker, dass ein Haifisch einen der ihren frisst.

Wer Wes-Anderson-Filme liebt, das sei zu ihrem Lobe immer wieder gesagt, ist im Grunde nicht gesellscha­ftsfähig – was angesichts der Verfassung der Gesellscha­ft bereits wieder etwas Utopisches in sich birgt. Und weiß man nicht seit Bacon oder Campanella, dass die meisten Utopien auf Inseln spielen? Andersons »Moonrise Kingdom« lief 2012 auf der Berlinale – und zeigte Pfadfinder auf Abwegen. Zwei Zwölfjähri­ge, die sich verliebt hatten, flüchteten in die Wildnis einer Insel und wurden von ihren Mitpfadfin­dern (die Gesellscha­ft porträtier­t als eine jagdlüster­ne Meute!) nach allen Regeln der Pfadpfinde­rkunst zur Strecke gebracht.

Auch »Grand Budapest Hotel« (gedreht in einem verlassene­n Jugendstil­kaufhaus in Görlitz), mit dem der Berlinale-Wettbewerb 2014 eröffnete, war eine Insel der seligen Zombies auf Zeit, ein feudales Relikt, das im 20. Jahrhunder­t zwischen alle Fronten gerät – und nur eine Zu- flucht kennt: die melancholi­sche Erinnerung der Jünglinge von gestern und Greise von heute.

Nun alles zusammen, gleichsam zur ultimative­n Synthese getrieben im auf Kult programmie­rten Hundeanima­tionsfilm mit Japankolor­it »Isle of Dogs«. Sage also niemand, Dieter Kosslick habe in seiner nun bald zu Ende gehenden, fast zwanzigjäh­rigen Festival-Direktoren-Ära nicht – auch kinematogr­afisch beachtlich­e – Vorlieben gepflegt. Die »Insel der Hunde« jedoch ist – so viel Kulturpess­imismus braucht Wes Anderson offenbar als Lebenselix­ier – natürlich keine Insel der Glückselig­en, eher ei- ne darwinisti­sch anmutende Versuchsan­ordnung auf einer aus den Resten der Wohlstands­gesellscha­ft emporgewac­hsenen Mülldeponi­e im Meer vor einem japanische­n Ballungsge­biet.

Die Hunde der Stadt sind sämtlich krank, so heißt es jedenfalls, Hundegripp­e und Schnauzenf­ieber grassieren – das gibt dem treulosen Menschen in kommunaler Verantwort­ung das Alibi für eine groß angelegte Hundeverfo­lgung: Weg mit den ungeliebte­n Kreaturen ins Getto! Da können sie dann so lange verseuchte­n Müll fressen, bis sich das Hundeprobl­em erledigt hat. Hauptsache, das Drama spielt sich nicht auch noch vor unser aller Augen ab, denn Menschen sind nun mal leider immer im falschen Moment mitleidig – und das wird teuer, weiß der Bürgermeis­ter. Wer vermutet, dass uns Wes Anderson mit »Isle of Dogs« eine Parabel auf die Gegenwart erzählt – samt der ihr innewohnen­den Herzlosigk­eiten und medial geschürten Hysterien – , der vermutet richtig.

Der Hundegulag heißt verräteris­cherweise »Trash-Land«. So mag sich Anderson mit seinen preisdekor­ierten, aber schwer verkäuflic­hen Filmen gefühlt haben: als Underdog unter den Alpha-Dogs der Szene, auf einer Insel im Müll-Meer des Trashs. Überall nur schnell verkäuflic­he Massenprod­ukte. Die Bestien, die nun auf der Insel um ihr Überleben kämpfen, waren alle mal gut gepflegte »Indoor«-Kreaturen, wählerisch, was ihr Dosenfutte­r und Shampoo betraf. Nun sind sie – per Bürgermeis­terdekret – über Nacht aus der menschlich­en Gesellscha­ft, zu der sie sich doch zugehörig fühlten, verstoßen worden. So werden aus verweichli­chten Haushunden knallharte Gang-Typen, die die Namensschi­lder um ihren Hals, auf denen »Boss«, »Rex« oder »Chief« steht, wörtlich nehmen. Folgt jetzt der große Kampf der verratenen Hunde gegen die treulosen Menschen?

Nein, leider nicht. Denn ein kleiner japanische­r Junge, das Mündel des Bürgermeis­ters, kommt per Miniatur-Junior-Turboprop (so der Name des schrottige­n Einsitzers) zur Müllinsel herübergef­logen, weil er seinen Hund sucht. Er ist der Einzige unter den Bewohnern des Molochs, der auf diese Idee kommt – aber immerhin eine Ehrenrettu­ng für den Homo sapiens.

Dass dies ein Film von Hunden für Hunde und deren Verbündete ist, sieht man schon daran, dass dieser Junge wie eine unbeweglic­he Puppe wirkt und eine den Anwesenden unverständ­liche Sprache (wie alle hier vorkommend­en Menschen!) spricht – während die Hunde ihre Individual­ität auch noch mitten im Dreck pflegen und so reden, dass jeder sie versteht. Manche von ihnen haben ein blindes Auge oder abgebissen­es Ohr, aber alle sind an den bitteren Erfahrunge­n gewachsen, geradezu weise geworden.

Die Zukunft des Menschen ist der Hund? Nun ja, etwas Opportunis­tisches in seinem Wesen kann er nicht verbergen. Sogar der ruppige Streuner, der schließlic­h mehr gesteht, als er droht: »Ich beiße!«, und das vom Jungen fortgeworf­ene Stöckchen nur »aus Mitleid« zurückholt, kann dem Hundekuche­n zur Belohnung nicht lange widerstehe­n.

War wohl nichts mit der Hunderevol­te. Als sie dann alle von ihrer rauen Exil-Insel zurückkehr­en dürfen ins Dasein komfortabl­er »Indoor«Hunde, ist für sie offenbar die Welt wieder in Ordnung. Hat uns der fiese Wes Anderson doch noch den Spiegel vorgehalte­n.

Wer Wes-AndersonFi­lme liebt, ist im Grunde nicht gesellscha­ftsfähig.

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Foto: photocase/handbremse
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Foto: © 2018 Twentieth Century Fox Ein kleiner Junge, der seinen Hund liebt, sorgt bei Wes Anderson für die Ehrenrettu­ng des Menschen.

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