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Viele Fragezeich­en im Bayerische­n Hof

54. Münchener Sicherheit­skonferenz im Zeichen internatio­naler Konflikte und neuer NATO-Rüstung

- Von Olaf Standke

Angesichts der weltweiten Krisen und Konflikte gibt es für die 600 Teilnehmer der 54. Münchener Sicherheit­skonferenz ab Freitag zahlreiche dringende Themen zu debattiere­n – und für friedensbe­wegte Aktivisten aus der ganzen Bundesrepu­blik viele Gründe, um zu protestier­en.

Über 20 Staats- und Regierungs­chefs, 80 Außen- und Verteidigu­ngsministe­r sowie der UN-Generalsek­retär haben ihren Besuch in München angekündig­t.

Wer wird im Hotel »Bayerische­r Hof« die Trump-Fahne schwenken und wenn ja, welche? Außenpolit­ik-Experte John Ikenberry von der Universitä­t Princeton schrieb im jüngsten »Munich Security Report« zur Konferenz unverblümt von einer »feindliche­n, revisionis­tischen Kraft« im Weißen Haus. Und wird Benjamin Netanjahu nach den jüngsten Einlassung­en des US-Präsidente­n über Israels Unlust am Frieden nun auch den bislang so geliebten Obama-Nachfolger mit heiligem Zorn überziehen? Oder bremsen ihn die Korruption­sermittlun­gen aus? Gibt es wieder eine scharfzüng­ige amerikanis­ch-russische Konfrontat­ion, oder findet man bei der Suche nach Lösungsweg­en für die Kriege in Syrien doch zueinander? Wie gehen die NATO-Vertreter mit ihrem türkischen Verbündete­n um, der die zweitgrößt­en Streitkräf­te in der Allianz stellt und bei seinen Solofeldzü­gen selbst Partnern »osmanische Ohrfeigen« androht? Wer eigentlich wird die deutsche Außenpolit­ik repräsenti­eren, oder gibt es in München auch ein Schaulaufe­n für den Stuhl im Berliner Außenamt?

Viele Fragen also vor der 54. Sicherheit­skonferenz. Sicher ist: Wolfgang Ischinger wird auch in diesem Jahr dieses wichtige transatlan­tische Forum leiten. Und angesichts der ungelösten Konflikte in aller Welt sowie der kreuzgefäh­rlichen erratische­n Außenpolit­ik Donald Trumps samt einer neuen Atomwaffen­strategie fürs nukleare Pandämoniu­m gibt es viele Gründe zum Protest vor der weiträumig von 4000 Polizisten und Bundeswehr­soldaten abgeschott­eten Tagungsstä­tte. »Ich kann mich an keine Phase seit dem Zerfall der Sowjetunio­n erinnern, die potenziell so gefährlich war«, sagt Ischinger, der sich gegen den Vorwurf wehrt, die Veranstalt­ung sei ein mit Steuergeld­ern gesponsert­es Forum zur Rechtferti­gung der NATO und ihrer völkerrech­tswidrigen Kriegseins­ätze. Aus der Konferenz heraus sei noch nie »etwas Gutes« erwachsen, moniert dagegen Ulla Jelpke, innenpolit­ische Sprecherin der linken Bundestags­fraktion.

Das am Donnerstag beendete Treffen der NATO-Verteidigu­ngsministe­r hat da für zusätzlich­e Steilvorla­gen gesorgt. Der Rüstungswe­ttlauf wird weiter angeheizt, von nachhaltig­en vertrauens­bildenden Maßnahmen keine Spur. Wie NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g verkündete, beugen sich immer mehr Mitgliedst­aaten dem massiven Druck der USA und erhöhen ihre Militäraus­gaben. Nach jüngsten Prognosen würden bis 2024 mindestens 15 Alliierte jährlich zwei Prozent ihres Bruttoinla­ndsprodukt­es (BIP) oder mehr für Rüstung und Soldaten ausgeben. Bereits in diesem Jahr wird mit acht Staaten gerechnet; noch 2014 seien es nur drei gewesen.

Zudem billigten die NATO-Staaten den Aufbau einer Leitstelle zur Sicherung der Versorgung­srouten über den Atlantik und eines Logistik-Kommandos zur schnellen und reibungslo­sen Verlegung von Soldaten und Material innerhalb Europas. Deutschlan­d hat sich bereiterkl­ärt, dieses so- genannte Einsatz unterstütz­ungs kommando federführe­nd aufzubauen, womöglich im Raum Köln/Bonn. Für die Bundesrepu­blik hätten die Lage »im Herzen Europas« und die» Erfahrung beidem Thema Logistik und Unterstütz­ung« gesprochen, so Bundesvert­eidigungsm­inister in Ursula von der Leyen (CDU), die ein »militärisc­hes Schengen« fordert, um im »Spannungs- oder Krisenfall schnell Truppen bewegungen übergroße Strecken« organisier­en zu können. Der Nordatlant­ik-Pakt will zusätzlich 4000 Soldaten in vier multinatio­nalen, rotierende­n Bataillone­n in den baltischen Staaten stationier­en.

Das zweite neue NATO-Zentrum soll die Transportw­ege zwischen Nordamerik­a und Europa über den Atlantik besser sichern, vermutlich unter Leitung der USA. »Verhältnis­mäßig und maßvoll« nennt Stoltenber­g diese Pläne. Er weist den Vorwurf zurück, dass so ein neues Wettrüsten mit Russland provoziert werde. In Moskau sieht man das allerdings ganz anders. Statt Entspannun­gspolitik mit Russland zu betreiben, setze sich Berlin an die Spitze der Säbelrassl­er und Scharfmach­er, kritisiert auch der LINKE-Bundestags­abgeordnet­e Alexander Neu die Pläne. Ischinger dagegen beschwor vor der Konferenz ebenfalls die russische Gefahr an der Ostflanke der NATO.

In Washington – wo Trump nicht auf diplomatis­che Mittel setzt, sondern in sozialdarw­inistische­r Weltsicht auf hochgerüst­ete Macht – beobachtet man aber auch argwöhnisc­h die verstärkte militärisc­he Zusammenar­beit der EU-Mitglieder. Das alles müsse natürlich komplement­är mit der Allianz sein und dürfe nicht von NATO-Aktivitäte­n und - Erforderni­ssen ablenken, heißt es im Pentagon. Dessen Chef Jim Mattis dürfte das seinen Verbündete­n am Wochenende in München noch einmal deutlich vor Augen führen. Er ist dabei zugleich hochrangig­er Lobbyist der heimischen Waffenschm­ieden; fürchtet Washington doch, dass die EU-Staaten den Zugang für USamerikan­ische Unternehme­n zu geplanten neuen Rüstungspr­ojekten beschränke­n könnten. Im Hotel »Bayerische­r Hof« geht es also auch ums große Geld.

Diplomatis­chen Erfolg erhofft sich Wolfgang Ischinger, wenn es am Rande der Konferenz zu einem geplanten Treffen über den UkraineKon­flikt im sogenannte­n NormandieF­ormat (Deutschlan­d, Frankreich, Russland, Ukraine) kommt. Auch das findet hinter verschloss­enen Türen statt, so wie die rund 1000 bilaterale­n Gespräche, die es jeden Konferenzt­ag im »Bayerische­n Hof« geben soll. Die Bedeutung von Organisati­onen wie den Vereinten Nationen, die Ausgleich und Konsens schaffen könnten, sei gesunken, heißt es in dem im Vorfeld veröffentl­ichten aktuellen »Security Report« der Sicherheit­skonferenz. Das ist fraglos richtig. Umso mehr müssen vor allem diese Strukturen gestärkt werden.

»Ich kann mich an keine Phase seit dem Zerfall der Sowjetunio­n erinnern, die potenziell so gefährlich war.« Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchener Sicherheit­skonferenz

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Foto: dpa/Matthias Balk Die Tagungsstä­tte der Sicherheit­skonferenz in der Münchener Altstadt

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