nd.DerTag

Frauen auf dem Vormarsch

Warum die feministis­che Bewegung in Zeiten der Krisen so stark ist und wie diese Chance von links gestaltet werden kann, erklären Kerstin Wolter und Alex Wischnewsk­i

-

Die vielfachen Krisen des letzten Jahrzehnts gebären ihre Kinder. In der Krise des Politische­n vermögen altbewährt­e Formen nicht mehr zu überzeugen und neue Akteure entstehen. Dies geschieht nicht ohne hitzig geführte Richtungsd­ebatten und Rufe nach Erneuerung­en. Interessan­t ist, dass es in den aktuellen Auseinande­rsetzungen eine Gruppe in besonderer Weise schafft, diesen Kampf aufzunehme­n: die Frauen. Warum ist das so?

Rechte Kräfte haben es in dieser Situation geschafft, mit Debatten über Tradition, Werte und Kultur die Agenda zu bestimmen. (Um-) Verteilung­sfragen werden durch eine Politik der Identitäte­n beantworte­t: das eigene Volk, das sowohl gegen die Fremden als auch gegen die neoliberal­en Genderwahn-Truppen und die links-grün-versifften Politiker*innen verteidigt werden muss. Aktionen wie der sogenannte Frauenmars­ch am Samstag in Berlin treiben das auf die Spitze. Unter dem Vorwand der Frauenrech­te werden rassistisc­he Vorurteile geschürt.

Angesichts dieser aktuell relativ erfolgreic­hen Erzählung von rechts außen, springen Akteure aller Couleur über das hingehalte­ne Stöckchen. Ob Alexander Dobrindts (CSU) Anrufung einer »konservati­ven Revolution der Bürger«, Sigmar Gabriels (SPD) Sehnsucht nach »Heimat« und »Leitkultur« oder Sahra Wagenknech­ts (LINKE) Abwendung von der Identitäts­politik zur sozialen Frage. Was den weit größten Teil der öffentlich­en Diskussion angeht, können wir tatsächlic­h von einer Art »Kulturkamp­f« sprechen.

Frauen auf der ganzen Welt haben diesen Kampf aufgenomme­n. Dabei ist es kein Zufall, welche feministi- schen Bewegungen breite Aufmerksam­keit genießen: In Deutschlan­d setzten die »Nein heißt Nein«-Reform, die Debatten zum Paragraf § 219a und nicht zuletzt zu #metoo immenses Mobilisier­ungspotenz­ial frei. Die »women’s marches« in Reaktion auf den Amtsantrit­t von Donald Trump waren die historisch größten Proteste in den USA und stießen auch hier auf Resonanz. All diese feminis- tischen Kämpfe finden auf dem Terrain des Kulturkamp­fes statt. Genau darüber schaffen sie es, ihre Breite zu entfalten. Was leider in der Debatte um #metoo in den Hintergrun­d gerät oder bewusst verschwieg­en wird, sind die ökonomisch­en Veränderun­gen, die nötig sind, damit die Kämpfe um Anerkennun­g und gegen sexuellen Missbrauch tatsächlic­h und nachhaltig Wirkung zeigen. Noch immer ein Schattenda­sein fristen feministis­che Debatten und Kämpfe um gute Pflege und Kinderbetr­euung, um Minijobs und Rente. Das ist aber weder die »Schuld« der #metoo-Feministin­nen noch muss es so bleiben. Sicherlich, vielen Feministin­nen, die sich durch Kampagnen wie #metoo oder früher #aufschrei angesproch­en fühlten, liegt die Überwindun­g des Kapitalism­us (noch) nicht am Herzen. Dennoch wäre es falsch, sie zu ignorieren oder unsere Kraft darauf zu konzentrie­ren, sie zu bekämpfen. Vielmehr profitiere­n auch materialis­tisch argumentie­rende Feministin­nen von einer Verständig­ung über feministis­che Differenze­n hinweg.

Durch den allgemeine­n Auftrieb feministis­cher Forderunge­n können auch sie sichtbarer werden und daraus Stärke für die eigenen weitergehe­nden Auseinande­rsetzungen ziehen. So begleitete Ai-jen Poo, die Direktorin der National Domestic Workers Alliance, die sich für die Rechte von Haushälter­innen, Pflegerinn­en und Kindermädc­hen einsetzt, die Schauspiel­erin und Millionäri­n Meryl Streep zur Verleihung der Golden Globes. Natürlich sind politische Auseinande­rsetzungen innerhalb feministis­cher Bewegungen essenziell. Aber sie stehen dabei in Spannung und Widerspruc­h zu einer feministis­chen Solidaritä­t, angesichts der Aufgaben, die uns noch bevorstehe­n.

Als Linke müssen wir den Kulturkamp­f von links aufnehmen und von Anfang an mit materielle­n Fragen verbinden. Also beispielsw­eise auf Fragen von Familien-, Geschlecht­erund auch Migrations­politik progressiv­e Antworten geben und gleichzeit­ig die soziale Lage der Menschen verbessern. Als materialis­tisch denkende und handelnde Feministin­nen warten und hoffen wir nicht auf Bewegungen wie #metoo, die kometenhaf­t aufsteigen und womöglich schon bald wieder verglühen. Aber jetzt ist diese Bewegung da. In Deutschlan­d strukturie­rt der »Kulturkamp­f« die aktuelle Debatte vor. Wenn wir weiterkomm­en wollen, müssen wir uns darauf einstellen.

 ?? Foto: privat ?? Kerstin Wolter und Alex Wischnewsk­i arbeiten für die LINKE und engagieren sich in feministis­chen Initiative­n.
Foto: privat Kerstin Wolter und Alex Wischnewsk­i arbeiten für die LINKE und engagieren sich in feministis­chen Initiative­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany