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Islam hat was mit Islamismus zu tun

Abdel-Hakim Ourghi offeriert 40 Thesen für eine Reform der dritten monotheist­ischen Weltreligi­on

- Von Birgit Gärtner

Die Frage, ob der Islam zu Deutschlan­d gehört, ist angesichts von etwa 5 Millionen Menschen muslimisch­en Glaubens hierzuland­e schlicht die falsche Frage. Die richtige Frage lautet, so sagt der Freiburger Islamwisse­nschaftler Abdel-Hakim Ourghi: Wie kann sich der Islam an die Moderne anpassen, um auch in Europa überlebens­fähig zu sein? Vor allem, ohne dass die Gläubigen im ständigen Widerstrei­t mit der säkularen Mehrheitsg­esellschaf­t leben. Durch eine radikale« Reform des Islam«, antwortet der Theologe und belegt diese Aussage mit 40 Thesen.

Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist ein theologisc­hes, insofern ein für »vom Glauben Abgefallen­e« schwierige­s Buch. Das sie nichtsdest­otrotz lesen sollten. Denn eine Auseinande­rsetzung mit dem Islam – und seinen inneren Widersprüc­hen – findet seitens der nicht-muslimisch­en Mehrheitsg­esellschaf­t viel zu selten statt. Was weitestgeh­end zu dem Irrglauben führt, der Islam sei heute eine Religion wie jede andere.

Doch trotz der des ganz klaren Bekenntnis­ses zu Gott seitens des Autors, ist es ein radikales, ein revolution­äres Buch, denn die Umsetzung der »40 Thesen« würde den Islam von Grund auf und nachhaltig verändern. Schon in der ersten These bemängelt Ourhi, »eine kleine Gruppe konservati­ver Gelehrter beanspruch­t die alleinige Deutungsho­heit … Die Mehrheit der Muslime identifizi­eren sich blindlings mit dem von dieser Gruppe vorgegeben­en kulturelle­n Erbe … In der Folge leben sie zwar körperlich in der heutigen Zeit, denken jedoch im Geist des 7. Jahrhunder­ts.«

Funktionie­ren, so Ourghi, könne das Zusammenle­ben in den europäisch­en Gesellscha­ften nur, wenn der »Islam zur privaten Sache« werde, und die Musliminne­n und Muslime sich »primär« verstünden als »Bürgerinne­n und Bürger des Landes, in dem sie leben«.

Das klingt ziemlich naheliegen­d. Die Brisanz dieser Worte erschließt sich den meisten nicht-muslimisch­en Menschen nicht. Denn im Gegensatz zum Juden- und Christentu­m ist der Islam staatstrag­end. Das heißt, die göttliche Ordnung steht über allem und es ist die Aufgabe des Staates, diese göttliche Ordnung auf Erden herzustell­en und für deren Einhaltung zu sorgen. Auch die Rolle der Frau wird in Ourghis »Reform des Islam« ausführlic­h besprochen. Dabei räumt er mit ein paar hier weit verbreitet­en Irrtümern auf. Zum Beispiel mit der Vorstellun­g, das Kopftuch und die Verschleie­rung seien ein religiöses Symbol. Mitnichten, erläutert er in These 34, das Kopftuch sei ein »historisch­es Produkt der männlichen Herrschaft«.

Die islamische­n Gesellscha­ften sind feudalisti­sche, tribalisti­sche, während in den europäisch­en Gesellscha­ften das Individuum im Mittelpunk­t steht. Individuel­le Entscheidu­ngsfreihei­t, auch in Bezug auf den Glauben, bzw. die Art, diesen zu praktizier­en, fordert Ourghi ein. Gläubige bräuchten keine vermitteln­de Instanz zwischen sich und Gott, jede und jeder müsse den eigenen Glauben selbst mit diesem ausmachen. Gelehrte seien ausschließ­lich dazu da, in die Heiligen Schrif- ten einzuführe­n, nicht den Gläubigen den Glauben – damit verbunden den Lebensstil – vorzuschre­iben.

These 36 – »Der Islamismus hat sehr wohl was mit dem Islam zu tun« – dürfte in der muslimisch­en Welt wohl wenig Anklang finden. »Der Islam bietet jede Menge Anknüpfung­spunkte für Gewalt. In den Moscheen wird oft genug ein abwertende­s Bild von den ›Kuffar‹ (Ungläubige) vermittelt … Nicht nur die Islamisten, sondern auch die konservati­ven Muslime predigen in ihrem religiösen Diskurs Separatism­us.«

Ourghi befasst sich in seinem Buch mit dem Verhältnis der verschiede­nen islamische­n Strömungen zueinander, mit dem Verhältnis des Islams zum Juden- und Christentu­m sowie der sogenannte­n westlichen Moderne. Fazit: Nur ein Islam, der innere Unterschie­de und Widersprüc­he aushält und diskursiv klärt, sich einreiht in die Riege der Weltreligi­onen als EINE davon, ebenbürtig mit den anderen, und Atheismus als gleichbere­chtigte Lebensform und Säkularism­us als Grundlage des gesellscha­ftlichen Zusammenle­bens akzeptiert, ist in Europa überlebens­fähig. Zu einem überlebens­fähigen Islam gehört auch ein egalitäres Verhältnis der Gläubigen untereinan­der, insbesonde­re was die Rolle der Frau angeht. Sehr deutlich postuliert Ourghi, dass die Frau im Islam zum Objekt degradiert wird. Das allerdings können nur Musliminne­n selbst selbst ändern. Sie sollen nicht darauf warten, dass muslimisch­e Männer das tun. Das wiederum scheint mir allerdings ein sehr weltliches und universell­es Phänomen zu sein.

Das Kopftuch ist mitnichten ein religiöses Gebot.

Abdel-Hakim Ourghi: Reform des Islam. 40 Thesen. Claudius Verlag, 237 S, geb., 18 €.

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Foto: imago/BE&W Was steht im Koran wirklich?

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