nd.DerTag

Kreuzberg vorbei!?

Das Debütalbum der Berliner Straßenpop-Band Vizediktat­or

- Von Samuela Nickel Vizediktat­or: »Kinder der Revolution« (Sportklub Rotter Damm/Indigo)

Schrammeli­g und mit einer Stimme in Schieflage beginnt das an diesem Freitag erscheinen­de Debütalbum »Kinder der Revolution« von Vizediktat­or. Mit der treibenden Gitarre und den gekläfften Vocals auf Deutsch erinnert es an die Hamburger Schule. Kein Wunder, dass die Band bei einem Label aus dem Norden unter Vertrag ist. Ihr Song »Hamburg schmerzt« lässt sich als Gruß an 1000 Robota (»Hamburg brennt«) verstehen. Nur stehen die Straßen hier nicht in Flammen, sondern es wird die

ganze Nacht getanzt und gekokst. Die Texte rund um Schiffe, Inseln und Kapitäne verleihen dem Album zusätzlich ein möwengraue­s Nordsee-Flair.

Upbeat-Gitarren konterkari­eren die düsteren Texte der selbst ernannten Straßenpop-Band. »Die Welt geht vor die Hunde, so könnten wir das sehen/ Aus bunt wird braun und alle bleiben stehn!«, singt Bassist Benjamin Heps in »Hollywood Europa«; »Die Hand deiner Mörder/ wird deine eigene sein/ denn ein Land voller Mörder/ lässt dich allein« in »Stimme der Verfolger«. Dazu ertönen »Uhhh«und »Aahh«-Backvocals, durch die zwar Fingerschn­ipplust aufkommt, die den Texten aber auch ihre Ausweglosi­gkeit und Dringlichk­eit nehmen.

Angefangen haben Benjamin Heps und Hannes G. als Folkpunk-Duo. Als Marco Damascheck und Max Paul Maria hinzukamen, gründeten sie Vize- diktator. Zwar werden auf dem Album noch immer aufrühreri­sche Töne angestimmt, zurück bleibt aber ein Nachgeschm­ack von altem Zigaretten­rauch und zu viel Wein bei vergangene­n politische­n Diskussion­en. Im Titelsong wird Berlin im Takt des Basses zur sterbenden Stadt, in der alles abgerissen wird. Die »Kinder der Revolution« sind müde: »keine Reden, keine Träume« mehr. Geschramme­lte Molltöne in »Kreuzbergs Scherben«, während Banalitäte­n des 1. Mai (die heile Welt vorm Späti) auf- und Polizisten abgezählt werden. Fazit: »Kreuzberg vorbei!«

Aber ganz so fatalistis­ch ist die Stimmung unterm Strich doch nicht. Klar heißt es: »Wir sind geboren, um kaputt zu sein!«. Aber auch: »Wir sind nicht allein?!« Das Fragezeich­en ist wohl als Aufforderu­ng zu verstehen. Vizediktat­or machen vor, wie es geht – mit nacktem Arsch vor dem AfDBüro.

 ?? Foto: Gestaltung­sbüro Mrozik ?? »Vizediktat­or« starten Ende Februar ihre Tour in Hamburg.
Foto: Gestaltung­sbüro Mrozik »Vizediktat­or« starten Ende Februar ihre Tour in Hamburg.
 ??  ?? Plattenbau
Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

Newspapers in German

Newspapers from Germany