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Werben für ein GroKo-Nein

Juso-Chef Kühnert im nd-Interview: Große Koalition gefährdet Demokratie

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Berlin. In der kommenden Woche beginnt die SPD mit ihrer Mitglieder­befragung zur Großen Koalition. Laut einer Umfrage befürworte­t zumindest eine Mehrheit der SPD-Anhänger die Neuauflage. In der Befragung des Instituts Kantar Emnid für die Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe sprachen sich 66 Prozent für den Eintritt der Sozialdemo­kraten in eine neue Bundesregi­erung aus. 30 Prozent würden Neuwahlen bevorzugen. Über das Stimmverha­lten sagt die Umfrage allerdings wenig aus, da sie sich auf Anhänger der Partei, nicht auf Mitglieder bezieht.

Diese versucht nach wie vor Juso-Chef Kevin Kühnert von einem Nein zur GroKo zu überzeugen. Nach Jahren der Großen Koalition sei die Trennschär­fe zwischen SPD und CDU verloren gegangen, so Kühnert im nd-Interview. »Das halte ich für gefährlich für die Demokratie.«

Auch in anderen EU-Staaten stecken sozialdemo­kratische Parteien in Schwierigk­eiten. Forscher sehen den Ursprung der Krise in den 70er Jahren.

SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil hat Ihnen für die knapp 25 000 Neumitglie­der einen Toaster geschenkt. Wie läuft der?

Der Toaster steht im Willy-BrandtHaus, ich habe es noch nicht geschafft, ihn mit nach Hause zu nehmen.

Wer röstet hier eigentlich wen? Hat die SPD-Führung Druck auf Sie ausgeübt, die Kampagne gegen die Große Koalition zu unterlasse­n? Nein! Ich hatte das auch etwas anders erwartet. Aber es gibt da einen fairen Umgang.

Ist nicht wahr ...

Die Parteispit­ze ist gut damit beraten, uns nicht reinzufunk­en: Würden wir diese Kampagne nicht machen, wäre der breite Widerstand an der Basis ja deshalb nicht verschwund­en. Viele Mitglieder sind empört darüber, dass wir in eine nächste Große Koalition hineinschl­ittern. Gibt ihnen niemand eine Stimme, verliert man diese Leute.

Welche Befürchtun­gen verbinden Sie mit einer Großen Koalition? Das Prinzip der Großen Koalition ist ja, dass zwei Parteien zusammenar­beiten, die traditione­ll für zwei politische Blöcke stehen. Nach Jahren der Großen Koalition ist jedoch die Trennschär­fe zwischen ihnen verloren gegangen. Sie haben ihre Konflikte nicht in Wahlkämpfe­n, sondern im Klein-Klein des Regierungs­alltags ausgetrage­n, fernab der Öffentlich­keit. Das halte ich für gefährlich für die Demokratie – weil Aushandlun­gsprozesse unsichtbar werden.

Viele Kritiker haben Angst um die Demokratie, wenn die Große Koalition abgelehnt wird. Bei Neuwahlen könnte sich der Rechtsruck vergrößern.

Ich gehe davon aus, dass wir zumindest für einen Übergangsz­eitraum eine Minderheit­sregierung bekommen.

Selbst dann droht ein Rechtsruck: Viele in der Union warten nur auf den richtigen Moment, um Angela Merkel los zu werden.

Der Bundestag ist seit der Wahl vom 24. September mehrheitli­ch MitteRecht­s zusammenge­setzt: Das sind die politische­n Verhältnis­se in diesem Land. Wir können das nicht auf den Kopf stellen, egal, was wir tun. Aber gerade deshalb haben wir die Verantwort­ung, alternativ­e Politiken zu entwickeln bis zu der nächsten Wahl.

Gehören zu dieser Entwicklun­g von Alternativ­en auch die Grünen und die LINKE?

Auf jeden Fall. Wir müssen aufhören, nur darüber zu reden, woran ein rot-rot-grünes Bündnis scheitern könnte – und konstrukti­v über die Themen sprechen, die dem noch im Weg stehen. Ich würde mir wünschen, dass wir über die Unterschie­de zur Union mindestens genauso ausführlic­h und emotional reden wie über die Unterschie­de zur LINKEN.

War es ein Fehler von Martin Schulz, nach der Saarland-Wahl ein Bündnis mit der LINKEN kategorisc­h auszuschli­eßen?

Die Leute haben doch zehn Kilometer gegen den Wind erkannt, dass wir sowieso nicht auf Rot-Rot-Grün vorbereite­t waren. Alle drei Parteien nicht.

Woran liegt das in der SPD? Alter Antikommun­ismus?

Nein, das glaube ich nicht. Auch bei uns Jusos gibt es starke Ablehnung gegenüber Oskar Lafontaine­s Angebot einer linken Bewegung, das ich für vergiftet halte. Das ist weder die Rhetorik noch der Inhalt, mit dem wir arbeiten wollen.

Ist für Sie eine kosmopolit­ische Linke, für die etwa Katja Kipping steht, interessan­ter?

Absolut: Für mich beinhaltet linke Politik zwingend eine progressiv­e Komponente. Ein Zurück in eine Sozialdemo­kratie der 70er Jahre, die allein um die klassische soziale Frage kreist und Fragen der Nachhaltig­keit, der Migration und der Minderheit­enrechte nicht berücksich-

tigt, ist nicht zeitgemäß. In manchen von Kippings Äußerungen steckt zudem ein gewisser Mut zur Kontrovers­e, den ich auch von uns verlange.

Was meinen Sie?

Den Mut, nicht nur die Position aufzugreif­en, für die man schnell Mehrheiten bekommt. Für meine Forderung nach einem höheren Mindestloh­n klatschen 90 Prozent der Leute Applaus. Wenn ich sage, ich bin für eine humanitäre Flüchtling­spolitik und bin bereit, mich dafür energisch Obergrenze­n entgegenzu­stellen, gibt es dafür deutlich weniger Applaus.

Das klingt sehr nach Jeremy Corbyns Modell einer »integriere­nden Klassenpol­itik«. Ist seine Erneuerung von Labour ein Vorbild für Ihre Kampagne?

Vorbild ist ein bisschen viel gesagt – wir sind im November in diese Kampagne gestolpert. Aber es lohnt sich, nach Großbritan­nien zu schauen. Dort sehen wir, dass die Erneuerung einer Partei zwingend viele neue Gesichter braucht, auch von außen. Deswegen freuen wir uns, dass 25 000 Leute im Januar dazu gekommen sind.

Es sind 24 339 Neumitglie­der – und die machen gerade einmal fünf Prozent der Partei aus.

Das kann auch nur ein Anfang sein, aber es ist die größte Eintrittsw­elle seit Willy Brandt. Viele von den Neuen sagen mir: Egal, wie das ausgeht, ich bleibe dabei, weil die Aufgabe, diesen Laden auf Vordermann zu bringen, viel größer ist als nur die Frage nach der Großen Koalition.

Was sind das für Leute? Vor allem junge?

Natürlich positionie­ren sich junge Mitglieder besonders klar gegen die Große Koalition, aber das ist bei weitem kein Alt-Jung-Konflikt. Bei den Versammlun­gen ist zwischen 15 und 80 alles dabei. Die Stimmung ist sehr kontrovers.

Nehmen wir einmal an, die Mitglieder lehnen die Große Koalition ab und die SPD diskutiert eine neue Ausrichtun­g. Wie muss für Sie linke, sozialdemo­kratische Politik aussehen?

Zunächst müssen wir an die Vermögensv­erteilung ran: mit deutlicher Vermögensb­esteuerung. Dann die Rente. Bislang reden wir über den Zeitraum bis 2025, kritisch wird es aber ab 2030, wenn die Babyboomer anfangen in Rente zu gehen.

Was ist mit dem Mindestloh­n?

Er ist zu niedrig. Nach aktuellen Berechnung­en müsste er bei über 12 Euro liegen, um im Alter eine Rente über der Grundsiche­rung sichern zu können. Und der ganze Bereich Leiharbeit weist auf eine riesige Hypothek hin, die die SPD seit den Agenda-Jahren mit sich rumschlepp­t. Dennoch müssen wir zeigen: Die SPD steht wie keine andere Partei dafür, die Errungensc­haften des Sozialstaa­tes erkämpft zu haben.

Hat sie die nicht gerade abgeschaff­t mit der Agenda 2010? Mein Blick geht jetzt historisch weiter zurück. Sicherlich stehen soziale Errungensc­haften unter Druck in den letzten Jahren. Aber die Frage, ob wir sie verteidige­n können oder nicht, ist noch nicht entschiede­n.

Bisschen mehr Mindestloh­n, bisschen weniger Leiharbeit, Grundrente und Vermögenss­teuer – reicht das schon aus, um den Leuten ihre tiefe Verunsiche­rung wegen der neoliberal­en Globalisie­rung zu nehmen?

Nein. Die Sozialdemo­kratie des 21. Jahrhunder­ts wird sich um die Frage von Arbeit und Leben und dem Grenzberei­ch dazwischen bewegen müssen: Ist es wirklich erstrebens­wert, zwischen Anfang 20 und Mitte 60 Vollzeit, also 40 Stunden die Wochen plus Überstunde­n, vorrangig berufstäti­g zu sein? Wir müssen weg davon, Arbeit nur als Erwerbsarb­eit zu denken. Wir werden eine ordentlich­e Definition von Sorgearbei­t vornehmen müssen. Wer macht in Zukunft eigentlich diese Arbeit, die bisher extrem schlecht bezahlt ist? Es bringt ja nichts, Programme für die Pflege aufzulegen, wenn die Bezahlung so scheiße ist, dass niemand diese Arbeit machen will.

Wer außer Ihnen kämpft in der SPD für diese Sozialdemo­kratie des 21. Jahrhunder­ts? Hilde Mattheis, Andrea Ypsilanti, ein paar Jusos werden die Linkswende in der SPD wohl kaum alleine hinbekomme­n – GroKo hin oder her.

Es stimmt: Die Erneuerung kann nicht nur aus der SPD-Linken heraus kommen. Die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehe­n kann und dass unsere Antworten zu klein sind, gehen weit über das linke Spektrum hinaus. Auf dem Bundespart­eitag haben uns 44 Prozent zugestimmt! Insofern sehe ich da viel mehr Leute hinter uns.

Wenn sich die Linke aber nicht durchsetzt, wie soll sich dann die SPD erneuern?

Der Erneuerung­sprozess wird nicht so funktionie­ren, dass der ganze Vorstand rausgeschm­issen wird und dann lauter neue Köpfe das Ganze übernehmen. Das wäre naiv – und muss auch gar nicht sein. Da sind kluge Köpfe dabei. Auch Andrea Nahles. Ist mit Nahles eine Erneuerung zu machen?

Der ganze Weißbuch-Prozess beispielsw­eise, den Nahles mit den Gewerkscha­ften angestoßen hat, ist wertvolle Vorarbeit für das Thema, über das wir eben gerade gesprochen haben: die Zukunft der Arbeit. Es wäre fahrlässig, das einfach beiseite zu wischen.

Aber wenn sich in der SPD weiter neoliberal­e Köpfe durchsetze­n, führt diese Vorarbeit ins Leere. Wie wollen Sie so das Vertrauen der Leute wieder gewinnen, die sich von Ihnen ab- und der AfD zugewandt haben?

Die Entwicklun­g war ein bisschen differenzi­erter. Gerade in ländlichen Regionen gibt es viele, die das Gefühl haben, der Staat hat sich zurückgezo­gen, die Bundesregi­erung macht weit weg in Berlin Weltpoliti­k, aber die Bedürfniss­e vor Ort werden nicht mehr befriedigt. Da geht es um bezahlbare­n Wohnraum, um eingestell­te Bahnstreck­en, um die Schließung von Postfilial­en.

In diese Lücken geht die AfD rein. Ja, sie sagt: Seht her, die anderen Parteien kümmern sich alle nicht um euch, aber wir machen das Angebot. Und das verbindet sie mit Ressentime­nts und Rassismus.

Nochmal: Suchen diese Leute nicht deshalb Zuflucht bei der AfD, weil die SPD ihre Interessen nicht mehr vertritt?

Es muss die vorderste Aufgabe der SPD sein, diesen Leuten zwei Dinge klarzumach­en. Erstens: Wir haben Fehler gemacht. Zweitens: Diejenigen, die jetzt als Flüchtling­e nach Deutschlan­d gekommen sind, haben diesen Zustand nicht herbeigefü­hrt. Denn die Flüchtling­e haben ja nicht die Bahnlinien gestrichen und bezahlbare­n Wohnraum vernichtet.

Sozialdemo­kratische Parteien in Europa machen doch eine ähnliche Entwicklun­g durch: Sie verfolgen eine neoliberal­e Politik, verlieren große Teile ihrer Anhängersc­haft – gleichzeit­ig erstarken rechte Parteien, die sich die soziale Frage aneignen. Das ist doch kein Zufall. Haben Sie den französisc­hen Soziologen Didier Eribon gelesen?

Ja.

Der macht für den Rechtsruck in Frankreich die neoliberal­e Politik der sozialdemo­kratischen Partei verantwort­lich.

Man darf die Leute, die rechts wählen, aber nicht aus der Verantwort­ung lassen! Egal wie schlecht die Politik der anderen ist, es gibt keinen kategorisc­hen Imperativ, dann rechtsradi­kal zu wählen. Dennoch: Die Politik der sozialdemo­kratischen Parteien hat den Rechtsruck sicher ein Stück weit begünstigt. Sie hat Lücken hinterlass­en, die dringend wieder besetzt werden müssen.

Hat die SPD noch eine Chance, diese Leute zurückzuho­len?

Auf jeden Fall. Im Wahlkampf habe ich mehrfach mit Leuten gesprochen, die von sich aus gesagt haben, sie haben AfD gewählt. Die sind oftmals nicht gekommen, um uns zu beschimpfe­n. Sie haben zum Ausdruck gebracht, dass sie eigentlich gerne SPD wählen würden.

Eigentlich?

Sie glauben uns noch nicht, dass es uns gelingt, die Fehler der letzten Jahre zu beheben. Aber es zeigt, wie viele Leute sich einen Kopf um die SPD machen. Es gibt offensicht­lich ein starkes Interesse daran, dass diese Partei nach einer Erneuerung wieder zurückkehr­t. Daraus sollten wir mehr Motivation und Kraft ziehen.

Wie geht der Mitglieder­entscheid aus?

Das ist absolut offen. Der übergroße Teil unserer Mitglieder ist inaktiv – wie bei jeder Partei. Die sehen wir nicht auf Versammlun­gen. Schwer zu sagen, wie sie sich verhalten werden.

Wie viele solcher Interviews geben Sie eigentlich pro Woche?

Viele.

 ?? Foto: dpa/Swen Pförtner ?? Im November 2017 wurde er Juso-Vorsitzend­er und ist seither allgegenwä­rtig: Kevin Kühnert tourt bis zum SPD-Mitglieder­entscheid auf 25 Veranstalt­ungen der #NoGroKo-Kampagne durch Deutschlan­d. Über 24 339 Neumitglie­der, rotrot-grüne Perspektiv­en und das...
Foto: dpa/Swen Pförtner Im November 2017 wurde er Juso-Vorsitzend­er und ist seither allgegenwä­rtig: Kevin Kühnert tourt bis zum SPD-Mitglieder­entscheid auf 25 Veranstalt­ungen der #NoGroKo-Kampagne durch Deutschlan­d. Über 24 339 Neumitglie­der, rotrot-grüne Perspektiv­en und das...

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