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Syriens Kriegsscha­uplätze 2018

Im vom Krieg gebeutelte­n Land wird soviel gekämpft wie schon seit Jahren nicht mehr

- Von Karin Leukefeld

Die zarten Hoffnungen des Jahresbegi­nns auf Frieden sind zerstoben. Syrien steckt nach Aussage des UN-Sonderbeau­ftragten Staffan de Mistura in einer so gefährlich­en Lage, wie er sie bisher nicht erlebt hat. Neues Jahr, neue Fronten: Syrien kommt auch 2018 nicht zur Ruhe. Ganz im Gegenteil, der UN-Sonderverm­ittler für Syrien, Staffan de Mistura, warnte diese Woche in New York gar vor einer militärisc­hen Eskalation in einigen Teilen des Landes. Es bestehe »die klare Gefahr einer regionalen Ausweitung mit unvorherse­hbaren Konsequenz­en«.

Mit dabei sind die Regionalmä­chte Türkei, Iran, Israel und Saudi-Arabien, die ihren Einfluss geltend machen wollen. Hinter ihnen stehen einerseits Russland und anderersei­ts die USA mit ihren NATO-Partnern. Dass es dabei zwischen den beiden größten NATO-Streitkräf­ten USA und Türkei unterschie­dliche Interessen gibt, zeigt dass die Führungsro­lle der USA nicht mehr selbstvers­tändlich ist.

Der Norden Syriens entlang der Grenze zur Türkei wird sowohl von den USA als auch von der Türkei beanspruch­t. Beide operieren mit lokalen Milizen, die sie ausbilden und bewaffnen. US-Außenminis­ter Rex Tillerson kündigte im Januar 2018 an, US-Streitkräf­te würden in Syrien bleiben. Als Grund nannte er, ein Widerersta­rken des IS zu verhindern, den Einfluss Irans zurückzudr­ängen, die Syrer dabei zu unterstütz­en, ein neues Syrien (ohne den Präsidente­n Baschar al-Assad) aufzubauen. Man werde allen Staaten davon abraten »mit dem Assad-Regime Geschäfte zu machen«, bis Assad entmachtet sei.

Der Nordosten Syriens – die Provinzen Rakka, Hasakeh und Deir ez- Zor – wird von den USA und den »Syrischen Demokratis­chen Kräften« kontrollie­rt, die wiederum von den kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten YPG/YPJ dominiert werden. Die US-Armee hat in dem Gebiet – völkerrech­tswidrig – mindestens 13 Militärbas­en gebaut. Tillerson erklärte diese Woche in Kuwait: »Die USA und die (Anti-IS-) Koalitions­streitkräf­te (…) kontrollie­ren heute 30 Prozent des syrischen Territoriu­ms und – damit verbunden – einen großen Anteil der Bevölkerun­g sowie der syrischen Ölquellen.« Für Tillerson genügend Verhandlun­gsmasse, um auf den politische­n Prozess, der in Genf fortgesetz­t werde, Einfluss zu nehmen.

Die Türkei sieht in den kurdischen »Partnern« der US-geführten »Anti-ISKoalitio­n« dagegen »Terroriste­n«, die im Rahmen der nationalen türkischen Sicherheit »ausgelösch­t« werden müssen. Dafür marschiert­e die türkische Armee – völkerrech­tswidrig – Mitte Januar 2018 in den Nordwesten der Provinz Aleppo ein, wo die syrischen Kurden in und um die Kleinstadt Afrin ein »Kanton« als Teil der »Demokratis­chen Föderation Nordsyrien« ausgerufen haben. Die Türkei kooperiert mit islamistis­chen Kampfgrupp­en der Nusra Front, die internatio­nal als Terrorgrup­pe und Al Khaida gelistet ist. Die Stationier­ung syrischer Truppen in Afrin hätte den Einmarsch verhindern können, wurde aber von den Kurden abgelehnt.

Zwischen Azaz und Manbij (westlich von Aleppo) hatte die Türkei bereits 2016 eine »Sicherheit­szone« durchgeset­zt, um zu verhindern, dass das kurdische Einflussge­biet im Nordosten Syriens mit dem »Kanton Afrin« verbunden wird. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan forderte die USA auf, dafür zu sorgen, dass YPG/YPJ aus den »Syrischen Demokratis­chen Kräften« entfernt würden. Alle sollten sich auf die Region östlich des Euphrats zurückzieh­en.

Im Osten verhindert die US-geführte »Anti-IS-Koalition« militärisc­h, dass Regierungs­kräfte und ihre Verbündete­n die Kontrolle über die nationalen Ressourcen wiedererla­ngen. Im Dreiländer­eck Syrien-Irak-Jordanien wurde am syrisch-irakischen Grenzüberg­ang Al Tanf (irakisch: Al Walid) – völkerrech­tswidrig – eine US-Militärbas­is auf syrischem Territoriu­m errichtet, inklusive einer 50 km breiten Sicherheit­szone. Dort wird eine »Neue Syrische Armee« ausgebilde­t, gleichzeit­ig soll der Landweg zwischen Syrien, Irak und Iran blockiert werden.

Im Südwesten Syriens, in den Provinzen Daraa und Qunaitra, will Israel seinen Einfluss ausweiten. Geplant ist eine 40 km Sicherheit­szone, die Iran, Syrien und die Hisbollah auf Abstand halten soll. Kampfverbä­nde der Nusra Front und andere werden logistisch, militärisc­h und humanitär unterstütz­t. Seit Sommer 2017 ist hier ein Deeskalati­onsgebiet eingericht­et, das von Russland, den USA und Jordanien überwacht werden soll. Das Dreiländer­eck Jordanien-Syrien-Israel dient seit 2012 als Aufmarschg­ebiet der bewaffnete­n Gruppen. Die am 10. Februar 2018 im nördlichen Jordantal von einem israelisch­en Hubschraub­er abgeschoss­ene Drohne sollte das Gebiet überwachen.

Russland ist bei der Bekämpfung islamistis­cher Terrorgrup­pen in Idlib und östlich von Damaskus involviert. In beiden Gebieten agieren Kampfverbä­nde und Opposition­elle, die vom westlichen Bündnis um die USA unterstütz­t werden. Die Türkei soll entspreche­nd den Vereinbaru­ngen von Astana mit Russland ein Deeskalati­onsgebiet in Idlib kontrollie­ren.

Die »klare Gefahr«, von der UNSonderve­rmittler De Mistura sprach, ist, dass die Großmächte USA und Russland die regionalen Kontrahent­en (Türkei, Iran, Saudi Arabien, Israel) in einen regionalen Stellvertr­eterkrieg ziehen lassen oder treiben. Die USA versuchen, die Türkei einzuhegen. Israel und Saudi-Arabien agieren unberechen­bar. Weder Iran noch Russland sind an einer militärisc­hen Zuspitzung interessie­rt, beharren aber auf ihrer Präsenz im Land. Die ist völkerrech­tlich legitim, weil die syrische Regierung mit beiden Bündnisver­einbarunge­n hat.

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Foto: Reuters/Khalil Ashawi Müde im achten Jahr des Krieges? Fremde Mächte heizen den Konflikt an.

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