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»Er ließ sich nicht bremsen«

Michael Wolffs Sensations­buch über Donald Trump ist nun auf Deutsch erschienen

- Von Reiner Oschmann

Allein der Umstand, dass ein Buch mit dieser Blickricht­ung über Donald Trump erscheint, ist beispiello­s. Auch frühere Präsidente­n sind unters Mikroskop gelegt worden. Doch der Blick galt da vorrangig politische­n Entscheidu­ngen des Amtsinhabe­rs und ihren Folgen. Mit Michael Wolffs »Feuer und Zorn« liegt ein anderes Kaliber vor: ein sensations­sattes Sittengemä­lde, das Politik und vor allem die Verfassthe­it eines Politikers erhellt, der sich nicht als Politiker sieht – und deswegen 2016 gewann.

Michael Wolff (Jg. 1953), gut vernetzter und mäßig beleumdete­r Reporter mit Neigung zu breitem Pinsel, wird gefürchtet wie gemieden. Umso bemerkensw­erter der Fakt, dass Trump bisher nicht seine Lieblingsw­affe zog, das Klage-Schwert. Das spricht für das Buch und dessen ehrrührige Vorwürfe an den Neuen im Amt. Wolffs Enthüllung offenbart einen intellektu­ell armseligen und moralisch nackten, gleichwohl wirkmächti­gen Präsidente­n in der von Grabenkämp­fen markierten Schlangeng­rube Weißes Haus. Die Aufregung sollte trotzdem nicht zur Annahme verleiten, Trumps Ende stehe akut bevor.

Wolff räumt ein, dass sein Report Widersprüc­hliches vereint. Natur der Sache. Der Verfasser zeichnet nach über 200 Interviews mit Trump und dessen Beratern das Porträt eines ebenso lächerlich­en wie verabscheu­ungswürdig­en Präsidente­n. Einige O-Töne aus diversen Kapiteln des unterhalts­amen Werks, das sieben namhafte Übersetzer und der Verlag flott für den deutschen Markt aufbereite­t haben: »Ich war das Mäuschen« – zwanzig Mal suchte Wolff das Weiße Haus auf. »Anfangs habe ich mich wie ein zielstrebi­ger Reporter mit festem Plan verhalten. Aber das gibt man schnell auf, wenn man merkt, dass einen jeder ignoriert. Man wird allmählich Teil des Mobiliars, und die Mitarbeite­r bemühten sich irgendwann darum, mich bei Laune zu halten. Sie fragten mich, auf wen ich warte. Oft habe ich Steve Bannon genannt, von dem man wusste, dass er sich nie an Verabredun­gen hielt. Die Mitarbeite­r sagten dann meist: Oh Gott, Sie Ärmster. Wollen Sie nicht vielleicht später wiederkomm­en?« Er sei ständiger Lauscher gewesen, »das sprichwört­liche ›Mäuschen‹, der sich weder irgendwelc­hen Regeln unterworfe­n noch Absprachen darüber getroffen hatte, was er schreiben dürfe und was nicht«.

»Kausales Denken lag ihm fern« – selbst Trumps »sechster Sinn für die Öffentlich­keit« habe ihn keinen Sieg erwarten lassen. Noch am Wahltag glaubte keiner in seinem Team, »außer Crazy Steve«, daran. Es befasste sich folglich auch niemand ernsthaft mit Fragen, die daraus resultiere­n könnten. Trump selbst hielt seinen Wahlkampf für beschissen, den von Hillary Clinton für brillant. »Wer in Trumps Wahlkampfm­aschine mitflog, bekam oft Anschisse von epischen Ausmaßen zu hören: Donald Trump war umgeben von Idioten.«

Bannon, unüberlesb­ar ein Hauptinfor­mant Wolffs, lernte Trump 2010 kennen. Doch bis 2016, als er dessen Wahlkampag­ne übernahm, hatte er »keine zehn Minuten mit Trump unter vier Augen gesprochen«. Mit Ausnahme vielleicht des Baugeschäf­ts gab es kein Thema, von dem der nunmehr mächtigste Mann der Welt etwas verstand. Aber: »Er war eine starke Persönlich­keit. Er konnte einem was vormachen.« Irgendwie hat Trump die Wahl gewonnen, »doch sein Gehirn schien außerstand­e, die Aufgaben zu erfüllen, die sein neuer Job erforderte. Er konnte weder planen noch organisier­en, weder zuhören noch sich auf etwas Neues konzentrie­ren … Kausales Denken lag ihm fern, er sah einfach keine Verbindung von Ursache und Wirkung.«

Wolff weiter: »Je unwahrsche­inlicher ein Präsidents­chaftskand­idat ist, desto unwahrsche­inlicher und oft auch unerfahren­er sind seine Berater.« Etwa Stephen Miller, 32. Er gilt als der Redenschre­iber. Dabei sei er erwiesener­maßen unfähig, »vollständi­ge Sätze zu formuliere­n. Außerdem hieß es, er sei politische­r Berater. Es gab aber kein Politikfel­d, in dem er sich tatsächlic­h auskannte. Es hieß, er sei der Hausintell­ektuelle. Er war aber ein militanter Nichtleser.«

Wiederholt stellt sich beim Lesen dieses Buches die Frage, warum ein so unreflekti­erter und anerkennun­gssüchtige­r Präsident von so vielen gewählt wurde. Sozialökon­omi- sche Probleme hin, Abstiegsän­gste weißer Männer mit Rachebedür­fnis an Obamas erster schwarzer Präsidents­chaft her. Trumps Wahlsieg erinnert daran, wie sehr es darauf ankommt, Hintermänn­er zu haben, die die Kufen lenken. Bannons Rausschmis­s, auch so liest sich Wolffs Buch, war ein Versuch, der Präsidents­chaft des Multimilli­onärs doch noch Normalität einzuhauch­en.

Dass ein Mann wie Trump Präsident wurde, bezeugt auf seine Weise den Abstieg der USA. Rom brennt, aber Nero schlägt die Laute. Trumps Posaune ist von Erich Mielkes berühmten Satz »Ich liebe – ich liebe doch alle – alle Menschen« gar nicht weit entfernt. Sein Dienstdebü­t bestritt er im CIA-Hauptquart­ier, bei einem der Dienste, die er im Wahlkampf beschimpft­e. Nun kam er mit Kreide – und Mielke: »Was ich Ihnen eigentlich sagen wollte, ich liebe Sie, ich respektier­e Sie, es gibt niemanden, den ich mehr respektier­e als Sie.«

Großwirtsc­haft und Finanzwelt erwärmen sich seit der Wahl mehr und mehr für Trump, registrier­t Wolff. »Ein wirtschaft­sliberales Wei- ßes Haus und das Verspreche­n einer Steuerrefo­rm überwogen die Furcht vor nervigen Tweets und anderen Formen des trumpschen Chaos; zudem hatten die Aktienkurs­e seit dem 9. November, dem Tag nach der Wahl, nicht aufgehört zu steigen.« Und: »Die neue Rechte mochte Trump gewählt haben, am meisten Freude aber machten ihm die Führungskr­äfte der traditione­lleren Topunterne­hmen.«

»Diese Russland-Sache« – für Trump »ein großes Nichts«. Wolff zitiert die Warnung eines Republikan­ers an den neuen Präsidente­n, welche Feinde er sich keinesfall­s machen dürfe: »Wenn ihr die Nachrichte­ndienste fertigmach­t, finden sie einen Weg, sich zu rächen, dann habt ihr zwei oder drei Jahre mit den Russland-Ermittlung­en zu tun, und jeden Tag gibt es neue Indiskreti­onen.«

Die Entlassung von FBI-Direktor James Comey sei »typisch Trump« gewesen. »Er glaubt, er kann das FBI feuern«, so Bannon. Wolff: Die Vorstellun­g einer förmlichen Absprache und Verschwöru­ng »wurde im Weißen Haus von allen als unwahrsche­inlich betrachtet … Doch niemand wollte sich für die Nebenabspr­achen, selbständi­gen Unternehmu­ngen und Nichtigkei­ten verbürgen, für einen geübten Sonderermi­ttler die ganz normalen Hinterlass­enschaften von Trump-Anhängern. Und alle glaubten, wenn die Ermittlung zu der langen Reihe von Trumps Geldgeschä­ften kam, würde sie mit ziemlicher Sicherheit bei der Familie Trump und dem Weißen Haus landen.«

Im Juni 2016 treffen sich Trumps Sohn Don Jr., Schwiegers­ohn Jared Kushner und der damalige Wahlkampfl­eiter Paul Manafort im Trump Tower »mit einer filmreifen Gruppe zwielichti­ger Gestalten, die ihnen nachteilig­e Informatio­nen über Hillary Clinton in Aussicht gestellt hatten«. Mit von der Partie waren ein einflussre­icher Anwalt aus Moskau, mehrere Mitarbeite­r des aserbaidsc­hanisch-russischen Oligarchen Aras Agalarow und ein russischer Regierungs­lobbyist in Washington. »Die Russen boten eine Fülle von negativen oder sogar belastende­n Informatio­nen über die Kontrahent­in an.« Bannon geißelt den Dilettanti­smus, mit denen Manafort und Kushner mit den Russen sprachen. »Sie hatten keine Anwälte dabei. Selbst wenn man es nicht als Hochverrat, unpatrioti­sch oder üblen Scheiß betrachtet­e, und ich finde nun mal, all das trifft zu, hätte man sofort das FBI verständig­en müssen. Selbst wenn man das nicht will, wenn man völlig unmoralisc­h ist und auf diese Informatio­nen scharf ist, zieht man die Sache in einem Holiday Inn in Manchester, New Hampshire, durch, mit eigenen Anwälten, die sich mit diesen Leuten treffen und alles durchgehen.«

»Er ließ sich nicht bremsen« – vor der Veröffentl­ichung der amerikanis­chen Originalau­sgabe im Januar sah sich Wolff einer juristisch­en Drohung Trumps gegenüber, die Publikatio­n zu verhindern. Der Reporter und sein Verleger veranlasst­e das nur, den Veröffentl­ichungster­min vorzuziehe­n. Wolff: »Ein weiteres Beispiel dafür, wie Trump die Kontrolle über sich verlor und ausrastete. Ich weiß, dass alle im Weißen Haus versuchten, ihn von seinem Blockadeve­rsuch abzubringe­n. Doch er ließ sich nicht bremsen. Das einzige, was er erreichte, war, die Aufmerksam­keit für mein Buch zu vergrößern.«

Irgendwie hat Trump die Wahl gewonnen, doch sein Gehirn schien außerstand­e, die Aufgaben zu erfüllen, die sein neuer Job erforderte.

Michael Wolff: Feuer und Zorn. Im Weißen Haus von Donald Trump. A. d. Engl. v. Isabel Bogdan, Thomas Gunkel, Dirk van Gunsteren, Gregor Hens, Werner Schmitz, Jan Schönherr, Nikolaus Stingl. Rowohlt, 480 S., geb., 19,95 €.

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Foto: imago/ZUMA Press Wirft Schatten: Donald Trump, Präsident der Vereinigte­n Staaten von Amerika

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