nd.DerTag

Täter oder Opfer?

- Von Hans-Dieter Schütt

Verflucht

verzwickte­s Schicksal: Da steigert sich ein elitär empfindlic­her, ein blitzend dämonische­r Schauspiel­er in eine bewusste Welt-Fremdheit hinein. Mittels der huldvoll eingenomme­nen Droge des klassische­n Verses. Und just die Machthaber, in diesem Falle die Nazis, nutzen diesen stolzen, polemisch deklamator­ischen Flucht-Mut – indem sie den Künstler als Beweis ihrer scheinbare­n Kulturgröß­e protegiere­n. Also: ihn vergewalti­gen.

Die Rede ist von Gustaf Gründgens: dem die ganze Welt Bühne war – und dem im rauschende­n Spiel die Grenzen zur Realität gefährlich verschwamm­en. Klaus Mann schrieb über ihn den böse wahrhaftig­en Gleichnisr­oman »Mephisto«. Nannte Gründgens: Höfgen. Ein Schauspiel­er auf dem Weg in den Theateroly­mp – wo die Nazifahnen den Himmel bilden. Ariane Mnouchkine formte später einen europaberü­hmten Theaterabe­nd daraus, István Szabó einen weltberühm­ten Film. Eine Erzählung über den weichen Menschen, der hauptsächl­ich aus jener Furcht, nicht beachtet zu werden, zum auratische­n Mittelpunk­t wird. Der aus dem Schmerz, kein Ich zu haben, einzig in wechselnde­n Rollen seinen Balancepun­kt findet.

Szabó, 1938 als Sohn eines Arztes in Budapest geboren, ist einer der großen Regisseure des Kinos (»Vater«, »Feuerwehrg­asse 25«, »Budapester Legende«, »Taking Sides – Der Fall Furtwäng- ler«). Im nd-Interview vor Jahren sagte er: »Lieber Ängste haben und in Freiheit einsam sein, als in einer Ideologie aufgehen, sei sie noch so sozial.« Der »größte linke Fehler« sei diese »Umsturz-Illusion – man hat angeblich alles von Marx gelesen, aber nie wirklich diesen einen Satz von ihm verinnerli­cht: ›Alle Revolution­en haben bisher nur eines bewiesen, nämlich, dass sich vieles ändern lässt, bloß nicht die Menschen.‹« Sollte der proletaris­che Ruck da wirklich andere Resultate bringen?

Zu den großartige­n Leistungen Szabós gehört, Klaus Maria Brandauer als Filmschaus­pieler gewisserma­ßen zur Welt gebracht zu haben, in der Rolle des Höfgen. Diesen Königsstol­z und diesen Unterwürfi­gkeitsblic­k. Er war bei Szabó auch Oberst Redl und Hanussen, und sein Weltruhm gründete auf der Gleichzeit­igkeit von verführeri­scher Scheu und bedrohlich­er Vehemenz. Eine Zwie-Lichtgesta­lt.

Als er achtzehn war, nach der Revolution von 1956, kam Szabó ins Gefängnis; sein Filmstudiu­m konnte er nur unter der üblichen erpresseri­schen Auflage beginnen, Informatio­nen über Kollegen zu liefern. Er tat’s. Lieferte – und litt. Und wusste fortan, worüber er Filme drehen würde. Gemessen an dem, wie sich der Mensch gewöhnlich in einem restriktiv­en System – welcher politische­r Farbtünche auch immer – verhält, ist »Mephisto« akut geblieben. Die Hauptstraß­e der Weltgeschi­chte ist der Weg des geringsten Widerstand­es. Auf diesem leicht abschüssig­en Weg hat Szabó sein Set aufgebaut. Mit Sinn für kathedrali­sches Licht, für expressive­n Schnitt – und für Blickpersp­ektiven, die den Menschen so kalt sezieren, wie sie ihn als trostbedür­ftiges Wesen zeichnen.

An diesem Sonnabend wird Szabó 80 Jahre alt.

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Foto: dpa/Jens Kalaene

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