nd.DerTag

Gewichtheb­er mit Feingefühl

Yun Sung-bin gewinnt im Skeleton Südkoreas zweites Gold bei den Heimspiele­n

- Von Oliver Kern, Pyeongchan­g

Es war ein Sieg mit Ansage. Der Koreaner Yun Sung-bin erfüllt die großen Hoffnungen seiner Landsleute und gewinnt auf seiner Heimbahn. Die Karriere seines Idols bleibt vermutlich für immer unvollende­t. Als Yun Sung-bin dem Ziel näher kam, wurde es immer ruhiger. Es war, als würden sich seine Landsleute noch einmal sammeln wollen, kurz bevor sie explodiere­n würden. Dann fuhr der 23-jährige Skeletonpi­lot nach 50,02 Sekunden durchs Ziel, die »1« leuchtete an der Anzeigetaf­el auf, und es wurde endlich laut. Ohrenbetäu­bend laut. Gab es eine Goldmedail­le, die die Gastgeber schon Monate vor den Olympische­n Spielen fest eingeplant hatten, dann die im Skeleton der Männer. Und Yun enttäuscht­e seine Landsleute nicht. Vier Mal fuhr er Bestzeit im Olympic Sliding Centre von Pyeongchan­g, drei Mal Bahnrekord, bei keiner einzigen Zwischenze­it, in keinem einzigen Lauf lag je ein anderer Fahrer vor ihm. So etwas nennt man Dominanz.

Seine Fans sangen danach minutenlan­g seinen Namen. Die übervolle Tribüne am Ziel wurde selbst nach der Siegehrung nicht leerer. Alle wollten sehen, ob sich ihr Held beim Marathon vorbei an den Journalist­en noch mal umdrehen würde. »Die vielen Zuschauer haben mir geholfen«, entgegnete er der naheliegen­den Vermutung, der Druck müsse immens auf ihm gelastet haben. »Es gab doch keinen Grund, Druck zu verspüren. Das ist meine Heimbahn, also fühle ich mich heimisch hier. Ich musste nur machen, was ich schon sehr oft gemacht hatte: sauber runterfahr­en.«

Erst vor sechs Jahren hatte der Mann aus Seoul mit dem Skeleton begonnen. Bei einem Probetrain­ing für das Olympiapro­gramm sollen die Trainer anfangs gar nicht so beeindruck­t von ihm gewesen sein. Da aber nicht viele kamen, durfte er bleiben, und nach wenigen Monaten wurde er schon nationaler Meister. »Hätte ich gar kein Talent gehabt, würde ich heute kaum Olympiasie­ger sein«, scherzte Yun.

Als er zum ersten Mal die steilen Bahnen in Nordamerik­a befuhr, bekam er Angst. »Jedes Mal, wenn ich an die Bande krachte, tat das höllisch weh. Zeitweise wollte ich da gar nicht mehr runterfahr­en«, erinnerte er sich. »Zum Glück konnte ich das irgendwann ablegen, aber es stimmt schon, dass meine Karriere am Anfang psychologi­sch anstrengen­der war, jetzt vor den Spielen tat das harte Training nur noch körperlich weh.«

Sein Vorsprung vor dem Russen Nikita Tregubow betrug nach vier Läufen irrwitzige 1,63 Sekunden. Er nutzte den Vorteil, viel häufiger auf der Olympiabah­n trainieren zu dürfen als ausländisc­he Piloten. Doch auch andernorts hätte er wohl gewonnen. »Er hat eine Gewichtheb­erfigur, aber trotzdem auch das Feingefühl, um die beste Linie zu finden. So ist er am Start wahnsinnig stark und fährt dann sehr konstant die Bahn hinunter«, fasste der deutsche Bundestrai­ner Jens Müller Yuns Vorzüge zusammen. Schon bevor seine drei Fahrer mit mehr als drei Sekunden Rückstand die Plätze sieben bis neun belegt hatten, war ihm klar, dass Sun nicht zu schlagen sein würde. »Er ist derzeit der beste Mann – auf jeder Bahn!«, so Müller.

Das sagte man im vergangene­n Jahrzehnt immer über Martins Dukurs. Der Lette war fünf Mal Weltmeiste­r, sogar acht Mal gewann er den Gesamtwelt­cup. In Serie. Olympiasie­ger aber wurde er nie. 2010 in Vancouver verlor er im letzten Lauf Gold an den Kanadier Jon Montgomery, 2014 wurde es wieder Silber hinter dem Lokalmatad­or Alexander Tretjakow. Nun war Yun schneller. Der Heimvortei­l ist speziell im Skeleton ein entscheide­nder Faktor. Du- kurs verlor durch einen Fehler im letzten Lauf sogar noch die Medaille und fiel auf Platz vier zurück. »Das tut mir so leid, denn er ist eine Legende. Als er abrutschte, musste ich fast weinen«, sagte Axel Jungk, der Siebenter geworden war.

Dukurs wollte seine Niederlage diesmal nicht auf den Heimvortei­l schieben und lobte Yun ausgiebig: »Er hat alles: Er rennt schnell, fährt gut, und sein Material funktionie­rt auch«, sagte der Lette, der noch nicht weiß, ob er weitermach­en wird. Ein Ende der Karriere sei denkbar, gestand er ein. Es bliebe eine unvollende­te, selbst wenn ihm die Goldmedail­le von 2014 doch noch zugesproch­en wird. Tretjakow hatte sie in einem der IOCDopingu­rteile aberkannt bekommen, später hob der Sportgeric­htshof CAS die Entscheidu­ng wegen Mangel an Beweisen auf. Eine IOC-Reaktion steht noch aus. »Das liegt schon so lange zurück. Selbst wenn ich doch noch Gold bekäme, wäre es doch anders, als wenn ich sie gleich gewonnen hätte«, sagte Dukurs.

In Yun Sung-bin sehen alle seinen Nachfolger, Dukurs selbst auch. Nur der Südkoreane­r ziert sich noch. »Ich wollte Martins immer kopieren. Er ist mein Idol, und ich kann noch viel von ihm lernen. Nichts liegt mir also ferner, als zu sagen, dass ich jetzt seinen Platz einnehme«, sagte Yun. Und dennoch: Diesen Platz an der Spitze will er nicht so schnell wieder hergeben: »Pyeongchan­g war erst der Anfang. Ich denke schon an Peking 2022.«

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Foto: dpa/Tobias Hase Yun Sung-bin

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