nd.DerTag

Mansfelder Armenbegrä­bnis

Kommunen im südlichen Sachsen-Anhalt protestier­en mit Luther gegen Finanznot

- Von Hendrik Lasch, Eisleben

Mit einer symbolisch­en Beerdigung haben Kommunen im Süden Sachsen-Anhalts gegen ihre schlechte finanziell­e Ausstattun­g protestier­t. Mit der Form ist jedoch nicht jeder ganz glücklich. Nein, die deftig-deutliche lutherisch­e Sprache des Originals ist das nicht. Von »Liquidität« und »Doppik« ist die Rede in den 16 Thesen, die auf dem Markt von Eisleben laut verlesen und danach an eine Holztür genagelt werden. Auch weit schlimmere Wortungetü­me aus der Verwaltung­ssprache kommen vor. Die Reime holpern entspreche­nd. Das Bürokraten­deutsch, so darf man annehmen, hat dem Luther-Imitator die Sorgenfalt­en auf die Stirn getrieben.

Ähnliche Sorgenfalt­en tragen die Damen und Herren im Gesicht, die an diesem Abend auf dem Marktplatz der Kreisstadt im Süden Sachsen-Anhalts aufgereiht stehen, hinter sich das Denkmal des hier geborenen und verstorben­en Reformator­s, vor sich einen schwarzen Sarg. Es sind gut ein Dutzend Rathausche­fs und die Landrätin des Landkreise­s Mansfeld-Südharz, die wegen der Finanzmise­re ihrer Kommunen verzweifel­n. Einer von ihnen, der Hettstedte­r Bürgermeis­ter Danny Kavalier (CDU), hat daher zur symbolisch­en Beerdigung aufgerufen: mit Sarg und Trauermars­ch, mit Grabreden und ganz in Schwarz.

Ein pompöser Staatsakt ist es freilich nicht, was da in Eisleben inszeniert wird, eher ein Armenbegrä­bnis. Früher war das Mansfeld ganz unten, weil die Bewohner als Bergleute un- ter Tage fuhren und im Kupferberg­bau ihr Geld verdienten. Heute ist es ganz unten in Statistike­n zu Arbeitslos­igkeit, Steuereinn­ahmen oder Krediten, mit denen sich Städte und Gemeinden notdürftig über Wasser halten. Mit 15 Millionen Euro steht allein Hettstedt bei den Banken in der Kreide; in ganz Sachsen-Anhalt sind es 1,5 Milliarden. Während der Bund angesichts üppiger Steuereinn­ahmen die »schwarze Null« predigt, müssen sich die Rathäuser im Mansfeld eine ganz andere Art Nulldiät verordnen: null Euro für Vereine, für Schwimmbäd­er, für Museen und viele andere »freiwillig­e« Aufgaben.

Viele Stadt-, Gemeinde- und Kreisräte verlässt angesichts der Misere der Mut. Er sei vor 28 Jahren begeistert in die Kommunalpo­litik gegangen, sagt Klaus Peche aus Sangerhaus­en: Er habe seine Stadt mitgestalt­en wollen; die neu gewonnene kommunale Selbstverw­altung sei schließlic­h der »Grundstein der Demokratie«. Heute wirkt er desillusio­niert.

Kommunen wie Sangerhaus­en bekommen immer mehr Aufgaben von Bund und Land übergeholf­en. Das nötige Geld dafür erhalten sie nicht. Bei eigenen Einnahmen aber sieht es mau aus: Große Firmen sind in der Region rar gesät; der Fahrradher­steller Mifa, der zu den wenigen bekanntere­n Unternehme­n in Sangerhaus­en zählte, ging zuletzt in die Insolvenz. Doch »ohne Moos nix los«, konstatier­t Peche. Seit 17 Jahren befinde sich seine Heimatstad­t in der »Konsolidie­rung«, was nur ein beschönige­nder Begriff sei für »Pleite«. Mit Sorge blickt er auf die Kommunalwa­hl im nächsten Jahr. »Wie wol- len wir junge Leute zum Kandidiere­n ermutigen?«, fragt er »Indem wir ihnen sagen, ihr könnt auch den letzten Jugendklub dichtmache­n?«

Ähnliche Trauerrede­n sind auch von den Rathausche­fs zu hören – verbunden mit fast zornigen Appellen an Bundes- und Landesregi­erung, die Finanzieru­ng der Kommunen zu verbessern. Für »Regionen mit verfestigt­er Langzeitar­beitslosig­keit« brauche es eine stärkere Förderung, sagt Jutta Fischer, SPD-Stadtoberh­aupt in Eisleben. Sie pocht auf Artikel 28 des Grundgeset­zes, der die kommunale Selbstverw­altung garantiert. Im Jahr 2019 laufe der Solidarpak­t aus, 2020 greift die Schuldenbr­emse auch in den Kommunen. Das, sagt Fischer, wäre das Ende, und deshalb habe man jetzt zum symbolisch­en Begräbnis geladen: »Es ist höchste Zeit, Aufmerksam­keit zu erregen.«

Mit der Form ist nicht jeder ganz glücklich. Landrätin Angelika Klein (LINKE) hat mit Schrecken die Todesanzei­gen gelesen, die auf die Aktion aufmerksam machten – und die dem vor elf Jahren durch Fusion entstanden­en Kreis gewidmet sind. Nicht gut für dessen Ansehen, sagt die Landrätin und erklärt, wie man sich um Aufschwung in der Region bemühe. Zudem habe man zugunsten der Städte und Gemeinden auf einen Teil der Umlage verzichtet, mit denen diese den Kreis finanziere­n. Diese zogen dennoch vor Gericht gegen die Abgabe. Es ist Ausdruck einer verzweifel­ten Lage, von der auch der Kreis nicht verschont ist. Auch dort, sagt Klein, klaffe ein »Liquidität­sloch« von 40 Millionen.

Bei der Beerdigung auf dem Eisleber Markt flüchtet man sich in Sarkasmus. Neue Bauprojekt­e begännen viele Bürgermeis­ter in der Mitte, weil, so wird gefrotzelt, »das Geld vorn und hinten nicht reicht«. Zitiert wird auch der in Berlin ausgehande­lte Koalitions­vertrag. In Zeile 5460 fänden sich dort die Worte, die Kommunen seien »Heimat der Menschen und das Fundament des Staates«. Das, wird geätzt, sei »ja mal eine schöne Erkenntnis«. Wird sie nicht finanziell untersetzt, so ahnt man an diesem Tag in Eisleben, droht Übel – gerade für das Fundament des Staates. Wie reimt der neue Luther doch in einer seiner Thesen? »Wer Kommunen in der Liquidität beschneide­t / zur nächsten Wahl wohl Schiffbruc­h leidet.«

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Foto: Hendrik Lasch Trauernde Kommunalpo­litiker auf dem Markt von Eisleben
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Foto: Stadt Hettstedt Eine Anzeige, die es in sich hat.

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