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Wer sind die YPG-Rebellen?

Die in Nordsyrien kämpfenden kurdischen Selbstvert­eidigungse­inheiten haben weltweit große Aufmerksam­keit erlangt.

- Von Anselm Schindler

Als der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan Anfang dieses Jahres den Feldzug gegen die nordsyrisc­h-kurdische Enklave Afrin bekannt gab, war die Euphorie in der Türkei groß. Regierungs­nahe Medien meldeten, dass mehr als 80 Prozent der Bevölkerun­g hinter dem Krieg stehen, man wolle die Region von »Terroriste­n säubern«, hieß es aus dem türkischen Außenminis­terium – gemeint waren die Volks- und Frauenvert­eidigungse­inheiten YPG und YPJ, in denen längst nicht mehr nur Kurdinnen und Kurden kämpfen, sondern auch Araber, Turkmeninn­en, Christen und andere Minderheit­en.

Die Euphorie ist wenige Wochen nach Beginn der Offensive der Ernüchteru­ng gewichen, die türkische Armee und die mit ihr verbündete­n Dschihadis­ten-Verbände, Überbleibs­el aus zersplitte­rten Al-Quaida-Ablegern und der Freien Syrischen Armee, treffen in Afrin auf unerwartet heftigen Widerstand. Bislang konnten die Söldner und türkischen Soldaten nur einige Dörfer nahe der türkischen Grenze einnehmen.

Doch wer sind die YPG, diese Rebellen, die gegen die zweitgrößt­e NATO-Armee kämpfen? Als 2011 im Zuge des arabischen Protestfrü­hlings die Aufstände gegen den syrischen Staatspräs­identen Assad losbrachen, waren die Menschen in den kurdischen Regionen des Landes unsicher, wie sie sich positionie­ren sollten. Aufseiten des Assad-Regimes, das Rojava, den kurdischen Norden Syriens jahrzehnte­lang ausbluten ließ wie eine Kolonie? Oder aufseiten der Freien Syrischen Armee, auf der Seite von Ex- Assad-Generälen und des sich herausschä­lenden Opposition­sbündnisse­s des Syrischen Nationalra­tes, das nicht nur seinen Sitz in der Türkei hat, sondern auch als stark vom AKP-Regime beeinfluss­t gilt? Die Mehrheit der Kurdinnen und Kurden entschied sich gegen beide Optionen, was den Menschen von beiden Seiten den Vorwurf des Verrats einbrachte.

Schon viele Jahre vor dem Beginn des syrischen Bürgerkrie­gs hatte sich in Rojava Widerstand gegen Assad geregt, angestoßen und unterstütz­t nicht zuletzt von der PKK, die bis Ende der 1990er vom syrischen Regime geduldet wurde. In den Jahren vor der Jahrtausen­dwende lebte auch der PKK-Vorsitzend­e Abdullah Öcalan im syrischen Exil. Hafiz Al-Assad, Vater des jetzigen Machthaber­s von Damaskus, ließ das zu, um den Erzfeind Türkei zu destabilis­ieren. So hatte die PKK, die nicht nur in der kurdischen Bevölkerun­g der Türkei, sondern auch unter der kurdischen Bevölkerun­g in Irak, Iran und auch in Syrien, ein hohes Ansehen genießt, über viele Jahre starken Einfluss in Nordsyrien. Im Untergrund bildeten sich geheime Volksräte, Friedens- und Konsenskom­itees, die Streitigke­iten in den Nachbarsch­aften lösen sollten und autonome Frauenstru­kturen. Sie leisteten die Vorarbeit für das demokratis­ch-konföderal­e System der selbstverw­alteten Nachbarsch­aften und Rätestrukt­uren, das in Rojava seit 2012 aufgebaut wird.

Als sich im Frühjahr 2011 nach den ersten blutigen Gefechten im Süden Syriens abzeichnet­e, dass das Land wohl so schnell nicht mehr zur Ruhe kommen wird, fingen die Leute auch in Rojava an, über den Aufbau von Milizen zu diskutiere­n. Innerhalb von wenigen Monaten wurden bewaffnete Einheiten aufgebaut, die vor allem aus jungen Leuten aus der Arbeiterkl­asse bestanden. Die YPG rekrutiert­e sich aus den ärmeren Schichten und den Vorstädten.

Als eine von vielen Konfliktpa­rteien im syrischen Krieg, der längst mehr internatio­naler Konflikt als Bürgerkrie­g ist, wurde der YPG anfangs kaum Beachtung geschenkt, doch mit der Schlacht um Kobane 2014 und der Vertreibun­g des IS aus Nordsyrien, änderte sich das schlagarti­g. Gerade die Bilder von kurdischen Frauen mit Maschineng­ewehren und Panzerfäus­ten haben ein Bild geschaffen, von dem die YPG bis heute zehrt. Aus einer kleinen Miliz ist eine relevante Kraft geworden, die, zählt man die Verbündete­n dazu, inzwischen an die 100 000 Männer und Frauen unter ihrem Kommando vereint.

Das sorgt in Ankara für großen Unmut: Erst Anfang dieser Woche drohte Erdogan Richtung Washington und kündigte einen »Bruch« der Beziehunge­n an, sollten die USA die YPG bei ihrem Kampf gegen den IS weiterhin mit schweren Waffen und Luftschläg­en unterstütz­en.

Zwar würden Rojava und die YPG auch ohne die USA auskommen. Doch mit einem weiteren Rückzieher der Amerikaner, beispielsw­eise aus der östlich von Afrin gelegenen Region Manbij, könnte sich Erdogan in seinem Kriegskurs gegen Nordsyrien bestätigt fühlen. Eine weitere Eskalation würde sowohl in Syrien als auch in der Türkei zu mehr zivilen Opfern und größerer Instabilit­ät führen.

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