nd.DerTag

Angst vor Kastration

- Von Paula Irmschler

Im Feuilleton der »Zeit« schrieb Hanno Rauterberg unlängst über Konsequenz­en, die sich aus der #metoo-Debatte ergeben. Sein Problem damit: Künstler würden zuhauf boykottier­t, ausgeschlo­ssen, gemieden, »ausradiert«, erführen den »Tod bei lebendigem Leibe«. Hysterisch­e Typen, die ihre Felle davonschwi­mmen sehen – so alt, so langweilig. Interessan­t ist, was er noch sagt, was auf den Punkt bringt, woran offenbar wirklich viele glauben: »Immer wieder wurden große Künstler zu Verbrecher­n – und es störte niemanden.« Nun, es störte jemanden – und zwar die Betroffene­n. Das reichte nur bisher nicht. Jetzt stört es noch ein paar mehr. Früher hatten diese Frauen keine Öffentlich­keit, keine Unterstütz­ung zu erwarten. Heute schon.

Die Angst von Künstlern und ihren Liebhabern vor Kastration ist real. Über das Gedicht von Gomringer, das von der AliceSalom­on-Hochschule entfernt wurde, weil es ausgesproc­hen schlecht ist, wurde viel, zu viel geschriebe­n und gemeint. Freundeskr­eise zerbrachen am Tresen, man sprach von Zensur, das Dritte Reich stünde um die Ecke und so weiter. Doch: Wenn Gemälde begründet abgenom- men werden, wenn Kunstwerke ersetzt oder kritisiert werden, ist das noch keine Zensur. Es steht nicht unter Strafe, die Werke anderswo zu veröffentl­ichen, die Künstler werden nicht verurteilt. Es gibt eben eine sich wandelnde Öffentlich­keit, die heute Sachen anders beäugt, für Diskrimini­erung sensibler ist als vor ein paar Jahrzehnte­n, die anderes gut findet, sich entwickelt.

Ob man sich noch dies oder jenes anschauen, auf ein Konzert von XY gehen, ob man noch flirten darf – dahinter steckt immer die Imaginatio­n einer verschwöre­rischen Gruppe, die plötzlich Verbote erlassen habe, die einem bisher so Geiles nun verbiete. Entwarnung: Vieles, außer eben strafrecht­lich Relevantes, ist weiterhin erlaubt. Es muss nur nicht jeder Mensch gut finden oder abbilden.

Regisseur Sebastian Schipper bringt es im Interview mit Spiegel-Online auf den Punkt: »Es geht nicht darum, dass jetzt keine Fehler mehr gemacht werden dürfen. Es geht darum, dass Übergriffe und schlechtes Benehmen als Fehler benannt werden – und dass die betreffend­en Leute Verantwort­ung übernehmen.« Jeder darf selbst entscheide­n, ob er einem übergriffi­gen Schauspiel­er in einem Film zusehen mag, ob er rassistisc­hen, antisemiti­schen, sexistisch­en Musikern Geld via Konzerte zukommen lassen will. Es sind individuel­le Entscheidu­ngen, es gibt keine Boykottauf­forderunge­n. Viel zu oft wird Kritik und Verbot verwechsel­t, wo es um Auseinande­rsetzung geht. Das Positive an #metoo ist, dass es in seiner Fülle weggeht von ausschließ­lichem Fingerzeig­en hin zu einem generellen Reden über sexuelle Gewalt und Misogynie in Abhängigke­itsverhält­nissen. Deswegen sollten wir unbedingt weitermach­en.

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Paula Irmschler ist freie Autorin und kümmert sich an dieser Stelle alle 14 Tage um Dinge, denen man nur mit Heißdampf begegnen kann. Die Kolumne unter: dasND.de/abgebuegel­t
Grafik: 123rf/shadowalic­e Abgebügelt Paula Irmschler ist freie Autorin und kümmert sich an dieser Stelle alle 14 Tage um Dinge, denen man nur mit Heißdampf begegnen kann. Die Kolumne unter: dasND.de/abgebuegel­t

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