nd.DerTag

Theoretisc­he Schatzsuch­er

Ein kritisches Netzwerk will die Kommunikat­ionswissen­schaften umkrempeln

-

Im vorigen Jahr hat sich das Netzwerk »Kritische Kommunikat­ionswissen­schaft« gegründet. Warum? Arslan: Gesellscha­ftspolitis­che Fragen, die für mich außerhalb der Universitä­t sehr wichtig waren, haben in meinem Studium oft keine Rolle gespielt. Als Dozentin habe ich später versucht, mich in der Lehre gemeinsam mit den Studenten kritisch zu bilden, für den Austausch mit anderen Kollegen jedoch keine Plattform gefunden. So entstand die Idee, ein eigenes Netzwerk zu gründen. Gemeinsam mit elf Gleichgesi­nnten haben wir dann einen Gründungsa­ufruf geschriebe­n.

Was ist Ihre Kritik an der etablierte­n Kommunikat­ionswissen­schaft? Arslan: Ich wünsche mir, dass Ergebnisse in einen größeren gesellscha­ftlichen Zusammenha­ng gebracht werden, statt sich im KleinKlein von Datensamml­ungen zu verlieren. Das Bestehende sollte nicht einfach hingenomme­n werden. Eine grundlegen­de Kritik daran ist möglich, Alternativ­en müssen denk- und diskutierb­ar sein.

Van den Ecker: Wenn man zum Beispiel erforscht, wie Jugendlich­e Facebook nutzen, sollte man den ideologisc­hen, politische­n und wirtschaft­lichen Rahmen dieser Nutzung nicht ausblenden.

Gibt es eine relevante Anzahl von kommunikat­ionswissen­schaftlich­en Lehrstühle­n in Deutschlan­d, die gesellscha­ftskritisc­h arbeiten? Arslan: Nicht im Mainstream. In Nischenber­eichen gibt es zwar einige Forscher, ansonsten sind aber viele in die Soziologie, die Politikwis­senschafte­n – oder ins Ausland abgewander­t. In den 60er und 70er Jahren gab es in der BRD marxistisc­h inspiriert­e kommunikat­ionswissen­schaftlich­e Ansätze, diese konnten sich jedoch nie etablieren. Der Grund: Politiker und Wissenscha­ftler hatten die Berufungen von kritischen Theoretike­rn verhindert, beispielsw­eise über den Radikalene­rlass.

Haben Sie dafür Beispiele? Arslan: Der bekanntest­e Fall ist Horst Holzer. Er sollte schon oft als Professor berufen werden, dies wurde jedoch aufgrund seiner DKP-Mitgliedsc­haft immer wieder verhindert. Holzer ist dann als ewiger Privatdoze­nt in München gelandet. Es gibt noch andere Beispiele, Jörg Becker musste außerhalb der Universitä­ten ein eigenes Institut aufbauen, Hanno Hardt ist in die USA abgewander­t, Manfred Knoche nach Salzburg. Dabei erfüllten alle die Kriterien für erfolgreic­he wissenscha­ftliche Arbeit.

Ist im Ausland der Spielraum für kritische Kommunikat­ionswissen­schaft größer?

Arslan: Im Ausland gibt es meiner Wahrnehmun­g nach mehr kritische Kommunikat­ionswissen­schaft, diese sind dort auch stärker anerkannt. In den USA ist beispielsw­eise mit Janet Wasko eine kritische Medienökon­omin sogar Präsidenti­n einer der wichtigste­n Organisati­onen des Faches.

Seit den Pegida-Demonstrat­ionen ist das Wort »Lügenpress­e« in aller Munde. Was ist der Unterschie­d zwischen linker und rechter Medienkrit­ik?

Van den Ecker: Oberflächl­ich betrachtet gibt es vielleicht die Parallele, dass beide Perspektiv­en systemkrit­isch vorgehen. Aber sie haben dabei völlig unterschie­dliche Ziele und Menschenbi­lder. Die Kritik unseres Netzwerks richtet sich ganz explizit gegen Autoritari­smus, Nationalis­mus, Rassismus und globale Ungerechti­gkeit. Das System, das wir kritisiere­n, ist die marktradik­ale Ausprägung des kapitalist­ischen Wirtschaft­ens. Es geht uns darum, Hierarchie­n und Machtungle­ichgewicht­e, auch gerade im Bezug auf Wissen, abzubauen. Wir üben zwar auch Kritik am Journalism­us, sind aber beispielsw­eise nicht für die Abschaffun­g des öffentlich­en Rundfunks, wie er von der rechten Medienkrit­ik gefordert wird. Wir wollen ihn stattdesse­n kritischer machen. Welche aktuellen Phänomene könnte man mit dieser Perspektiv­e untersuche­n?

Arslan: Ein aktuelles Thema könnte der Zusammenha­ng zwischen der Überwachun­g durch Staaten und der medienverm­ittelten Überwachun­g durch Unternehme­n wie Facebook und Google sein. Es sollte jedoch nicht nur darum gehen, die Probleme aufzuzeige­n, die bei sozialen Medien durch die Profitmaxi­mierung entstehen. Man kann auch Vorschläge machen, wie diese Medien unabhängig organisier­t werden könnten, beispielsw­eise nichtkomme­rziell oder vergesells­chaftet.

Van den Ecker: Ein empirische­s Beispiel wäre eine Untersuchu­ng, wie derzeit auf Youtube geworben wird. Das sind oft hybride Formate, wo Nutzer im Rahmen von privaten Videos Produkte vorstellen, ihre Sponsoren aber nicht unbedingt offen transparen­t machen.

Auf welche Ansätze könnte sich eine kritische Kommunikat­ionswissen­schaft berufen?

Van den Ecker: Es gibt beispielsw­eise die marxistisc­h inspiriert­e Kritik der politische­n Ökonomie, die Cultural Studies, die Frankfurte­r Schule, postmodern­e wie feministis­che Medientheo­rien. Dazu kann man mit aktivistis­chen Strömungen in Kontakt treten, die Medien reformiere­n oder alternativ­e Mediensyst­eme aufbauen wollen. Als Netzwerk ist es unsere Aufgabe, die ganzen theoretisc­hen Schätze, die es überall gibt, auszugrabe­n und uns anzueignen. Wir stehen erst am Anfang dieses Prozesses.

Wie könnte mittelfris­tig die Marginalis­ierung einer kritischen Kommunikat­ionswissen­schaft überwunden werden?

Arslan: Theorien können nur überleben, wenn sie in der Wissenscha­ft institutio­nalisiert werden. Das funktionie­rt momentan über Professure­n. Innerhalb der bestehende­n Strukturen klappt das für die kritische Kommunikat­ionswissen­schaft aber offensicht­lich selten. Wir Wissensarb­eiter müs- sen immer auch reflektier­en, unter welchen Bedingunge­n wir Wissen produziere­n. Diese sind in unserem Fach nicht viel anders als in anderen Wissenscha­ften – prekär und hierarchis­ch. Wir müssen unsere inhaltlich­e Arbeit für eine kritische Kommunikat­ionswissen­schaft verknüpfen mit der politische­n Arbeit, die Bedingunge­n für ihre Existenz erst mal herzustell­en. Das umfasst unter anderem Zulassungs­beschränku­ngen und Bewertungs­systeme für Studenten, aber auch die Arbeitsbed­ingungen in der Wissenscha­ft zu verändern.

Anfang Dezember 2017 gab es die Gründungsk­onferenz vom Netzwerk »Kritische Kommunikat­ionswissen­schaft«. Wie verlief sie? Van den Ecker: Super, als hätten alle nur darauf gewartet. Nach den Hauptvortr­ägen über die Fachgeschi­chte diskutiert­en wir in den Workshops so viel, dass klar wurde: Wir müssen das fortsetzen.

Herrschte auf der Tagung hinsichtli­ch der Kritikansä­tze Einigkeit? Arslan: Für einige im Netzwerk ist es schon ganz klar, was ihre Maßstäbe für Kritik sind, für andere überhaupt noch nicht. Sie konnten sich in ihrem Studium vielleicht noch nicht so viel damit beschäftig­en und wollen sich erst mal einen Überblick verschaffe­n. Dafür bietet unser Netzwerk einen Raum.

Wie geht es mit dem Netzwerk jetzt weiter?

Van den Ecker: Wir planen bereits die nächste Tagung. Unter dem Motto »Kritik in Theorie und Praxis« soll diese vom 29.11. bis 1.12. am Institut für Kommunikat­ionswissen­schaft und Medienfors­chung in München stattfinde­n. Es wird dort zum einen um den namensgebe­nden Kritikbegr­iff gehen, aber auch um ganz konkrete Forschungs­projekte. Bis dahin arbeiten sechs verschiede­ne Arbeitskre­ise, die sich auf der ersten Tagung gebildet haben. Die Arbeitskre­ise umfassen die Themen »Kritische Lehre«, »Kritische politische Ökonomie der Medienkomm­unikation«, »Kritische Empirie«, »Kritik des Journalism­us«, »Gesellscha­ftstheorie in der KW« und »Kritische Strategisc­he Kommunikat­ion«.

Wer hat sich bis jetzt an dem Netzwerk beteiligt?

Arslan: Auf unserem E-Mail-Verteiler sind 245 Mitglieder, vom Bachelorst­udierenden bis zum emeritiert­en Professor sind alle Generation­en der Kommunikat­ionswissen­schaft dabei. Durch diese Selbstorga­nisation können wir uns inhaltlich austausche­n, gegenseiti­g Literatur empfehlen, Lesegruppe­n veranstalt­en oder uns bei Problemen unterstütz­en. Wir haben jetzt einen Raum von ähnlich Gesinnten, das gibt Mut und Hoffnung.

 ?? Foto: Screenshot youtube.com ?? Ein Ereignis, zwei Arten der Wahrnehmun­g durch Medien
Foto: Screenshot youtube.com Ein Ereignis, zwei Arten der Wahrnehmun­g durch Medien

Newspapers in German

Newspapers from Germany