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Anders Fragen

Sebastian Bähr über eine linke Kritik am Mediensyst­em

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Linke Aktivisten und Politiker geben sich oft wirklich große Mühe, die kapitalist­ischen, patriarcha­len und rassistisc­hen Verhältnis­se umzuwerfen – die große Mehrheit der Bevölkerun­g hört ihnen aber trotzdem nicht zu. Woran das liegt?

Eine simple Erklärung wäre zu sagen: Die gleichgesc­halteten und der herrschend­en Klassen gehörenden Massenmedi­en verblenden die Menschen, stumpfen sie ab, pumpen sie täglich mit neoliberal­er Propaganda voll und verhindern auf diese Weise jegliches Aufbegehre­n.

Vermutlich mag einiges davon stimmen, aber in der Realität ist es wohl doch komplizier­ter. Menschen können zwischen den Zeilen lesen, sich Medieninha­lte aneignen und mit neuer Bedeutung versehen, Stumpfes genießen und trotzdem kritisch denken, durch das Internet selbst zum Medienscha­ffenden werden. Und auch Journalist­en mit Haltung können sich nicht immer von den Prägungen ihrer Sozialisat­ion und gesellscha­ftlicher Normen lösen. Doch wo verläuft – gerade in medienverm­ittelten postdemokr­atischen Systemen – die Grenze zwischen handwerkli­chem journalist­ischen Fehler, unbewusste­r Selbstzens­ur und bewusster Propaganda? Zwischen individuel­ler Verantwort­ung und strukturel­len Zwängen?

Um die Wirkung, die Potenziale und die Gefahren – kurz: die Macht – der Medien zu ergründen, braucht es eine mutige Forschung. Das neugegründ­ete Netzwerk »Kritische Kommunikat­ionswissen­schaft« will genau diese Lücke in der deutschspr­achigen Wissenscha­ft füllen. Es wird Zeit – die Kritik an unserem Mediensyst­em ist zu bedeutend, um sie den »Lügenpress­e«-Hetzern zu überlassen.

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