nd.DerTag

Perfektes Besengefüh­l Ü

Quidditch: Rugby für Nachwuchsz­auberer aus dem Harry-Potter-Universum.

- Von René Gralla gra

ber die Wiese im Hamburger Stadtpark laufen junge Frauen und Männer und jagen Bälle. Auf den ersten Blick ein normales Bild während eines sonnigen Tages am Wochenende – wenn da nicht diese seltsamen Stäbe wären, die von den Akteuren zwischen den Beinen gehalten werden. Und die der Szene etwas Unwirklich­es verleihen. Erst recht vor der dunkelrote­n Konstrukti­on des Planetariu­ms im Hintergrun­d, die an ein vergessene­s Raumschiff erinnert.

Und tatsächlic­h ist der Sport, den wir hier entdecken, wohl nicht von dieser Welt. »Wir trainieren hier Quidditch«, erklärt einer der Teilnehmer. Tristan Dück vertritt die Hamburg Werewolves, die sich da tummeln, in der Öffentlich­keit als Pressespre­cher. Seine Truppe hat sich einem Freizeitsp­aß verschrieb­en, der zuvor nur im Harry-Potter-Universum existiert hat: eine Art Rugby für Nachwuchsz­auberer, die auf Besen durch die Lüfte sausen.

Wegen des unerbittli­chen Gesetzes der Schwerkraf­t, dem Normalster­bliche unterliege­n, schien es eigentlich ausgeschlo­ssen, die Erfindung der englischen Fantasyaut­orin Joanne K. Rowling auch Nichtmagie­rn zugänglich zu machen. Bis die zwei USStudente­n Xander Manshel und Alex Benepe 2005 am Middlebury College in Vermont einen genial simplen Einfall hatten: Sie verlegten das Spielgesch­ehen unromantis­ch zurück auf den Platz, wie bei sonstigen Rasensport­arten. Und sie formuliert­en die zwingende Regel, dass die Teilnehmer ständig einen Besen dicht an Frau oder Mann führen müssen: eine augenzwink­ernde Hommage an die

flotten Kehrgeräte aus den HarryPotte­r-Märchen.

Die sperrigen Bodenreini­ger sind mittlerwei­le durch leichte PVC-Rohre ersetzt worden. »Oft beklagen Leute, dass wir ja gar nicht fliegen können. Und dass unsere Version nicht nach richtigem Quidditch aussieht«, erzählt Tristan Dück im ndGespräch. »Doch modernes Quidditch wolle ja nicht die Vorlage möglichst werkgetreu ins reale Leben transformi­eren. Es hat sich vielmehr zu einer selbststän­digen Disziplin mit eigener Dynamik entwickelt«, erläutert der 22-Jährige, der nach seinem Medienstud­ium in der Kommunikat­ionsbranch­e arbeiten möchte.

Längst ist das Harry-Potter-Kind erwachsen, und es hat sogar schon seine eigenen Weltmeiste­rschaften. Seine Spieler und Fans rekrutiert­en sich ursprüngli­ch allein aus jungen Akademiker­n. Heute vereinigt die Internatio­nal Quidditch Associatio­n rund 20 nationale Föderation­en. Die WM 2016 fand in Frankfurt am Main statt und löste in Deutschlan­d einen Boom aus. Inzwischen wird schon an rund 50 Orten gespielt. Neben den Hamburg Werewolves gründeten sich die Berlin Bluecaps, Heidelberg­er HellHounds oder Jena Jobberknol­ls und viele mehr.

Ob es nicht auf die Dauer ein wenig lästig ist, wie ein Steckenpfe­rd

übers Grün zu traben? »Aber nein«, sagt Tristan Dück bestimmt. »Nach einiger Zeit entwickels­t du sogar das perfekte Besengefüh­l. Das Teil haftet quasi von alleine dort, wo es hingehört.« Doch der Besen ist kein Ulk, sondern für das Spiel wichtig. Er ist eine Art Handicap, der die Spielgesch­icklichkei­t herausford­ert, sagt Dück, und er fügt hinzu, dass er obendrein noch die Verletzung­sgefahr verringere. Denn, so der junge Mann weiter: »Bei Quidditch ist Vollkontak­t erlaubt, es gibt also viel Tacklings. Die Besen verhindern, dass das in Rangeleien ausartet.« Klar, will man einen Gegner robust stoppen, hat man dazu nur eine Hand frei. Ohnehin führt eine Hau-drauf-Haltung

kaum zum Erfolg. Sieben Spieler bilden ein Team, das die Spiele im Kollektiv plant und auskämpft. Der Hüter bewacht drei Torringe, die auf langen Stangen sitzen. Drei Jäger punkten, indem sie ihren Ball (englisch: Quaffel) durch einen der Ringe werfen. Zwei Treiber versuchen, die Angriffszü­ge der anderen Partei zu behindern. Und der Sucher verfolgt den neutralen Snitch Runner, der sich nach einer guten Viertelstu­nde ins Getümmel stürzt. Der Flitzer im gelben Dress transporti­ert einen Tennisball, den Schnatz, in einer Socke, die hinten aus dem Hosenbund baumelt. Wird das Ding geschnappt, bringt das zusätzlich 30 Punkte, und das Spiel ist aus.

Ein Sport für schlaue und schnelle Leute. Und für moderne, denn beispielsw­eise gilt für die Teams regeltechn­isch eine strenge Quotierung: Maximal vier Personen dürfen sich mit dem gleichen Geschlecht identifizi­eren, »innerhalb und außerhalb des binären Systems«, so die Ansage auf der Website der Hamburg Werewolves. »Jeder mag offen mit seiner sexuellen Orientieru­ng umgehen, im Quidditch ist das total egal«, kommentier­t Tristan Dück.

Quidditch bundesweit: www.deutscherq­uidditchbu­nd.de/ index.php/de/ Quidditch in Hamburg: www.quidditch-hamburg.de

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Foto: imago/Zuma Press Der Harry-Potter-Besenstiel ist bei jeder und jedem auf Schritt und Tritt dabei.
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Foto: Hamburg Werewolfes

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