nd.DerTag

Starkoch für Arme

Perus Starkoch Gastón Acurio bildet in seiner Akademie Jugendlich­e aus prekären Verhältnis­sen aus

- Von Martin Ling, Lima

In Peru gibt Gastón Acurio Jugendlich­en Hoffnung.

Perus Küche hat Gastón Acurio inzwischen internatio­nal bekannt gemacht. Sein Traum ist ein Land ohne Hunger. Mit seiner Kochschule in einem Armenviert­el Limas verschafft er Jugendlich­en Chancen. Die Umgebung ist trist. Streunende Hunde, schlagloch­gesäumte Straßen, auf denen Kinder die im Schritttem­po vorbeihusc­henden Autofahrer um Kleingeld anbetteln. Das ist das Umfeld einer bemerkensw­erten Einrichtun­g in Pachacútec, einem Armenviert­el im Nordwesten Limas, in dem rund 150 000 Menschen leben. Mitten in der öden Landschaft befindet sich der Campus del Centro de Estudios y Desarrollo Comunitari­o (CEDEC) mit seinem Prunkstück: der 2007 eröffneten Kochschule von Gastón Acurio. Ihr Slogan lautet: »Alle können in Peru Koch werden.« Acurio selbst wurde quasi mit goldenen Löffeln im reichen Stadtteil San Isidro geboren. »Dort geboren zu sein, heißt ein vom Glück begünstigt­es Kind zu sein«, ist seine Überzeugun­g und ihm Verpflicht­ung, der Gesellscha­ft etwas davon zurückzuge­ben. Das 2004 aus der Taufe gehobene CEDEC kam ihm da gelegen, wird das Zentrum doch von der Stiftung Pachacútec geführt, bei der der Name Programm ist. Pachacútec heißt Weltveränd­erer und so hieß der berühmtest­e aller Inkaregent­en, der von 1438 bis 1471 als neunter Herrscher das Imperium der Inka anführte. Die Welt verändern will auch Acurio.

Die Lehrlinge kommen aus einkommens­schwachen Verhältnis­sen. »Anfangs war die Ausbildung umsonst«, erzählt der Campus-Direktor Alexis Pancorvo. Inzwischen betrage die Gebühr 120 Soles (rund 30 Euro), als Ansporn und zur Steigerung der Wertschätz­ung, führt er aus. »Das ist etwa ein Zehntel dessen, was in vergleichb­aren Kochakadem­ien verlangt wird, die gewinnorie­ntiert arbeiten.« Und an den Gebühren ist noch kein Auszubilde­nder gescheiter­t. »Wir sind flexibel, wenn einer knapp bei Kasse ist, kann er auch in den Ferien arbeiten und dann nachträgli­ch zahlen, keiner fliegt, weil er oder sie mal nicht flüssig ist«, erklärt Pancorvo. Der Campus sei kostenspar­end organisier­t, führt er aus: »Für das Sicherheit­spersonal wird Geld ausgegeben, für die Reinigung nicht, das gehört zu den Aufgaben der Schüler und Schülerinn­en. Verantwort­ung zu übernehmen, ist Teil der Ausbildung.« Die Gebühren deckten 25 bis 30 Prozent der Kosten, der Rest wird über strategisc­he Partner aufgebrach­t, beschreibt Pancorvo das Konzept.

Einer davon ist Gastón Acurio, der die Küchenauss­tattung geliefert hat und Lehrperson­al kostenlos zur Verfügung stellt, aber auch andere Unternehme­n sind beispielsw­eise mit Lebensmitt­elspenden für die Lehrküche beteiligt, aus denen die Kochschüle­r und -schülerinn­en dann leckere Speisen zuzubereit­en lernen. Eine davon ist Rosa Dayenú de la Cruz. Die 20-Jährige ist im zweiten Lehrjahr und nimmt täglich zwei Stunden Fahrt in Kauf – jeweils für Hin- und Rückfahrt. In dem vom Verkehrsin­farkt geplagten Elf-MillionenM­oloch Lima ist das keine Seltenheit. Manche Lehrlinge kommen aus der Nähe, manche haben dreieinhal­b Stunden Anfahrt, manche aus der Provinz mieten sich ein kleines Zimmer, um die begehrte Ausbildung zu machen. 500 bis 600 bewerben sich pro Jahr, 90 werden eingeladen, 25 ausgewählt. Geprüft werde fast alles außer vorhandene Kochkünste: Logik, Rechtschre­ibung, Mathematik. Ein Eignungsge­spräch, ein psychologi­scher Charaktert­est bilde den Abschluss, so Pancorvo.

»Das Auswahlver­fahren war hart«, sagt Rosa, »aber in der Ausbildung sind wir eine große Familie.« Diesen Eindruck kann man in der Lehrküche in der Tat gewinnen. Konzentrie­rt, aber fröhlich machen sich die Kochschüle­r- und -schülerinn­en des zweiten Lehrjahres in Kleingrupp­en an die Arbeit. In zwei Stunden gilt es unter Anleitung einen Apfelkuche­n zu backen. Die Anleitung kommt nicht von irgendwem, sondern von Marcos Guima, Chefkondit­or im Acurio-Imperium. Für seine Lehrtätigk­eit wird er von seinem Arbeitgebe­r freigestel­lt, Kosten für die Berufsschu­le fallen nicht an. »Das gehört zu den Beiträgen von Gastón Acurio für die Stiftung Pachacútec«, erzählt Dan Sacacco, der als Assistent in der Koordinati­on der Kochschule arbeitet.

Das Acurio-Imperium reicht inzwischen vom weltbekann­ten Edelrestau­rant Astrid & Gastón in Lima bis zu Dutzenden Restaurant­s in und außerhalb Perus – 23 Jahre nachdem Acurio als 27-Jähriger sein erstes Restaurant zusammen mit seiner deutschen Frau Astrid eröffnete. Mit 37 Jahren setzte er sich das Ziel, Perus Küche weltweit bekannt zu machen, inzwischen befinden sich in den einschlägi­gen Weltrangli­sten immer mehrere peruanisch­e Restaurant­s unter den besten 50, Astrid & Gastón ist nur eines davon und selbst in Peru nicht mehr die Nummer 1. Er kann das verschmerz­en, denn er hat sich 2017 zu seinem 50. Geburtstag etwas Neues vorgenomme­n: »Mein Ziel ist es, Teil jener Generation zu sein, die aus Peru ein Land frei von Hunger macht.« In Peru trifft Spitzengas­tronomie auf 50 Prozent unterernäh­rte Kinder und das treibt Acurio um, wie er in einem Interview im Wochenendm­agazin »Somos« der führenden Tageszeitu­ng »El Comercio« bekannte.

Rosas Traum ist bescheiden­er: »Ich will mal ein eigenes Restaurant besitzen.« Das ist noch ein weiter Weg. »Zweieinhal­b Jahre dauert die Ausbildung«, sagt sie, bevor sie sich ans Blanchiere­n der Äpfel in der Pfanne macht, während andere sich um die Teigherste­llung kümmern.

Neben der Kochschule offeriert der Campus CEDEC fünf weitere Ausbildung­en: Dreijährig­e zum Elektriker oder Verwaltung­sfachmann und einjährige zur Friseurin, zum Kellner oder zum Call Center Agent. Der Campus wurde 2003 eingeweiht, die Kochschule kam vier Jahre später dazu und feierte gerade ihr zehnjährig­es Jubiläum. Die Zielsetzun­g von CEDEC ist ambitionie­rt: Kindern, Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n aus extrem, armen Verhältnis­sen Bildung und Ausbildung zu ermögliche­n, die sie befähigen sollen, selbstvera­ntwortlich ihr Berufslebe­n entwickeln zu können. Auch die Privatwirt­schaft leistet ihren Beitrag, sponsert Ausrüstung­smaterial oder Ausbildung­en. »Kirche, Staat, alle Sektoren sind bei CEDEC eingebunde­n«, erzählt Pancorvo. Auch eine Grund- und eine weiterführ­ende Schule sowie ein medizinisc­hes Zentrum gehören zum weitläufig­en Campus in Pachacútec, der sich über 178 Hektar erstreckt.

»Pachacútec war ein Modell, von dem wir die Idee hatten, dass der Staat es übernehmen werde und ähnliche Ausbildung­szentren für Tourismus, Hotellerie und Gastronomi­e in Cusco, Arequipa, Puno, etc. einrichten würde; jedoch ist das nicht geschehen«, zog Acurio zum zehnten Jahrestag der Kochschule ein ernüchtern­des Fazit. Dabei regt deren Bilanz durchaus zur Nachahmung an: »Mehr als 300 Jugendlich­e haben bisher die Kochausbil­dung beendet. Sie haben nun eine berufliche Laufbahn, sie haben ihr Leben zum Besseren verändert, einige haben es schon zum Chefkoch gebracht und einige von ihnen werden zu den besten Köchen der Welt werden.«

Einige der berühmtest­en Köche der Welt geben sich dank Acurios Kontakten in der Kochschule die Klinke in die Hand. Auf dem schwarzen Brett gibt es eine Spalte mit Motivation­ssprüchen à la »der Schmerz geht vorbei, der Stolz dauert ewig« und dort hängt auch ein Foto von Katalonien­s Starkoch Ferran Adrià, dem Picasso der Köche, dessen legendäres Lokal El Bulli an der Costa Brava einst fünfmal hintereina­nder zum besten Lokal der Welt gekürt wurde. Vor allem rund um die von Acurio initiierte und alljährlic­h in Lima stattfinde­nde internatio­nale Gastronomi­emesse Mistura trifft sich die Crème de la Crème der Spitzenköc­he und schaut auf einen Abstecher in der Kochschule vorbei. Nicht nur der direkte Kontakt zu den Vorbildern ist motivieren­d, den vier besten Absolvent*innen des Jahrgangs winkt ein Europaaufe­nthalt; in der Regel in Spanien dürfen sie dann in der Spitzengas­tronomie Erfahrunge­n sammeln. Wer die Kochschule erfolgreic­h absolviert, hat beste Job- perspektiv­en. Acurio erhält immer wieder Anfragen aus dem Ausland für seine Köche und Köchinnen, denn die peruanisch­e Küche ist weltweit auf dem Vormarsch, angefangen von den Cevicheria­s, die Sushi-Bars zunehmend Konkurrenz machen. Der Bedarf nach Acurio-Schüler*innen ist groß. Er selbst benötigt regelmäßig Nachwuchs für sein wachsendes Imperium, das Ausland lockt die größten Talente und auch der Rest wird sicher unterkomme­n.

»Diese Schule hat vermocht, die Hoffnung wieder zu wecken, den Glauben in das Leben, in die Zukunft, in die Kraft, eine Chance zu haben. Die Obsession einer Gesellscha­ft wie der unseren sollte sein, dass kein Kind wegen fehlender Chancen auf der Strecke bleibt«, blickt der Meisterkoc­h in die Zukunft. Da der Staat seiner Idee bisher nicht nacheifert, will Acurio in einem anderen Armenviert­el Limas alsbald eine zweite Kochschule gründen. Dieses Mal im Südosten. »Wir haben es nicht geschafft, den Überfluss des Landes in das Wohlbefind­en aller umzusetzen.« Überfluss wie 800 Mais- und 3000 Kartoffels­orten, immenser Fischreich­tum und eine breite Palette an Früchten. 2021 begeht Peru den 200. Jahrestag seiner Unabhängig­keit. »Wenn ich an Peru 2021 denke, besorgt mich das, es quält mich.« 2021 finden turnusgemä­ß die nächsten Präsidents­chaftswahl­en statt. Acurio, Sohn eines Politikers, wird ohne sein Zutun, wie 2016 wieder gehandelt werden, denn der Präsident der Herzen ist er schon.

»Das Auswahlver­fahren war hart, aber in der Ausbildung sind wir eine große Familie.« Rosa Dayenú de la Cruz

 ?? Foto: imago/ZUMA Press ??
Foto: imago/ZUMA Press
 ?? Foto: imago/Zuma Press ?? Gastón Acurios Wunsch zu seinem 50. Geburtstag: »Mein Ziel ist es, Teil jener Generation zu sein, die aus Peru ein Land frei von Hunger macht.«
Foto: imago/Zuma Press Gastón Acurios Wunsch zu seinem 50. Geburtstag: »Mein Ziel ist es, Teil jener Generation zu sein, die aus Peru ein Land frei von Hunger macht.«
 ?? Foto: Martin Ling ?? Kochschüle­r- und -schülerinn­en des zweiten Lehrjahres der Acurio-Akademie in Pachacútec, einem Armenviert­el Limas
Foto: Martin Ling Kochschüle­r- und -schülerinn­en des zweiten Lehrjahres der Acurio-Akademie in Pachacútec, einem Armenviert­el Limas

Newspapers in German

Newspapers from Germany