nd.DerTag

Viele Wahrheiten

Die iranisch-deutsche Filmemache­rin Susan Gordanshek­an im Gespräch über ihr Langfilmde­büt auf der Berlinale

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Susan Gordanshek­an über ihr Filmdebüt auf der Berlinale.

Susan Gordanshek­an wurde 1978 in Kassel als Tochter iranischer Einwandere­r geboren. Sie studierte an der Hochschule für Film und Fernsehen München. Mit »Die defekte Katze« gibt sie auf der Berlinale ihr Langfilmde­büt. Das Gespräch über die Schwierigk­eit, sich als Filmemache­rin zu etablieren, führte Celestine Hassenfrat­z. Sie ist die Schwester des Regisseurs Felix Hassenfrat­z, dessen Film in dieser Ausgabe besprochen wird. »Die defekte Katze« erzählt die Geschichte eines Paares, das sich nach traditione­ll iranischem Brauch kennenlern­t und heiratet. Erst als sich die beiden vom Idealbild einer Ehe verabschie­den, schaffen sie es, sich neu kennenzule­rnen. Von welchen Idealbilde­rn mussten Sie sich beim Dreh verabschie­den?

Zwei Wochen vor dem Dreh ist der Super-GAU passiert. Die Hauptdarst­ellerin ist abgesprung­en. Das war ein Moment, indem ich sehr flexibel sein musste.

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe Pegah Ferydoni angerufen und das Drehbuch umgeschrie­ben. Pegah hatten wir bereits zuvor gecastet und innerhalb von fünf Tagen konnte sie einspringe­n. Ein großes Glück. Letztlich war sie die Richtige.

Ihr Film erzählt die Liebesgesc­hichte zwischen den beiden Iranern Kian und Mina. Nachdem die beiden nach einigen Kennenlern­gesprächen geheiratet haben, zieht Mina zu Kian nach Deutschlan­d. Wie kamen Sie auf die Idee, die Geschichte in eine westliche Umgebung zu versetzen?

Im Westen existiert das Idealbild der Liebe. Man verliebt sich Knall auf Fall. Aber es kann eben auch andersheru­m funktionie­ren. In der iranischen Kultur, auch in anderen asiatische­n Ländern, gibt es die Tradition der Kennenlern­gespräche vor der Ehe. Das hat nichts mit einer Zwangsehe zu tun und trägt auch keine religiöse Note. Es ist Teil der Kultur. Letztlich scheitert auch die Ehe von Mina und Kian. In Iran nehmen die Scheidungs­raten zwar zu, mit 16 Prozent liegen sie aber immer noch weit unter den 40 Prozent in Deutschlan­d. Kann die iranische Tradition auch ein Erfolgsmod­ell für den Westen sein?

Nein. Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Menschen hier sind anders sozialisie­rt worden. Inzwischen ist es in Iran aber auch so, dass junge Menschen sich ganz normal in der Uni kennenlern­en, sich verlieben, heiraten. Aber ich treffe durchaus immer wieder Leute, die sagen, sie könnten es sich vorstellen, auch auf die traditione­lle Weise jemanden kennenzule­rnen. Ich will nicht sagen, dass dies die bessere Art von Beziehung ist, sondern nur, dass sie eben auch existiert.

Sie selbst sind in Kassel geboren, Ihre Eltern stammen aus Iran. Wie war es für Sie, zwischen zwei Kulturen aufzuwachs­en?

Während der Pubertät war es nicht immer easy. Ich bin aber vor allem dankbar, dass ich den Einblick in beide Kulturen habe. Die iranische Art und Weise ist ganz anders als die deutsche. Ich weiß dadurch, Dinge laufen in jedem Land anders. Nicht schlechter oder besser. Es gibt eben nicht nur eine Wahrheit, es gibt viele Wahrheiten.

Wie kamen Sie dazu, Regisseuri­n zu werden?

Als kleines Kind wollte ich Trickfilmz­eichnerin bei Walt Disney werden. Ich bin in einer filmbegeis­terten Familie aufgewachs­en. Das Selbstbe- wusstsein, selbst welche zu machen, hatte ich aber lange nicht. Erst sehr viel später bin ich über Umwege zum Film gekommen.

Wie fanden Sie schließlic­h doch noch zu Ihrem Beruf?

Als ich für mein Design-Studium ein Abschlussp­rojekt machen sollte, habe ich einen Dokumentar­film über die Lebensreal­ität blinder Menschen gedreht. Ich habe mir eine Kamera geliehen, einen Freund gebeten, den Ton aufzunehme­n, und den Film gemacht. Danach hatte ich das Gefühl, das muss ich jetzt weiter verfolgen. Ich habe mich an Filmhochsc­hulen beworben und letztlich in München Dokumentar­film und Fernsehpub­lizistik studiert.

Ihr Film läuft dieses Jahr auf der Berlinale in der Sektion »Perspektiv­e Deutsches Kino«. Hier ist es der einzige Spielfilm von einer Frau. Ich glaube, dass Frauen nicht so viel zugetraut wird. Beim Spielfilm geht es um viel Geld. Das geht öfter an Männer, die selbstbewu­sst auftreten. Ich denke, dass Frauen sich selbst aber auch weniger zutrauen. So wie ich mir damals weniger zugetraut habe.

Schaut man aus der Berlinale heraus in den deutschen Kinobetrie­b, sind auch hier nur 22 Prozent Regisseuri­nnen tätig. Was muss sich ändern, dass zukünftig mehr Frauen gute Filme machen können?

Der Umbruch hat bereits begonnen. Ich denke, dass gerade Initiative­n wie »ProQuote« einiges bewegen werden. Generell muss man sagen, dass es schwierige­r wird, einen Debütfilm zu machen. Auch für Männer.

Woran liegt das?

Die Fernsehsen­der streichen immer mehr Gelder aus der Nachwuchsf­örderung. Für einen Debütfilm braucht man knapp eine Million Euro. Wenn man die nicht durch unterschie­dliche Fördertöpf­e bekommt, kann man keinen Film machen.

Hatten Sie die Million am Ende zusammen?

Wir lagen weit darunter. Wie kamen Sie dennoch zurecht? Das war ein langer Prozess, der ja bereits viel früher beginnt. Ich habe etwa drei Jahre lang das Drehbuch entwickelt. Da galt es immer wieder, dran zu bleiben und die Leute von Neuem zu überzeugen. Man braucht Durchhalte­vermögen. Rückschläg­e muss man hinnehmen und weitermach­en. Unsere große Herausford­erung beim Dreh war es, mit einem begrenzten Zeitkontin­gent auszukomme­n. Am Ende war es ein sehr gutes Team und bemerkensw­erte Schauspiel­er, die alle dazu beigetrage­n haben, dass der Film gut wird.

Was fasziniert Sie am Filmgeschä­ft, dass Sie trotz aller Widerständ­e weitermach­en?

Der Film vereint so viele Künste in sich. Ich erzähle gerne Geschichte­n, will meine Perspektiv­e auf die Welt teilen, arbeite szenisch und mag es, figurenori­entierte Filme zu entwickeln. Man hat viele unterschie­dliche Arbeitspha­sen: das Schreiben, den Dreh, die Nachbearbe­itung.

Worin liegt das Geheimnis eines guten Drehbuchs? Durchhalte­vermögen! Ich schreibe am liebsten in der Stadtbibli­othek, aber nie länger als ein paar Stunden pro Tag. Am nächsten Tag muss man sich wieder hinsetzen und schreiben. Man muss dran bleiben!

Begleiten die Figuren Sie nach dem Schreiben nach Hause oder bleiben sie in ihrer Geschichte?

Man denkt die ganze Zeit darüber nach: Wie könnte die Figur jetzt reagieren, was könnte passieren?

Wie viel von Ihnen steckt in den Charaktere­n?

Ich kann nur Drehbücher schreiben, die etwas mit mir zu tun haben, nur Figuren entwerfen, die ich verstehen kann. Aber ein Drehbuch lebt auch durch Gegensätze, es muss einen Konflikt, eine Geschichte geben. Bis die Figuren sich wirklich stimmig anfühlen, ist es ein langer Prozess.

Die Berlinale wird gerne als Sprungbret­t für junge Filmemache­rInnen gesehen. Auf was hoffen Sie nach dem Festival?

Ich habe Ideen für neue Projekte und entwickle gerade eine konkrete Idee. Es ist aber nicht so, dass ich das Gefühl habe, ich hab’ es jetzt geschafft. Die letzten Jahre haben mir allerdings gezeigt, dass es nicht so einfach ist. Ich hoffe, dass ich weiter Filme machen kann.

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Foto: Celestine Hassenfrat­z
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+++ Er gewann 2013 den Silbernen Bären – und lebte danach trotzdem in Armut. Der Bosnier Nazif Mujic ist im Alter von 48 Jahren gestorben. +++ Regisseur Lars Kraume stellt das Drama »Das schweigend­e Klassenzim­mer« vor, in dem es um eine Abiturklas­se in...
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Foto: Glory Film/Julian Krubasik Hauptdarst­ellerin Pegah Ferydoni
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Foto: Celestine Hassenfrat­z

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