Auf, auf zum Basisentscheid!
SPD hat ihre Mitgliederbefragung zur Fortsetzung der Großen Koalition gestartet
Berlin. Ein wesentlicher Bestandteil der sozialdemokratischen Erzählung in Deutschland ist der stetige Einsatz für die Demokratie. Die SPD war eine Säule der Weimarer Republik und rief ihre Mitglieder im Januar 1919 pathetisch dazu auf, an der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung teilzunehmen. »Auf zur roten Urne!«, lautete damals das Motto.
99 Jahre später werden die Sozialdemokraten wieder einmal zur Abstimmung aufgerufen. Am Dienstag sollen alle Mitglieder ihre entsprechenden Unterlagen erhalten haben. Sie entscheiden, ob die SPD ihre Koalition mit der Union fortsetzen soll oder nicht. Diese Entscheidung dürfte vielen Genossen schwerfallen. Wenn sie den Koalitionsvertrag mehrheitlich ablehnen sollten, werden viele Protagonisten aus der SPDFührung zurücktreten. Viel Zeit für eine Neuordnung würde nicht bleiben. Denn es wird damit gerechnet, dass es zu Neuwahlen kommt, wenn das schwarz-rote Bündnis platzen sollte.
Die SPD-Spitzenpolitiker wissen, dass es für sie um ihr politisches Überleben geht. Ein Risiko wollen sie bei den Regionalkonferenzen, wo sie derzeit mit den Parteimitgliedern über den schwarz-roten Koalitionsvertrag diskutieren, nicht eingehen. So scheut die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles gemeinsame Diskussionsrunden mit Kevin Kühnert. Der Juso-Vorsitzende und seine linken Mitstreiter warnen davor, dass die SPD weiter an Profil und Zustimmung verlieren würde, wenn sie weiterhin mit der Union regieren sollte.
Allerdings haben nicht nur der Einsatz für Demokratie und soziale Gerechtigkeit, sondern auch Bündnisse mit Konservativen und Reaktionären eine lange Tradition in der SPD. Diese reicht zurück in die Weimarer Republik und in die Zeit davor. avr
Die Führung der Sozialdemokraten versucht mit allen Mitteln, den Mitgliederentscheid über eine erneute Große Koalition für sich zu entscheiden. Die Fairness bleibt dabei auf der Strecke. Gegner und Befürworter einer Großen Koalition in der SPD werben derzeit weitgehend getrennt für ihre Anliegen. Die Jusos und ihre Unterstützer haben eine eigene Tour gegen die Fortsetzung von Schwarz-Rot gestartet. Derweil bearbeitet die Parteispitze bei Regionalkonferenzen die Basis, um eine mehrheitliche Zustimmung zu erreichen. Am Wochenende hatten die designierte SPD-Vorsitzende Andrea Nahles und Übergangschef Olaf Scholz, der zugleich Hamburger Bürgermeister ist, die etwa 650 anwesenden Parteimitglieder in der Hansestadt dazu aufgerufen, für den Koalitionsvertrag mit der Union zu votieren.
Die Regionalkonferenzen der Sozialdemokraten sind nicht presseöffentlich, nur bei einzelnen Mitgliederversammlungen sind Journalisten erwünscht. Zudem will man dort möglichst wenige kritische Stimmen hören. Die Parteilinke und Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis empörte sich kürzlich im Kurznachrichtendienst Twitter, dass bei den Regionalkonferenzen kein Statement der Kampagne »NoGroKo« geplant sei. Die SPD hatte bei einem Sonderparteitag eigentlich beschlossen, dass die Debatte um die Regierungsbeteiligung der Partei von »besonderer Fairness gekennzeichnet« sein müsse. »So werden Beschlüsse umgesetzt! Tolle Fairness!«, schrieb Mattheis mit sarkastischem Unterton.
Kritisch äußerte sich auch die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, die Ende April bei der Vorstandwahl gegen Nahles antreten will. Lange monierte, dass den Sozialdemokraten neue Ideen fehlten und Nahles bei ihrer Werbekampagne für die Fortsetzung von Schwarz-Rot an der Parteibasis den gemeinsamen Auftritt mit dem Juso-Vorsitzenden und GroKo-Gegner Kevin Kühnert scheue. Nahles sagte dazu nach einer Veranstaltung im nordrhein-westfälischen Kamen am Sonntag lediglich: »Die GroKo-Gegner kommen nicht zu kurz.«
Neuer Ärger droht der SPD-Spitze mit ihren internen Kritikern, nachdem nun die Abstimmungsunterlagen an die mehr als 460 000 Parteimitglieder versandt worden sind, die über die Annahme des Koalitionsvertrags mit der Union entscheiden werden. Den Unterlagen ist nämlich ein zweieinhalb Seiten langes Schreiben beigefügt, in dem die Führung der Sozialdemokraten für das angestrebte Bündnis mit der Union wirbt und den Koalitionsvertrag über den grünen Klee lobt. Auf Kritik an der schwarz-roten Vereinbarung wurde verzichtet.
Sympathiepunkte werden die Spitzengenossen mit diesem Vorgehen sicherlich nicht sammeln. Nichtsdestotrotz zeigen sie sich bereits jetzt siegesgewiss, obwohl das Ergebnis des Mitgliederentscheids erst am 4. März vorliegen soll. Nach den Erfahrungen bei den ersten Basiskonferenzen erklärte Nahles, dass sie mit einer mehrheitlichen Zustimmung der Mitglieder rechne. Bei den Veranstaltungen werden offenbar nicht nur Argumente über den Koalitionsvertrag ausgetauscht. Viele Mitglieder sollen dort außerdem vor chaotischen Zuständen gewarnt haben, wenn es zu Neuwahlen kommen würde. Die Parteispitze kann sogar vor dem Horrorszenario warnen, wonach die AfD die Sozialdemokraten überholen könnte. Im aktuellen »Insa-Meinungstrend« für die »Bild«Zeitung lag die SPD mit nur noch 15,5 Prozent erstmals in einer bundesweiten Umfrage knapp hinter der rechten Partei, für die sich 16 Prozent entscheiden würden.
Die SPD ist gespalten in Befürworter und Gegner der Großen Koalition. Nun beginnt mit dem Versand der Unterlagen der Mitgliederentscheid.
Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange kritisierte, dass Andrea Nahles bei ihrer Werbekampagne für Schwarz-Rot an der Parteibasis den gemeinsamen Auftritt mit Juso-Chef Kevin Kühnert scheue.