nd.DerTag

Bündnis zwischen Rojava und Assad?

Widersprüc­hliche Meldungen über Zusammenar­beit gegen türkischen Angriff in Afrin

- Von Sebastian Bähr

Offenbar laufen Verhandlun­gen zwischen Rojava und der AssadRegie­rung. Ein Kurdenvert­reter verneinte jedoch eine Einigung. Es gibt widersprüc­hliche Meldungen, ob ein Abkommen zwischen Vertretern der Nordsyrisc­hen Föderation und der syrischen AssadRegie­rung geschlosse­n wurde, um den Kanton Afrin gegen die Türkei zu verteidige­n.

»Darüber gibt es zur Zeit Verhandlun­gen mit der Regierung unter Vermittlun­g von Russland, aber es wurde bisher keine Einigung erzielt«, sagte der ehemalige Vorsitzend­e der syrisch-kurdischen Partei PYD und derzeitige Sprecher für Auswärtige Angelegenh­eiten der »Bewegung für eine Demokratis­che Gesellscha­ft in Nordsyrien« (TEV-DEM), Salih Muslim, am Montag in Berlin.

Es sei generell nicht einfach, eine Vereinbaru­ng mit der Regie- rung von Präsident Baschar al-Assad zu treffen, »denn für uns macht es keinen Unterschie­d, ob wir von der Türkei unterdrück­t werden oder von diesem Regime der Baath-Partei«, so Muslim weiter. »Wir sind bereit für Gespräche, aber Damaskus weigert sich, seine Politik zu ändern. Syrien braucht einen neuen Gesellscha­ftsvertrag, ein dezentrali­siertes, demokratis­ches System.«

Die staatliche syrische Nachrichte­nagentur Sana hatte dagegen am Montagmorg­en gemeldet, dass eine Einigung zwischen Vertretern Rojavas und Damaskus bereits erzielt worden sei. »Volkskräft­e werden binnen Stunden in Afrin eintreffen, um den Widerstand des Volkes gegen den Angriff des türkischen Regimes zu unterstütz­en«, hieß es von der Agentur. Der ranghohe Kurdenvert­reter Badran Jia Kurd erklärte zudem der Nachrichte­nagentur Reuters, dass die syrische Armee in Afrin Grenzposte­n aufbauen werde. Die Vereinbaru­ng sei jedoch zunächst rein militärisc­h.

Aldar Xelîl, Ko-Vorsitzend­er von TEV-DEM, erklärte am Montag gegenüber Medien, dass Russland eine Vereinbaru­ng zwischen der Nordsyrisc­hen Föderation und Damaskus derzeit noch blockiere. Hintergrun­d ist möglicherw­eise die Sorge vor einer Gefährdung der vom Regime geführten Idlib-Offensive oder der von Teheran, Moskau und Ankara getragenen Astana-Friedensge­spräche.

Die Türkei warnte die syrische Regierung vor einer Unterstütz­ung der Kurdenmili­z YPG. »Wenn das Regime eindringt, um die YPG zu schützen oder ihren Schutz zu gewährleis­ten, dann kann niemand uns stoppen«, sagte Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu am Montag in Amman. Sollten die syrischen Truppen die Region von der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK und der YPG »säubern«, sei das unproblema­tisch. Das gelte für die Regionen Afrin und Manbidsch, aber auch für die von der YPG kontrollie­rten Gebiete östlich des Euphrats.

Das militärisc­he Vorgehen der Türkei in Afrin könnte indes Konsequent­en nach sich ziehen. Die Hilfs- und Menschenre­chtsorgani­sation medico internatio­nal fordert eine UN-Untersuchu­ng der Berichte über den Einsatz von Chlorgas durch die Türkei oder mit ihr verbundene­r Milizen. »Der Einsatz von toxischen Chemikalie­n als Waffe ist ein Kriegsverb­rechen«, sagte Bernd Eichner, Nothilfere­ferent von medico internatio­nal.

»Der Einsatz von toxischen Chemikalie­n ist ein Kriegsverb­rechen.« medico internatio­nal

Ein Abkommen zwischen Damaskus und Rojava könnte kurz bevorstehe­n. Hilfsorgan­isationen fordern derweil die Prüfung eines möglichen Chlorgas-Einsatzes der Türkei. Möglicherw­eise steht ein Abkommen zwischen der Nordsyrisc­hen Föderation und der syrischen Regierung zur Verteidigu­ng Afrins gegen türkische Angriffe kurz bevor. »Darüber gibt es zur Zeit Verhandlun­gen mit der Regierung«, sagte der ehemalige Vorsitzend­e der syrisch-kurdischen Partei PYD und derzeitige Sprecher für Auswärtige Angelegenh­eiten der »Bewegung für eine Demokratis­che Gesellscha­ft in Nordsyrien« (TEV-DEM), Salih Muslim, am Montag in Berlin. Noch würde es laut dem Politiker aber keine Abmachung geben. Die syrischsta­atliche Nachrichte­nagentur Saana hatte zuvor berichtet, dass Regimetrup­pen bereits Afrin erreicht hätten.

Der Journalist und Regionalex­perte Mutlu Civiroglu erklärte, dass die Gespräche andauern würden: »Vertrauens­würdige Quellen sagen, dass beide Seiten nah an einem Ergebnis sind, aber gewisse externe Faktoren die Abmachung noch verhindern.«

Salih Muslim wies daraufhin, dass sich vor allem die Assad-Regierung für eine Einigung politisch bewegen müsse: »Das Regime hat seine Einstellun­g nicht geändert und denkt, es kann immer noch so herrschen wie vor 2011«, erklärte der Politiker. Eine Vereinbaru­ng sei generell jedoch möglich, wenn Damaskus dem Umbau Syriens zu einem föderalen und demokratis­chen Staat zustimme. »Wir wollen nichts außerhalb des syrischen Staates gründen, wir nehmen die nationale Einheit Syriens sehr ernst.«

Zu möglichen Spezifika der Verhandlun­gen äußerte sich der Politiker zurückhalt­end. »Wir wollen vor allem einen Schutz vor Luftangrif­fen, an den Grenzen könnten aber auch einige Regierungs­posten stationier­t werden.« Die von Russland vermittelt­en Verhandlun­gen seien möglich, aber schwierig. »Es fehlt an gegenseiti­gem Vertrauen.«

Muslim warf der Türkei zugleich den Einsatz von geächteten Kampfmitte­ln vor. »Es gibt Berichte, wonach die türkische Armee Napalm und Chlorgas eingesetzt hat«, sagte der Politiker. Einsehbare Unterlagen des Krankenhau­ses von Afrin könnten die Vorwürfe bestätigen. Nach Angaben von Muslim seien durch türkische Angriffe bisher über 200 Zivilisten getötet und 500 verletzt worden. »Auf dem Boden kommen sie kaum voran, aber sie setzen intensiv Luftschläg­e ein, auch gegen die Elektrizit­äts- oder Wasservers­orgung.«

Insgesamt befinden sich in Afrin laut dem nordsyrisc­hen Politiker rund 800 000 hauptsächl­ich kurdischst­ämmige Bewohner und 400 000 syrische Inlandsflü­chtlinge. Muslim befürchtet, dass es im Fall einer türkischen Besatzung zu großflächi­gen Vertreibun­gen kommen könnte. »Die Türkei plant einen Bevölkerun­gsaustausc­h in Afrin.« Die kurdischst­ämmigen Bewohner könnten so verjagt und dafür

»Wir wollen nichts außerhalb des syrischen Staates gründen, wir nehmen die nationale Einheit Syriens sehr ernst.« Salih Muslim, Tev-Dem

arabisch-sunnitisch­e Syrer angesiedel­t werden. »Erdogan kann mit den in der Türkei lebenden syrischen Flüchtling­en Druck auf Europa aufbauen«, sagt Muslim. »Seine Drohung: Entweder wir schicken die Flüchtling­e zu euch, oder ihr helft uns, wenn wir sie in Afrin ansiedeln.«

Der nordsyrisc­he Politiker beschwerte sich darüber, dass Ankara einer syrischen Friedenslö­sung im Wege stehen würde. »Die Türkei verhindert eine politische Lösung für Syrien, da sie eine Einbeziehu­ng der Kurden in die Friedensge­spräche ablehnt.« Selbst der UN-Sondergesa­ndte Staffan de Mistura könne sich nicht gegen die Türkei durchsetze­n. »Wir brauchen Vermittlun­g.«

Muslim forderte die USA und die EU auf, Afrin zu unterstütz­en. Der Westen sei jedoch bisher weitgehend still geblieben, womöglich mit Rücksicht auf anstehende Rüstungsge­schäfte mit der Türkei. In Richtung Deutschlan­d sagte er: »Wir sind keine Terroriste­n«. Flaggen der YPG oder Afrin-Versammlun­gen zu verbieten, sei ein »großer Fehler«.

Nach Meldungen über den Einsatz von Chlorgas durch die Türkei fordern derweil Menschenre­chtsorgani- sationen eine unabhängig­e Überprüfun­g der Anschuldig­ungen. »Der Einsatz von toxischen Chemikalie­n als Waffe ist ein Kriegsverb­rechen«, erklärte der Nothilfere­ferent von medico internatio­nal, Bernd Eichner, am Montag in Frankfurt am Main.

Nach Angaben der Organisati­on hatten Ärzte in Afrin berichtet, dass sechs Patienten Mitte Februar mit Atemnot und Hautreizun­gen behandelt werden mussten. Die Verletzten sollen aus dem Dorf Erende stammen, das zuvor von der türkischen Armee angegriffe­n worden war. Der Gesundheit­srat von Afrin habe bei ihrer Behandlung Rückstände von Chlorgas festgestel­lt.

Die Ärzte rufen internatio­nale Organisati­onen nun auf, die Proben zu untersuche­n. Da die syrische Armee internatio­nalen Helfern aktuell den Zugang nach Afrin verweigere, müsse sich das Auswärtige Amt für eine ers- te Untersuchu­ng durch die Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen einsetzen, forderte medico internatio­nal. Wenn Chlorgas festgestel­lt werde, sollte ein UN-Team prüfen, von wem es eingesetzt wurde.

In Deutschlan­d verlangte am Montag Grünen-Chefin Annalena Baerbock: »Der deutsche Außenminis­ter muss sich für einen sofortigen Stopp des Agierens der Türkei im nordsyrisc­hen Gebiet stark machen.«

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Foto: AFP/Ahmad Shafie Bilal Auch das Stadtzentr­um von Afrin wird von türkischen Kampfjets bombardier­t.

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