An der NRW-Basis
Im Kernland der Sozialdemokraten gibt es keine Begeisterung für die Große Koalition
In der SPD kommt die inhaltliche Auseinandersetzung um die Große Koalition auf Touren. Im Ruhrgebiet warben der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow und Juso-Chef Kevin Kühnert für ein Nein zur GroKo. Treffpunkt ist ein Begegnungszentrum der AWO, Gastgeber der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, der zu einer offenen Wahlkreiskonferenz eingeladen hat. Bülow ist einer der prominentesten Kritiker der Großen Koalition in der SPD. Seit 2002 sitzt er im Bundestag und machte sich in den letzten Jahren einen Namen, weil er immer wieder gegen die Mehrheit seiner Fraktion stimmte. Lobbyismus und die Schere zwischen Armut und Reichtum sind seine zentralen Themen.
Zu Beginn seiner Wahlkreiskonferenz legt Bülow kurz dar, warum er gegen eine Neuauflage der Koalition ist. Mit CDU und CSU sei keine sozialdemokratische Politik möglich. In der letzten Koalition habe sich »fast nichts an der Manifestation der Ungleichheit« geändert.
Einen GroKo-Befürworter, der sich mit ihm auf das Podium setzt, hat Bülow nicht gefunden. Stattdessen sitzt Rainer Stücker neben ihm. Stücker ist Geschäftsführer des Dortmunder Mietervereins. Auch seine Bewertung zum Koalitionsvertrag fällt eindeutig aus. Mit Maßnahmen wie dem Baukindergeld werde das Wohneigentum gestützt, die Punkte zum Mieterschutz und gegen Mietsteigerungen seien hingegen mangelhaft.
Dann öffnet Bülow die Diskussion fürs Publikum und überraschenderweise melden sich viele, die für die Große Koalition sind. Etwa Peter Taschek, der ältere Herr ist »seit fast 40 Jahren in der SPD«. Er sagt, die Partei könne sich nicht auf die Rolle des Kritikers von außen zurückziehen und müsse »Verantwortung übernehmen«. Andere Menschen erinnern daran, dass die SPD nicht nur ihren Mitgliedern verpflichtet sei, sondern auch den Wählern, und diese wollten endlich eine stabile Regierung. Eine ältere Frau plädiert dafür in die Große Koalition einzutreten und dann der Parteiführung »Pfeffer in den Hintern« zu blasen, damit diese sozialdemokratische Inhalte umsetze.
Marco Bülow antwortet darauf, dass man keine Angst vor einer Minderheitsregierung oder Neuwahlen haben dürfe. Es müsse darum gehen, die SPD zu erneuern und bei der nächsten Bundestagswahl mit »SPD pur« anzutreten. Die Partei müsse zeigen, dass sie »Systeme verändern« will, etwa in den Bereichen Rente und Krankenversicherung. Bülows Appell: »Wir dürfen nicht jetzt den Spatzen in der Hand nehmen, sondern müssen auf etwas Größeres zielen.«
Das ist ein Satz, wie ihn auch Kevin Kühnert sagen könnte. Der JusoVorsitzende macht auf seiner NoGroKo-Tour an diesem Freitagabend im Ruhrgebiet halt. Während zu Marco Bülows Veranstaltung rund 50 Menschen gekommen sind, wollen fast 500 Menschen hören, was Kevin Kühnert in der Duisburger Mercatorhalle zu sagen hat. Mit dem Bonner Bundestagsabgeordneten Ulrich Kelber hat Kühnert sogar einen Diskussionspartner gefunden, der für die Neuauflage der Koalition ist. Kelber und Kühnert diskutieren zwei Stunden lang sehr respektvoll miteinander. In ihren inhaltlichen Bewertungen sind beide oft auf einer Linie. Nur unterschiedliche Schlüsse ziehen sie.
Kelber ist sich sicher, dass mit dem Koalitionsvertrag »konkrete Verbesserungen für hunderttausende Menschen« erzielt werden können. Kühnert findet, die SPD müsse sich selbst ernster nehmen und eine klare Haltung zeigen, auch das könne »belohnt« werden. Aus dem Publikum kommen Statements, die sich weitgehend ablehnend gegenüber der GroKo äußern.
Die SPD im Ruhrgebiet zeigt am Freitagabend ein unentschlossenes Bild. Mit Leidenschaft für die Große Koalition argumentiert niemand. Aber viele sehen die Zustimmung als unumgänglich an. Zwei Ereignisse der vergangenen Tage haben allerdings auch im Lager der GroKo-Gegner für Abkühlung gesorgt. Einmal ist da der Rückzug von Martin Schulz, der nicht mehr als Zielscheibe dient, und dann ist da die Umfrage der ARD, in der die SPD bei 16 Prozent und nur noch knapp vor der AfD steht. Das sei ein »Schock« gewesen, sagen auch viele Jusos in Duisburg.