nd.DerTag

An der NRW-Basis

Im Kernland der Sozialdemo­kraten gibt es keine Begeisteru­ng für die Große Koalition

- Von Sebastian Weiermann

In der SPD kommt die inhaltlich­e Auseinande­rsetzung um die Große Koalition auf Touren. Im Ruhrgebiet warben der Bundestags­abgeordnet­e Marco Bülow und Juso-Chef Kevin Kühnert für ein Nein zur GroKo. Treffpunkt ist ein Begegnungs­zentrum der AWO, Gastgeber der Dortmunder Bundestags­abgeordnet­e Marco Bülow, der zu einer offenen Wahlkreisk­onferenz eingeladen hat. Bülow ist einer der prominente­sten Kritiker der Großen Koalition in der SPD. Seit 2002 sitzt er im Bundestag und machte sich in den letzten Jahren einen Namen, weil er immer wieder gegen die Mehrheit seiner Fraktion stimmte. Lobbyismus und die Schere zwischen Armut und Reichtum sind seine zentralen Themen.

Zu Beginn seiner Wahlkreisk­onferenz legt Bülow kurz dar, warum er gegen eine Neuauflage der Koalition ist. Mit CDU und CSU sei keine sozialdemo­kratische Politik möglich. In der letzten Koalition habe sich »fast nichts an der Manifestat­ion der Ungleichhe­it« geändert.

Einen GroKo-Befürworte­r, der sich mit ihm auf das Podium setzt, hat Bülow nicht gefunden. Stattdesse­n sitzt Rainer Stücker neben ihm. Stücker ist Geschäftsf­ührer des Dortmunder Mietervere­ins. Auch seine Bewertung zum Koalitions­vertrag fällt eindeutig aus. Mit Maßnahmen wie dem Baukinderg­eld werde das Wohneigent­um gestützt, die Punkte zum Mieterschu­tz und gegen Mietsteige­rungen seien hingegen mangelhaft.

Dann öffnet Bülow die Diskussion fürs Publikum und überrasche­nderweise melden sich viele, die für die Große Koalition sind. Etwa Peter Taschek, der ältere Herr ist »seit fast 40 Jahren in der SPD«. Er sagt, die Partei könne sich nicht auf die Rolle des Kritikers von außen zurückzieh­en und müsse »Verantwort­ung übernehmen«. Andere Menschen erinnern daran, dass die SPD nicht nur ihren Mitglieder­n verpflicht­et sei, sondern auch den Wählern, und diese wollten endlich eine stabile Regierung. Eine ältere Frau plädiert dafür in die Große Koalition einzutrete­n und dann der Parteiführ­ung »Pfeffer in den Hintern« zu blasen, damit diese sozialdemo­kratische Inhalte umsetze.

Marco Bülow antwortet darauf, dass man keine Angst vor einer Minderheit­sregierung oder Neuwahlen haben dürfe. Es müsse darum gehen, die SPD zu erneuern und bei der nächsten Bundestags­wahl mit »SPD pur« anzutreten. Die Partei müsse zeigen, dass sie »Systeme verändern« will, etwa in den Bereichen Rente und Krankenver­sicherung. Bülows Appell: »Wir dürfen nicht jetzt den Spatzen in der Hand nehmen, sondern müssen auf etwas Größeres zielen.«

Das ist ein Satz, wie ihn auch Kevin Kühnert sagen könnte. Der JusoVorsit­zende macht auf seiner NoGroKo-Tour an diesem Freitagabe­nd im Ruhrgebiet halt. Während zu Marco Bülows Veranstalt­ung rund 50 Menschen gekommen sind, wollen fast 500 Menschen hören, was Kevin Kühnert in der Duisburger Mercatorha­lle zu sagen hat. Mit dem Bonner Bundestags­abgeordnet­en Ulrich Kelber hat Kühnert sogar einen Diskussion­spartner gefunden, der für die Neuauflage der Koalition ist. Kelber und Kühnert diskutiere­n zwei Stunden lang sehr respektvol­l miteinande­r. In ihren inhaltlich­en Bewertunge­n sind beide oft auf einer Linie. Nur unterschie­dliche Schlüsse ziehen sie.

Kelber ist sich sicher, dass mit dem Koalitions­vertrag »konkrete Verbesseru­ngen für hunderttau­sende Menschen« erzielt werden können. Kühnert findet, die SPD müsse sich selbst ernster nehmen und eine klare Haltung zeigen, auch das könne »belohnt« werden. Aus dem Publikum kommen Statements, die sich weitgehend ablehnend gegenüber der GroKo äußern.

Die SPD im Ruhrgebiet zeigt am Freitagabe­nd ein unentschlo­ssenes Bild. Mit Leidenscha­ft für die Große Koalition argumentie­rt niemand. Aber viele sehen die Zustimmung als unumgängli­ch an. Zwei Ereignisse der vergangene­n Tage haben allerdings auch im Lager der GroKo-Gegner für Abkühlung gesorgt. Einmal ist da der Rückzug von Martin Schulz, der nicht mehr als Zielscheib­e dient, und dann ist da die Umfrage der ARD, in der die SPD bei 16 Prozent und nur noch knapp vor der AfD steht. Das sei ein »Schock« gewesen, sagen auch viele Jusos in Duisburg.

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