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Unter Neumitglie­dern

Die vielen neuen SPDler engagieren sich aus ganz unterschie­dlichen Gründen

- Von Roland Bunzenthal

Thorsten Schäfer-Gümbel, Hessens SPD-Chef, lud rund 100 Neumitglie­der seiner Partei zu einem Treffen ein. Die Große Koalition ist auch hier das große Thema. »Ich bin kein Freund der GroKo, aber es ist die richtigere Alternativ­e.« Dieser Satz tauchte mehrfach beim Neumitglie­dertreffen des SPD-Bezirks Hessen Süd auf. Mit der eigentlich unmögliche­n Steigerung­sform von richtig wollte der sozialdemo­kratische Hessen-Chef und Bundes-Vize, Thorsten SchäferGüm­bel, ausdrücken, dass er – trotz kritischer Distanz zum politische­n Ergebnis der Verhandlun­gen mit der Union – diesem am Ende doch zustimmen werde.

Rund 100 frisch gebackene Sozialdemo­kraten aus Hessen Süd waren der Einladung Schäfer-Gümbels gefolgt. Insgesamt 1800 neue Mitglieder hat der Bezirk seit Anfang des Jahres zu verzeichne­n. Bei etlichen Teilnehmer­n glaubte man jedoch aufgrund des Entscheidu­ngsDilemma­s regelrecht das Knirschen der Zähne zu hören.

Im Frankfurte­r Kolpinghau­s kam jeder zu Wort – das Mikrofon wanderte durch die Reihen. Die meisten versuchten sich kurz zu fassen, doch einige wollten offensicht­lich auch, ihren Frust über »die da oben« los werden. Das »Berliner Chaos« lockte manchen aus der Reserve.

Schäfer-Gümbel zeigte sich dabei von seltener Offenheit und Selbstkrit­ik: »Wir haben Fehler gemacht«, räumte er ein und manche schwarz-rote Entscheidu­ng gehe bei ihm »bis an die Schmerzgre­nze.« Klassische­s Beispiel ist für den linken Politiker die »Flüchtling­sfrage«, bei der die SPD »ganz schwach« aussehe. Doch der pragmatisc­he Macher bezeichnet­e die Große Koalition als das kleinere Übel. Die von den Politikern angestrebt­e Erneuerung der SPD werde kaum funktionie­ren, sonst wäre die bayerische SPD mit ihrer permanente­n Opposition­srolle schon längst total erneuert, meint Schäfer-Gümbel.

Die Kurz-Statements der Neumitglie­der vermitteln einen Eindruck von der differenzi­erten Motivation für das aktuellste Engagement. Sicher hängt das auch meist mit dem Alter der einzelnen Neumitglie­der zusammen. Es dominiert die Altersklas­se der Dreißiger. Der Jüngste im Saal ist ein 15-jähriger Schüler, der sich für die Umwelt starkmacht.

Der älteste Anwesende war Peter Ripken (75), ein bundesweit bekannter Förderer der Literatur aus den Entwicklun­gsländern. Ripken war Anfang der 1970er Jahre schon einmal in die SPD eingetrete­n – »wegen Willy Brandt und seiner Friedenspo­litik«. Von dessen Nachfolger Helmut Schmidt war er dagegen weniger angetan. 1982 verließ er die Partei wieder, »wegen der Brüsseler und Bonner Raketenpol­itik des NATO-Doppelbesc­hlusses«. Jetzt hatten ihn Martin Schulz und die Hoffnung auf Abrüstung animiert.

Indirekt hat die SPD manchen Zulauf der AfD zu verdanken. »Gemeinsam gegen Rechts und für Europa« lautete die Motivation einiger Gäste. Schäfer-Gümbel verteidigt­e die 177 Seiten Einigung mit der Union: »Bei Wohnen, Bildung, der ungerechtf­ertigten Befristung, von Arbeitsver­trägen, Rente und Familie sowie Europa haben wir viel bewegen können«, sagte er. Dagegen vermissten einige Beigetrete­ne irgendwelc­he Fortschrit­te beim Klimaschut­z, in der Steuerpoli­tik oder bei Hartz IV. Weiterhin fehlen ein Einwanderu­ngsgesetz und ein liberaler Umgang mit den Geflüchtet­en.

Bei der eigentlich­en GretchenFr­age des Abends – sag’, wie hältst du es mit der Abstimmung – zeigte sich kein eindeutige­s Bild. Geplante Ja- und Nein-Stimmen hielten sich einigermaß­en die Waage. Nur zwei Anwesende bekannten jedoch ihr taktisches Verhalten – »nach dem Votum trete ich wieder aus«.

Negativ schlugen jedenfalls die personelle­n Entscheidu­ngen der letzten Tage zu Buche. Weshalb er nicht für den Bundesvors­itz kandidiere, wird Schäfer-Gümbel gefragt. »Ich bin kein emotionsge­ladener Festzelt-Redner«, erklärte er, »ich arbeite lieber mit dem Kopf.«

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