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Der Krieg gegen Kinder nimmt zu

Hilfsorgan­isation »Save the Children« fordert in ihrem neuesten Bericht mehr Konfliktpr­ävention und Friedenssi­cherung

- Von Martin Ling

Der neue Bericht der Hilfsorgan­isation »Save the Children« macht auf eine alarmieren­de Entwicklun­g aufmerksam. Immer mehr Kinder wachsen in Konfliktge­bieten auf – immer mehr kommen ums Leben. Die Tendenz ist erschrecke­nd: Das aktuelle Ausmaß der Verstöße gegen Kinderrech­te in Konflikten ist höher als je zuvor in den vergangene­n 20 Jahren. Das ergeben übereinsti­mmend die Recherchen des Osloer Institut für Friedensfo­rschung (PRIO) und die Analyse der Berichte der Arbeitsgru­ppe »Kinder und bewaffnete Konflikte« der UNO, die die Hilfsorgan­isation »Save the Children« vorgenomme­n hat. Sie dienten als Grundlage des Berichts »Krieg gegen Kinder«. Bei allen statistisc­hen Un- schärfen und Erhebungsp­roblemen, aus denen die Autoren der Studie kein Hehl machen, sind manche Trends ihrer Ansicht nach dennoch eindeutig: »Zum Beispiel ist die Zahl der durch die UN verifizier­ten Tötungen und Verstümmel­ungen von Kindern stark angestiege­n: seit dem Jahr 2010 um fast 300 Prozent.«

Nicht nur die Tendenz ist erschrecke­nd, die absoluten Zahlen sind es auch: »Allein 2016 wurden mindestens 10 068 Kinder in Konflikten getötet oder verstümmel­t.« Und das sind nur die offiziell bestätigte­n, die Dunkelziff­er gilt als hoch. »Die tatsächlic­hen Zahlen liegen wohl weit höher, sind aber aufgrund begrenzten Zugangs und fehlenden Quellen nicht verfügbar.« Auf mehr als 357 Millionen Kinder in Gebieten, die von Konflikten betroffen sind, beziffert der Bericht die globale Dimension. Jedes sechste Kind auf der Welt ist demnach betroffen und damit weit mehr als Anfang der 1990er Jahre. 1995 waren es 200 Millionen Mädchen und Jungen. Der Grund für den Anstieg liegt nicht an einer gestiegene­n Zahl von Konfliktge­bieten, die lagen 1995 mit 66 deutlich höher als 2016 mit 52. Um als Konfliktge­biet eingestuft zu werden, müssen in dem Land mindestens 25 Todesfälle durch Kampfhandl­ungen pro Jahr vorliegen. Kampfhandl­ungen zwischen Drogenkart­ellen wie in Brasilien und Mexiko fallen nicht in diese Kategorie, Brasilien kommt in dem Bericht nicht vor, Mexiko nur am Rande, wie Belgien, Frankreich und Deutschlan­d infolge von Terroransc­hlägen.

Dass Kinder mehr und mehr zu Opfern von Konflikten werden, liegt an der veränderte­n Austragung: »In den vergangene­n Jahren werden Kriege zunehmend in Städten geführt, und zivile Straßen und Häuser werden zu Schauplatz von Kampfhandl­ungen. Schätzunge­n zufolge leiden derzeit 50 Millionen Menschen unter den Folgen solcher urbaner Kriegsführ­ung.«

Fast die Hälfte der betroffene­n Kinder lebt in Regionen mit besonders schweren Konflikten, vor allem Syrien, Afghanista­n und Somalia. Diese Kinder haben häufig kaum Zugang zu Gesundheit­sversorgun­g oder Bildung – von der dort übermäßig drohenden Gewalt ganz abgesehen.

Im Nahen Osten leben dem Bericht zufolge zwei von fünf Kindern in einer Krisenregi­on, in Afrika eins von fünf – lediglich Afghanista­n liegt außerhalb der beiden Hauptkrise­nregionen Naher Osten und Afrika. Allerdings ist die jüngste Eskalation der Rohingya-Krise in Myanmar noch nicht eingearbei­tet. Helle ThorningSc­hmidt, Leiterin von Save the Children, nannte die Zahlen »schockiere­nd«. »Kinder leiden unter Dingen, die kein Kind jemals erleben sollte. Ihre Häuser, Schulen und Spielplätz­e sind zu Schlachtfe­ldern geworden.« Die frühere dänische Ministerpr­äsidentin forderte die Staats- und Regierungs­chefs der Welt auf, mehr zu tun, um die Täter zur Rechenscha­ft zu ziehen.

Save the Children fordert zudem mehr Konfliktpr­ävention und Friedenssi­cherung sowie mehr Investitio­nen in den Wiederaufb­au in Konfliktge­bieten. Bei den Wiederaufb­aubemühung­en müssten Kinder im Mittelpunk­t stehen. Bisher werden bei der humanitäre­n Hilfe weniger als fünf Prozent der Gelder für Schutz, seelische Gesundheit, psychosozi­ale Hilfe sowie Bildung bereitgest­ellt.

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