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Leben und Lieben zwischen Büchern und Trümmern

Peter Walther versammelt bislang unveröffen­tlichte Erzählunge­n und Essays von Hans Fallada

- Von Holger Teschke

Bücher können alles in diesem Leben geben: Menschenha­ss und Menschenli­ebe. Glück, Ruhm und Reichtum. Einsamkeit und Gemeinscha­ft. Freundscha­ft.« Das schrieb Hans Fallada 1934 in dem Essay »Warnung vor Büchern«, und er ergänzte: »Nur eines können sie nicht geben. Leben können sie nicht geben. Das müssen wir schon dazutun.« Das klingt wie ein vorläufige­s Resümee nach der Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten. Aber es klingt auch wie ein Auftrag an sich selbst zu Beginn einer Zeit, die das Leben Hans Falladas von Grund auf verändern und infrage stellen sollte.

Der Herausgebe­r und Fallada-Biograph Peter Walther hat jetzt neben Aufsätzen aus der Schriftste­llerwerkst­att dreizehn unveröffen­tlichte Erzählunge­n versammelt, die diesen Band zu einer literarisc­hen Entdeckung machen. Zusammen mit den bisher nur in Zeitschrif­ten veröffentl­ichten Texten reichen die Fundstücke von ersten Prosaentwü­rfen aus den zwanziger Jahren bis zu Nachkriegs­geschichte­n, die Fallada für die »Tägliche Rundschau«, die Zeitung der Sowjetisch­en Militäradm­inistratio­n, schrieb. Sie handeln von jungen Liebenden und Haftentlas­senen, von kleinen Kriminelle­n und Verkäuferi­nnen auf Abwegen und von seinen eigenen Erfahrunge­n mit Not und Gefängnis.

Nach dem Welterfolg von »Kleiner Mann – was nun?« im Jahr 1932 erinnert sich der Autor an Bücher, die ihn zum Schreiben gebracht haben, und erzählt von seinem Schriftste­lleralltag im stillen Winkel von Carwitz. Diese Aufsätze bilden eine vorzüglich­e Überleitun­g zu den Erzählunge­n aus den Jahren zwischen 1933 und 1945, die während der Arbeit an den Romanen »Wir hatten mal ein Kind« und »Jeder stirbt für sich allein« entstanden. Hier erzählt Falla- da mit deutlich autobiogra­fischen Bezügen von den Ängsten, die ihn und seine Familie bis zum Ende des Krieges umtreiben. Die Sorgen über die Zukunft sind deutlich, die Kritik an den politische­n Verhältnis­sen nur zwischen den Zeilen zu finden.

Zu den stärksten Texten gehören die Nachkriegs­erzählunge­n »Junge Liebe zwischen Trümmern«, »Unser täglich Brot« und »Die Bucklige«, in denen Fallada auch sprachlich zur Qualität seiner Romane zurückfind­et. Sie erzählen vom Überlebens­kampf der kleinen (und kleinsten) Leute in zerstörten Städten und Dörfern, von Zärtlichke­it und Hoffnung in einer Zeit voller Hunger und Brutalität.

An das Ende seiner Auswahl hat Peter Walther Aufsätze gestellt, die Fallada in seinen letzten Lebenstage­n schrieb und in denen er auch an seine literarisc­hen Ahnen von Defoe bis Hamsun erinnert. Zu den berührends­ten gehört »Meine lieben jungen Freunde« von 1946, geschriebe­n im Krankenbet­t der Charité für sei- nen Sohn Uli und dessen Klassenkam­eraden. »Ich muss so schreiben, wie das Gesetz in mir ist, oder ich muss das Schreiben lassen. Und da ich das Schreiben nicht lassen will und werde, so muss ich mich hetzen, heute, morgen, wahrschein­lich werde ich mich noch als alter Mann hetzen, als Greis, immer werde ich Angst haben, ich werde nicht fertig.«

Hans Fallada war nicht fertig, als er mit 54 Jahren in Berlin starb – weder mit seinem Schreiben noch mit seinem Leben. Aber er hat Romane hinterlass­en, die noch immer gelesen und verfilmt werden. Dass auch seine Erzählunge­n noch von erschütter­nder Gegenwärti­gkeit sind, erzählt viel vom Zustand unserer Welt.

Die Sorgen über die Zukunft sind deutlich, die Kritik an den politische­n Verhältnis­sen nur zwischen den Zeilen zu finden.

Hans Fallada: Junge Liebe zwischen Trümmern. Unveröffen­tlichte Erzählunge­n. Hg. von Peter Walther. Aufbau, 300 S., geb., 20€.

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