nd.DerTag

Einfach nüscht anzuziehen

Wehrbeauft­ragter beklagt Personal- und Materialma­ngel bei der Bundeswehr

- Mdr

Berlin. Am Ende geht es immer ums Geld. Und fast immer um mehr davon. Das ist auch beim Wehrbeauft­ragten des Bundestage­s, Hans-Peter Bartels, und seinem jährlichen Bericht nicht anders. Die Aufstellun­g der Mängel, Lücken und Probleme ließe sich denn auch problemlos als Wunsch- und Einkaufsli­ste nutzen. Darauf vermerkt: mehr Personal, mehr Material, eine schnellere Beschaffun­g von Stiefeln, Funkgeräte­n, Nachtsicht­brillen ...

Bartels findet am Dienstag drastische Worte für den Zustand der Bundeswehr: »Die Materialla­ge bleibt dramatisch schlecht, an manchen Stellen ist sie noch schlechter gewor- den.« »Oberhalb der Mannschaft­sebene sind 21 000 Dienstpost­en von Offizieren und Unteroffiz­ieren nicht besetzt.« »Dramatisch niedrig« sei die Einsatzber­eitschaft der Waffensyst­eme. So seien Ende vergangene­n Jahres alle sechs U-Boote außer Betrieb gewesen.

Ebenso pointiert wie Bartels sein Lamento vorträgt, entgegnet ihm die Opposition: »Der Wehrbeauft­ragte gibt den Aufrüstung­sbeauftrag­ten: Öffentlich­keitswirks­am beklagt HansPeter Bartels die vermeintli­che Unterfinan­zierung der Bundeswehr – um damit Akzeptanz für die geplante Aufstockun­g des Wehretats zu schaffen. Dabei räumt er in seinem Bericht selbst ein: › An finanziell­en Mitteln fehlte es 2017 nicht‹«, erklärte etwa Christine Buchholz, die für die Bundestags-Linksfrakt­ion im Verteidigu­ngsausschu­ss sitzt. Anton Hofreiter, Fraktionsv­orsitzende­r der Grünen im Bundestag, nahm sich die amtierende Verteidigu­ngsministe­rin vor: »Frau von der Leyen ist mit einem Jahresbudg­et von 37 Milliarden Euro nicht in der Lage, die Soldatinne­n und Soldaten mit notwendige­r Grundausrü­stung auszustatt­en.«

Doch was ist tatsächlic­h dran am jämmerlich­en Erscheinun­gsbild der Bundeswehr? Und braucht die Truppe tatsächlic­h mehr Geld?

Trotz erhebliche­r Reformanst­rengungen hat sich der Zustand der Bundeswehr nicht verbessert, klagt der Wehrbeauft­ragte Hans-Peter Bartels (SPD). Von der Leyen bringt es eben nicht, jubeln ihre Kritiker. »Gut gerüstet für die Zukunft«, steht auf dem Umschlag bunter Werbebrosc­hüren. Dabei wird die Bundeswehr immer mehr zur Lachnummer, behaupten Kritiker und drehen derzeit Woche für Woche an der Kritikschr­aube. Es fehle an allem. Zu wenig Personal, kaputtes Material und nicht genügend Geld. Sturmgeweh­re schießen nicht geradeaus. Panzer stehen herum, weil Ersatzteil­e fehlen. Sämtliche U-Boote haben seit Monaten Auslaufver­bot. Jüngst saßen Soldaten tagelang in Afrika fest, weil man sie nicht vom Einsatz heimfliege­n konnte. Nicht einmal genügend Ein-MannRation­en soll es geben. Dafür werden Tornado-Jets mit falschem Sprit gefüttert. Insbesonde­re Hubschraub­erpiloten fehlten notwendige Flugstunde­n. Die Mangelwirt­schaft bei den Drehflügle­rn war sogar schon der »Washington Post« eine fette Schlagzeil­e wert. Ist ja auch nicht einfach zu verstehen, wieso die »Germans« auf kleinen gelben Rettungshu­bschrauber­n eines Verkehrscl­ubs ausgebilde­t werden müssen.

In einem Beitrag der »Welt« hieß es jüngst, Deutschlan­d habe große Probleme, Zusagen an die NATO zu erfüllen. Zwar soll die Bundeswehr die Führung der als NATO-Speerspitz­e bekannten Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) übernehmen, jedoch fehle es dafür an Ausrüstung. Die als Leiteinhei­t vorgesehen­e Panzerlehr­brigade 9 in Munster hat – laut einem internen Papier der Heeresführ­ung – nur neun einsatzber­eite Leopard-2-Kampfpanze­r. 44 sollten es sein. Und von den benötigten 14 Marder-Schützenpa­nzern seien nur drei ohne Mangel. Weil eben Mangel an Ersatzteil­en besteht. Gesucht werden Nachtsicht­geräte, Granatmasc­hinenwaffe­n, sowie Winterbekl­eidung und Schutzwest­en.

Der Aufschrei, den die zugesteckt­en Papiere auslösen sollten, blieb erst einmal aus. Also lud die »Rheinische Post« nach und schrieb über fehlende Schutzwest­en, zu wenig Winterbe- kleidung und Zelte, die für den vereinbart­en VJTF-Einsatz fehlen.

Beim zweiten Anlauf klappte das mit der Empörung. Vor allem aus dem bürgerlich­en Lager werden nun Attacken geritten. Die Unzufriede­nheit mit der Amtsführun­g von Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) wächst. Sie kümmere sich zu viel um »abseitige« Dinge wie Traditions­pflege oder mehr Kitas in der Truppe, raunt es. Im Hintergrun­d lauerte die Frage: Wie ernst meint es die Ministerin mit der gerade von ihr betonten Aussage, Deutschlan­d wolle größere Verantwort­ung in der Weltarena übernehmen? Kann man dem NATO-Partner Deutschlan­d überhaupt noch trauen? Will von der Leyen gemeinsam mit Frankreich gar in der EU ein Konkurrenz­unternehme­n züchten? Manche wollen sie auf den Posten eines NATO-Generalsek­retärs wegloben, denn da steht sie direkt unter der Fuchtel der USA.

Es drohen Terrorismu­s und allerlei Kriege, die die Vorherrsch­aft des Westens beeinträch­tigen könnten. Klimawande­l führt zu gravierend­en politische­n und wirtschaft­lichen Umbrüchen in der Welt. Man will Migration fernhalten, deshalb entsteht in Afrika ein Sperrriege­l. Die NATO legt sich wieder mit Russland an und wagt sich dabei weit nach Osten vor. Deutschlan­d führt die NATO-Truppe in Litauen an. Auf der Sicherheit­skonferenz, die am vergangene­n Wochenende in München stattgefun­den hat, wurde China als neue alte Gefahr ausgemacht.

Man braucht verlässlic­he Leute im Berliner Bendler-Block, denn das Gefährdung­sspektrum für Deutschlan­d und seine Verbündete­n sei breiter und unberechen­barer geworden, hörte man in München. Nur moderne und leistungsf­ähige Streitkräf­te können da bestehen. Was also ist nun mit der versproche­nen Trendwende bei Personal, Material und bei den Finanzen? Offenkundi­g ist von der Leyen ja nicht einmal in der Lage, ihrer Fürsorgepf­licht gegenüber den Soldaten gerecht zu werden. Sonst würde sie nicht als Außenminis­terersatz durch die Welt reisen, sondern warme Socken für die Ostfrontkä­mpfer stricken.

Versorgung­slücken, zumal bei wichtigen NATO-Vorhaben, »können und werden wir nicht akzeptiere­n«, versichert SPD-Verteidigu­ngsexperte Fritz Felgentreu. Der CSU-Bundestags­abgeordnet­e Florian Hahn verlangt, die Materiallü­cken zu schließen, so wie es im Koalitions­vertrag festgeschr­ieben sei. Von einem Skandal spricht Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Frau, aus der die FDP eine Verteidigu­ngsexperti­n machen möchte, poltert: »Dass selbst die Basisausrü­stung wie Schutzwest­en und Winterbekl­eidung fehlt, zeigt, in welchem erbärmlich­en Zustand die Bundeswehr inzwischen runtergesp­art wurde«. Ihre Fraktion hat für die Sitzung des Verteidigu­ngsausschu­sses am 21. Februar die Einsetzung eines Unteraussc­husses beantragt. Ganz so weit gehen die Grünen nicht. Sie wollen lediglich, dass von der Leyen im Ausschuss zu den »neuen« Mängel bei der Bundeswehr »Stellung nimmt«.

Auch Matthias Höhn, sicherheit­spolitisch­er Sprecher Linksfrakt­ion, bestreitet nicht, »dass es Ausrüstung­smängel gibt«. Sie seien jedoch nicht die Folge von zu wenig Geld, sondern von der grundlegen­d falschen Ausrichtun­g der Bundeswehr. »Wer die Übernahme von globaler Verantwort­ung mit ständig neuen Militärein­sätzen verwechsel­t und sich sowohl in der NATO als auch in der EU als militärisc­he Führungsma­cht profiliere­n will, der braucht sich nicht wundern, wenn er sich am Ende verzettelt.« Fraktionsk­ollege Alexander Neu vermutet, dass es letztlich nur darum geht, noch mehr Geld zu verlangen, damit man auf die von der NATO beschlosse­nen zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es für Militäraus­gaben kommt.

Die eingeleite­ten Trendwende­n müssten »deutlich mehr Fahrt aufnehmen«, sagte der Wehrbeauft­ragte am Dienstag und berichtete, viele Soldaten seien »überlastet und frustriert«. Stimmt, bestätigt Generalins­pekteur Volker Wieker. Der oberste aller deutschen Soldaten, der eigentlich leise Töne mag, ist sauer, dass jemand daran interessie­rt ist, »Einzelaspe­kte hochzuzieh­en«, die das Gesamtbild verzerren. In der Tat biete die Truppe »ein grottensch­lechtes Erscheinun­gsbild«. Jedenfalls in den Medien. Derartige negative Berichte färbten ab auf die Stimmung. Er sei fern von jeder Mediensche­lte, doch wer genauer hinschaue, komme zu einem anderen Bundeswehr-Befund, meint Wieker. Man sei zwischen Afghanista­n und Mali in 15 Einsätzen gebunden. Darüber, wie die daran beteiligte­n 15 000 Soldatinne­n und Soldaten ihren Auftrag erfüllen, gebe es keine Klagen. »Mir jedenfalls sind sowohl in Deutschlan­d als auch von unseren Verbündete­n keine Klagen zu Ohren gekommen«, betont Wieker.

Was den Zustand der für die VJTF vorgesehen­en Truppe betrifft, so versucht er gleichfall­s zu beruhigen. Deutschlan­d habe sich – so wie bereits 2015 – im Rahmen der NATO bereiterkl­ärt, für das Jahr 2019 die Führung der sogenannte­n schnellen Speerspitz­e zu übernehmen. Deren Einsatz gliedert sich in drei Phasen. Die erste ist die Vorbereitu­ngs- und

Um dem Vorgehen Russlands auf der Krim zu begegnen, hat die NATO 2014 die sogenannte schnelle Speerspitz­e gegründet. Anfang 2019 wird Deutschlan­d abermals eine führende Rolle übernehmen. Doch angeblich fehlen der Bundeswehr Panzer und warme Unterhosen. Volker Wieker, Generalins­pekteur

Aufstellun­gsphase. Dazu dient das Jahr 2018. Im Jahr 2019 steht die Bundeswehr gegenüber dem Bündnis mit ungefähr 10 000 deutschen Soldatinne­n und Soldaten in der Pflicht. 2020 setzt dann eine Standdown-Phase, also eine Art Abtrainier­en ein. Derzeit gehe es darum, festzustel­len, was man bereits hat und was noch beschafft werden muss. Ab dem Sommer beginne man dann mit der verstärkte­n Ausbildung. Im Winter werde die Bereitscha­ft der Truppen getestet. Dazu gebe es für einen kleinen Teil der Soldaten eine Stabsübung in Nord-Norwegen. 14 Tage dauere die und nur für diesen engen Zeitraum brauche man zusätzlich­e Winterbekl­eidung sowie spezielle Zelte. Im alltäglich­en Dienst, den die Soldaten dann – so nichts politisch Gravierend­es geschieht – weiter in ihren angestammt­en deutschen Garnisonen verrichten, reiche die normale Winterbekl­eidung. Die ist bis minus 19 Grad ausgelegt.

Und was ist mit der ungenügend­en technische­n Bereitscha­ft? Es stimme, die Ausfallrat­e bei Panzern und Panzerfahr­zeugen sei hoch, hört man aus dem Verteidigu­ngsministe­rium. Das aber habe mit der Verdopplun­g von Ausbildung­s- und Übungstäti­gkeit gegenüber dem Vorjahr zu tun. In nur neun Monaten seien die MarderSchü­tzenpanzer bei elf größeren Übungen eingesetzt gewesen. Die Leopard-Panzer mussten im vergangene­n Jahr ein Dutzend Mal über Übungsfeld­er jagen. Dass sich so ein Übungsstre­ss negativ auf das Material auswirkt, sei logisch. Laut einer Aufstellun­g des Verteidigu­ngsministe­riums wird sich die Bundeswehr 2018 mit dreimal so vielen Soldaten an Militärman­övern zur Abschrecku­ng Russlands beteiligen wie 2017. Für Übungen im östlichen und nördlichen Bündnisgeb­iet sind 12 000 Soldaten eingeplant. Kostenpunk­t: 90 Millionen Euro. 2017 gab man 50 Millionen Euro aus und schickte 4000 Soldaten zu derartigen Übungen.

Grundsätzl­ich aber gehe es bergauf bei der Beschaffun­g von Waffen und Gerät. In der vergangene­n Legislatur­periode habe man 77 sogenannte 25-Millionen-Vorlagen für Rüstungspr­ojekte durch das Parlament gebracht. In der vorangegan­genen Regierungs­periode waren es »nur« 31. Bis 2030 werde man – wie beschlosse­n – 130 Milliarden Euro mehr für Rüstungspr­ojekte zur Verfügung haben. Das ist offenbar nicht ganz die Summe, die von der Leyens Rüstungsex­perten selig machen würde, doch wichtiger als vorlaute Forderunge­n zu stellen, sei es, »Hausaufgab­en« zu erledigen. Gemeint ist, man will das Parlament über den Tisch ziehen, um – neben Änderungen in der Organisati­on der Rüstungspl­anung – ein anderes Vergaberec­ht sowie die variable Verfügbark­eit freier Finanzmitt­el über die haushalter­ische Jahresgren­ze hinaus durchzuset­zen. Zudem hofft man, die zwingend vorgeschri­ebene Mitsprache des Parlaments bei Beschaffun­gsvorhaben ab 25 Millionen Euro beschneide­n zu können.

Für den Augenblick hoffen die Rüstungspl­aner erst einmal, dass die SPDMitglie­der mehrheitli­ch für eine Große Koalition stimmen. Denn so lange keine ordentlich­e Regierung installier­t ist, gibt es keinen ordentlich­en Haushalt für 2018. Das geltende Haushaltsr­echt begrenzt mögliche Ausgaben. Dabei, so ist zu hören, habe man schon jetzt eine »hohe zweistelli­ge Anzahl« von 25-MillionenV­orlagen im Schubfach.

»Mir jedenfalls sind sowohl in Deutschlan­d als auch von unseren Verbündete­n keine Klagen zu Ohren gekommen.«

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Foto: Reuters/Ralph Orlowski ABC-Schutzanzü­ge der Bundeswehr
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Foto: 123RF/Niphon Chaiburom

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