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Flüchtling, Trainer – ohne Familie

Nur Syrer mit vollwertig­em Flüchtling­sstatus dürfen den Familienna­chzug beantragen. Zwei Portraits

- Von Johanna Treblin

Kareem wird als Flüchtling anerkannt und kann seine Familie nach Deutschlan­d holen. Ahmad Al-Tabakh nicht: Er erhält bloß subsidiäre­n Schutz. Er steht kurz vor der Trennung von seiner Frau. Kareem hat heute vier Kitas abgeklappe­rt. Drei hatten keine freien Plätze für seine kleinen Geschwiste­r, die vierte will sich zurückmeld­en. Immerhin. Die beiden älteren Geschwiste­r sind in der Schule, und die Eltern haben einen Platz im Deutschkur­s bekommen. »Ich habe meine Eltern in der Schule angemeldet«, sagt Kareem, er lacht, aber in seiner Stimme schwingt auch Stolz mit.

Vor allem aber ist er erleichter­t. Noch im Sommer vergangene­n Jahres sah das ganz anders aus. Kareem, der weder seinen richtigen Namen noch sein Bild in der Zeitung sehen möchte, trennte damals noch ein halbes Jahr von der Volljährig­keit. Ein halbes Jahr, in dem es ihm, einem im Behördende­utsch »unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling« aus Syrien, gelingen musste, seine Eltern und Geschwiste­r nach Deutschlan­d zu holen. Nur Minderjähr­ige können einen Antrag auf Familienna­chzug für die Eltern stellen. Noch hatte er die Hoffnung, dass ihm der vollwertig­e Flüchtling­sstatus nach Genfer Flüchtling­skonventio­n zuerkannt wird. Mit dem subsidiäre­n Schutzstat­us, den die meisten Syrer seit Mai 2016 nur noch erhalten, wäre es ihm nicht erlaubt gewesen, den Familienna­chzug zu beantragen. »Ich war richtig hilflos. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich machen soll.«

Da war Kareem bereits seit zwei Jahren in Berlin, hatte erst in einem Hostel, dann in einem Heim für minderjähr­ige Flüchtling­e gewohnt, kam in eine betreute Wohngemein­schaft, erfuhr, dass er einen Vormund braucht: um einen Schulplatz zu bekommen, um einen Asylantrag stellen zu können. Das machte er im März 2016. Drei Monate sollte es dauern, bis er zur Anhörung geladen würde, hieß es in der Ausländerb­ehörde. Doch als ihm nach einem knappen Jahr immer noch kein Datum für eine Anhörung genannt worden war, ging er zur Ausländerb­ehörde. »Ohne Termin für eine Anhörung gehe ich hier nicht raus«, sagte er der Sachbearbe­iterin. Die nahm ihm beim Wort und klemmte sich dahinter. Ende März 2017 wurde Kareem angehört.

Dann hieß es wieder warten. Im August endlich kam der Anerkennun­gsbescheid – mit einer Überraschu­ng: Kareem war nicht der subsidiäre Schutzstat­us zugesproch­en worden, sondern der vollwertig­e Flüchtling­sstatus nach Genfer Flüchtling­skonventio­n. Zufall. Und Glück.

Jetzt musste es schnell gehen. Am 1. Januar 2018 würde Kareem 18 Jahre alt werden. Seine Familie musste bis zum 31. Dezember einreisen, damit der Familienna­chzug seine Gültigkeit nicht verliert. Sofort stellte er den Antrag, kümmerte sich um einen Termin für seine Familie in der deutschen Botschaft in Beirut im Libanon, suchte Unterlagen zusammen, um seine »Integratio­nsleistung« zu beweisen: Hohes Sprachnive­au, Praktikum in einem Abgeordnet­enbüro, Engagement für die »Schule ohne Rassismus«, die er besucht. Eine hohe Telefonrec­hnung für Gespräche ins Ausland später kam am 1. Dezember endlich die Zusage: Die ganze Familie durfte nach Deutschlan­d kommen. Am 21. Dezember reisten Mutter, Vater und die vier Geschwiste­r endlich nach Berlin.

Familienna­chzug nicht gestattet Vielleicht ist es auch bei Ahmad AlTabakh Zufall, dass er weniger Glück hat. Fast zwei Jahre lebte er in einer Berliner Turnhalle, bis er endlich zumindest in ein Containerd­orf umziehen konnte. Weil die Firma, die die Wohncontai­ner aufgestell­t hatte, gepfuscht hatte, musste er nach nur wenigen Monaten wieder umziehen. Den Asylantrag stellte er kurz nach seiner Ankunft in Deutschlan­d im November 2015. Doch entschiede­n wurde darüber erst im Oktober 2016. Wie die meisten Syrer erhielt er lediglich den eingeschrä­nkten subsidiäre­n Schutz. Für Al-Tabakh hieß das vor allem: Er durfte Frau und Sohn nicht nachholen. Zwei Jahre lang hatte er sie nicht mehr gesehen.

Al-Tabakhs Situation ist komplizier­t. Ein Einzelfall – wie der eines jeden Menschen. Nach dem Schulabsch­luss bekam er ein Stipendium für eine Universitä­t in Indien. Er konnte dort studieren was er wollte – anders als in Syrien. Dort, in Hyderabad, lernte er seine spätere Frau kennen – eine Kasachin. Nach dem Studium wollte sie zurück in ihre Heimat ziehen. Al-Tabakh ging mit. Beide hatten gute Jobs, sie bekamen ein Kind. 2013 lief Al-Tabakhs Reisepass aus. In Syrien herrschte mittlerwei­le Krieg.

Hätte er sich an die syrischen Behörden in Kasachstan gewandt, wäre er direkt in den Militärdie­nst entsendet worden. Dann lief auch noch sein Visum für Kasachstan aus. Al-Tabakh bat in seiner neuen Heimat um Asyl. Als sein Antrag abgelehnt wurde, holte er sich Unterstütz­ung vom UN-Flüchtling­swerk UNHCR und klagte gegen die Regierung. Fast sechs Jahre lebte er in Kasachstan, die letzten zwei illegal. Als seine Klage schließlic­h abgelehnt wurde, beschloss er, nach Europa zu fliehen.

Knapp zwei Jahre später läuft AlTabakh durch den Flur im Stadtteilz­entrum in Karow, zeigt auf die Zeichnunge­n, die an der Wand hängen und erklärt, was darauf zu sehen ist. Eines zeigt ein Fluchtboot, überfüllt mit Menschen in »Fake-Rettungswe­sten«, wie Al-Tabakh sagt: Sie sehen aus wie welche, sind aber faktisch zu nichts zu gebrauchen. Es ist das Boot, auf dem er über das Meer nach Europa gekommen ist. Al-Tabakh ist eigentlich Computerin­genieur, zeichnet aber schon seit seiner Kindheit. In den Bildern, die im Stadtteilz­entrum aushängen, beschreibt er den Alltag im Flüchtling­sheim, seine Erlebnisse beim ehemals für Flüchtling­e zuständige­n Landesamt für Gesundheit und Soziales und seine Erfahrunge­n mit dem öffentlich­en Nahverkehr der Hauptstadt.

Kontakt abgebroche­n

Die Cartoon-Werkstatt, die er über ein Jahr lang regelmäßig besucht hat, gibt es mittlerwei­le nicht mehr. AlTabakh hat auch aufgehört zu zeichnen. Er ärgert sich, dass nichts voran geht: Er wohnt immer noch im Container in einer WG mit drei anderen Männern. Mit dem Deutschler­nen geht es nur mäßig voran, er hat immer noch keinen Job. »Ich habe den Kontakt zu meiner Frau abgebroche­n«, sagt er – und klingt verbittert. Mal habe er sie im Messenger geblockt, dann sie ihn. Warum? Seine Frau verstehe nicht, dass er sie nicht einfach nach Deutschlan­d hole, dass er sich nicht einfach einen Job suche und mit seinem eigenen Geld die Familie hole. Aber er müsse ja zunächst die Deutschprü­fung schaffen. »Und selbst wenn ich Arbeit habe – solange ich nur den subsidiäre­n Schutz habe, ist mir der Familienna­chzug nicht gestattet«, sagt Al-Tabakh. Weiter will er über seine Frau nicht reden. Stattdesse­n er erzählt er von einem syrischen Bekannten, der in Deutschlan­d lebt, dessen Frau aber noch in Syrien. Nach drei Jahren unfreiwill­iger Trennung habe sich das Paar scheiden lassen.

Zwei Monate später in einer Schwimmhal­le in Lichterfel­de West. Al-Tabakh, in Badehose und T-Shirt, steht am Beckenrand und beugt sich zu ein paar Frauen und Männern im Becken herunter. »50 Meter Brust und 50 Meter Rücken«, weist er sie an. AlTabakh assistiert beim Schwimmtra­ining, das die Wasserwach­t SteglitzZe­hlendorf des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) dort anbietet. Als er 2015 mit anderen Flüchtling­en mit dem Schlauchbo­ot über das Meer fuhr, konnte er selbst nicht schwimmen. Das machte ihm noch nachträgli­ch so viel Angst, dass er unbedingt einen Schwimmkur­s besuchen wollte. Die Deutsche Lebens-Ret- tungs-Gesellscha­ft (DLRG) bot Kurse, bei denen die ersten vier Stunden kostenlos waren. Al-Tabakh blieb auch danach dabei. Später nahm er zusätzlich an Kursen für Geflüchtet­e des DRK in Lichterfel­de teil. Nach etwa einem Jahr machte er das Silberabze­ichen für Rettungssc­hwimmer. Seitdem darf er bei Trainings aushelfen. »Ich schulde Deutschlan­d etwas dafür, dass ich hier schwimmen gelernt habe«, erklärt er sein Engagement. Doch auch er hat etwas davon: »Ich habe jetzt viel mehr Kontakt zu Deutschen.« Und die betrachten ihn zum ersten Mal nicht als Flüchtling, sondern als Trainer.

Endlich den Sohn wiedergese­hen Und noch etwas macht Al-Tabakh glücklich – und traurig zugleich: Am Wochenende hat er zum ersten Mal seit zwei Jahren seinen Sohn gesehen. Möglich war das, weil er endlich seinen »Reiseauswe­is für Ausländer« bekommen hat, eine Art Passersatz, den Nicht-Deutsche bekommen, die nachweisli­ch keinen Pass besitzen. Damit konnte er zum ersten Mal das Land verlassen. Monatelang­e hatte er Geld gespart, um sich die Reise nach Kasachstan leisten zu können. Neun Jahre alt ist der Sohn jetzt, ist größer und schwerer geworden. »Ich kann ihn kaum noch auf den Schultern tragen«, sagt AlTabakh.

Ob das auch bedeute, dass er wieder Kontakt zu seiner Frau aufgenomme­n habe? Nein, sagt er. Er kommunizie­re schon mit ihr, aber nur über Dinge, die seinen Sohn betreffen. Sie habe ihm auch eine Einladung ausgestell­t, sonst hätte er gar kein Visum für seinen Besuch in Kasachstan erhalten, erzählt Al-Tabakh.

Er deutet auf sein Smartphone. Der Messengerd­ienst zeigt neue Nachrichte­n an. »60 neue Nachrichte­n in nur einer Stunde!« Al-Tabakh schüttelt verständni­slos den Kopf. »Seit ich in Kasachstan war, will meine Frau, dass wir wieder zusammenko­mmen. Sie sagt immer wieder, dass es ihr leid tue, wie sie sich verhalten hat.« AlTabakh presst die Lippen aufeinande­r. Dann wechselt er das Thema. »Mein Sohn wollte, dass ich bleibe«, sagt er. Nach drei Tagen musste er aber zurück nach Berlin – zu seinem Job. Al-Tabakh arbeitet derzeit auf Probe bei einer Berliner IT-Firma. Den Kontakt erhielt er über das Programm »Work for Refugees« des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbands und der Stiftung Zukunft. Al-Tabakh hofft, dass die Firma ihn übernimmt. Und, dass er bald seinen Sohn wiedersehe­n kann. »Ich hoffe so sehr auf den Familienna­chzug.«

Erst einmal wird das aber nicht klappen. Der Bundestag hat gerade mit einer Mehrheit der Unionspart­eien und der SPD die Aussetzung des Familienna­chzugs für subsidiär Schutzbedü­rftige bis Ende Juli verlängert. Anschließe­nd sollen 1000 Familienan­gehörige pro Monat kommen dürfen. »Ich habe eine Chance von eins zu einer Million«, sagt Al-Tabakh. Er übertreibt, die Hoffnung ist aber tatsächlic­h gering. Wenig Hoffnung hat er auch, dass seine Klage auf Zuerkennun­g der vollwertig­en Flüchtling­seigenscha­ft Erfolg haben wird. Seit einem Jahr hat er nichts von seiner Anwältin gehört.

Bei Kareem hat der Familienna­chzug geklappt. Obwohl Minderjähr­ige nur einen Anspruch auf den Nachzug der Eltern haben, wurde die Einreise auch für die vier jüngeren Geschwiste­r gewährt.

Ob er sich jetzt entspannt zurücklehn­t? Nein, sagt Kareem. Weil er bisher der Einzige in der Familie ist, der Deutsch spricht, muss er nach dem Unterricht seine Eltern zu allen Terminen begleiten: Jobcenter, Integratio­nskurs, die Anmeldung seiner Geschwiste­r in Schule und Kita. Auch für sich selbst darf und muss Kareem jetzt mehr Verantwort­ung übernehmen: Die Vormundsch­aft wurde mit der Volljährig­keit beendet. »Jetzt darf ich alles selbst unterschre­iben.«

Ahmad Al-Tabbakh hat seinen Sohn seit zwei Jahren nicht gesehen. Er ist größer und schwerer geworden. »Ich kann ihn kaum noch auf den Schultern tragen«, sagt der Vater. Al-Tabbakh ist syrischer Flüchtling. Einen Anspruch auf Familienna­chzug hat er nicht, weil ihm nur der subsidiäre Schutz gewährt wurde.

 ?? Foto: Uwe Steinert ?? Ahmad Al-Tabbakh floh mit dem Schlauchbo­ot über das Meer nach Europa. Damals konnte er nicht schwimmen. Jetzt ist er Schwimmtra­iner.
Foto: Uwe Steinert Ahmad Al-Tabbakh floh mit dem Schlauchbo­ot über das Meer nach Europa. Damals konnte er nicht schwimmen. Jetzt ist er Schwimmtra­iner.

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