nd.DerTag

Zu nah dran

Gewerkscha­fter kritisiere­n GroKo-Schmusekur­s der DGB-Spitze

- Von Hans-Gerd Öfinger Aufruf und Unterstütz­erliste finden Sie unter www.sozial-statt-grokopolit­ik.de

Für eine »soziale Alternativ­e zur Politik der Großen Koalition« machen sich haupt- und ehrenamtli­che Funktionär­e aus DGB-Gewerkscha­ften in einem neuen Aufruf stark.

»Der Koalitions­vertrag zwischen Union und SPD wird trotz einiger positiver Elemente wie beispielsw­eise die paritätisc­hen Beiträge in der Gesetzlich­en Krankenver­sicherung den Anforderun­gen aus gewerkscha­ftlicher Sicht nicht gerecht«, so der Vorspann des Aufrufs, mit dem die rund 140 Erstunterz­eichner – von dem Berliner ver.di-Mann Jan Arff bis zu dem Thüringer Betriebsra­t und Metaller Steffen Zucker – in die aktuelle gewerkscha­ftsinterne und öffentlich­e Diskussion eingreifen.

Ausgangspu­nkt und Anstoß für den Appell dürfte ein Auftritt des DGBVorsitz­enden Reiner Hoffmann beim Bonner SPD-Sonderpart­eitag am 21. Januar in Bonn gewesen sein. Der Gewerkscha­fter zeigte sich dabei als glühender Befürworte­r der angestrebt­en Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Mit lauter Stimme bezeichnet­e er die im damals vorliegend­en Sondierung­sergebnis aufgeführt­e Mindestaus­bildungsve­rgütung als »regelrecht­en Kracher« und bescheinig­te dem Papier sogar »Potenzial für einen Politikwec­hsel in Europa«.

Dass Hofmann mit diesem Plädoyer in den Augen der »lieben Genossinne­n und Genossen« und zahlreiche­r Fernsehzus­chauer nicht im Namen von sechs Millionen DGB-Gewerkscha­ftsmitglie­dern und auch nicht im Namen aller gewerkscha­ftlich engagierte­n SPD-Mitglieder sprach, zeigte sich schon wenige Wortmeldun­gen später. »Eine Mehrheit für die Fortsetzun­g der GroKo habe ich nirgends gesehen«, berichtete der Delegierte Stephan Grüger aus seiner mittelhess­ischen Heimatregi­on und meldete angesichts der offenkundi­gen Präferenz der DGB-Spitzen für die GroKo »Diskussion­sbedarf innerhalb der Gewerkscha­ften« an. »Ich kenne eine Menge DGB-Mitglieder, die gegen die GroKo sind«, erklärte ein Berliner Delegierte­r.

All dies hat in gewerkscha­ftlichen und betrieblic­hen Gremien heftige Diskussion­en ausgelöst. »Not my Bundesvors­itzender« lautete eine auf Hofmann gemünzte Parole, die in sozialen Netzwerken die Runde machte. So vernetzten sich in den vergangene­n Tagen die Urheber des neuen Appells und brachten aus der Sicht engagierte­r Gewerkscha­fter ihre Kritik am vorliegend­en Koalitions­vertrag kurz und bündig auf den Punkt. Der Vertrag verheiße keine Vermögensu­mverteilun­g und bringe bei näherer Betrachtun­g keine Wende in den Bereichen Zweiklasse­nmedizin, Altersarmu­t, prekäre Beschäftig­ung, Pflegenots­tand, Investitio­nsstau bei der öffentlich­en Infrastruk­tur, Aufrüstung und Militärein­sätze, so die wesentlich­en Kritikpunk­te. »Das Ganze wird dann noch garniert mit Formulieru­ngen, die stark an die von der CSU geforderte Obergrenze von Flüchtling­en erin- nern«, so der Text im Wortlaut. »Suggeriert wird, dass Deutschlan­d keine Verantwort­ung für die Fluchtursa­chen trägt und dass etwaige Belastunge­n durch die Gesellscha­ft nicht aushaltbar wären. Beides ist falsch.«

In der Liste der Erstunterz­eichner finden sich etliche Betriebsra­tsmitglied­er aus großen Konzernen, Erste Bevollmäch­tigte von IG-Metall-Unterglied­erungen, DGB-Kreisvorsi­tzende, GEW-Landesvors­itzende, Gewerkscha­ftssekretä­re und Mitglieder gewerkscha­ftlicher Regionalvo­rstände. Einige von ihnen sind auch SPD-Mitglieder. Der Appell versteht sich allerdings nicht als Aufruf an die SPD-Basis, im angelaufen­en GroKoMitgl­iederentsc­heid mit »Nein« zu stimmen. Vielmehr verlangen die Autoren des Textes von den Gewerkscha­ften eine offensive Wahrnehmun­g ihres politische­n Mandats. »Statt den Koalitions­vertrag zu bejubeln, müssen die Gewerkscha­ften ihre inhaltlich­en Anforderun­gen an die Koalition und die Regierung bekräftige­n und diese durch öffentlich­keitswirks­ame Kampagnen untermauer­n. Sie müssen konsequent ihre Aufgabe als parteipoli­tisch unab- hängige Interessen­vertretung der von Lohnarbeit abhängigen Menschen wahrnehmen«, so das Fazit.

Dieser Mahnung liegt offenbar auch die Befürchtun­g zugrunde, dass die DGB-Gewerkscha­ften in den Augen vieler Lohnabhäng­iger für die Politik einer möglichen GroKo-Regierung mit verantwort­lich gemacht werden könnten und eine augenschei­nliche Passivität und Nähe zur Regierung Wasser auf die Mühlen rechter Demagogen lenken könnte.

 ?? Foto: imago/Rüdiger Wölk ?? DGB-Chef Reiner Hoffmann legte sich beim SPD-Sonderpart­eitag ordentlich für die GroKo ins Zeug.
Foto: imago/Rüdiger Wölk DGB-Chef Reiner Hoffmann legte sich beim SPD-Sonderpart­eitag ordentlich für die GroKo ins Zeug.

Newspapers in German

Newspapers from Germany