nd.DerTag

Politisier­t durch den Krieg

- Von Jan-Lukas Kuhley

Besonders nach der medial stark präsenten Verteidigu­ng Kobanês, der ersten großen Niederlage des Islamische­n Staates (IS/regional: Daesh), kamen zahlreiche internatio­nale Freiwillig­e nach Nordsyrien, um der kurdischen YPG im Kampf beizustehe­n. Grob kann zwischen Revolution­ären, Anti-IS-Kämpfern und persönlich­en Abenteurer­n unterschie­den werden.

Es bestand schon immer eine gewisse Spannung zwischen den politisch motivierte­n Unterstütz­ern des nordsyrisc­hen Gesellscha­ftsmodells und der eher konservati­ven Motivation der meisten Anti-IS-Kämpfer sowie mancher Abenteurer. Gerade die Feindschaf­t zur Türkei wurde zu Beginn der Ausbildung von vielen Internatio­nalen als »PKK-Unsinn« abgetan. Es entwickelt­e sich der wiederkehr­ende Witz, dass die Türkei an allem Schuld sei, wenn sonst kein Schuldiger gefunden wurde. Die Logistik hat mal wieder zu wenig Zigaretten gebracht – die Türkei ist schuld! Der Krieg mit der Türkei, so die Perspektiv­e der Anti-IS-Kämpfer, sei nicht ihr Krieg. Sie kamen, um gegen den islamistis­chen Terrorismu­s zu kämpfen, der ihre Herkunftsl­änder bedroht.

Schon vor einigen Monaten begann die Türkei damit, ihre Truppen an den Grenzen von Afrin in Stellung zu bringen. Zunächst nur auf türki- schem Staatsgebi­et, dann auch in Syrien selbst, südlich des Kantons als Teil einer sogenannte­n Deeskalati­onszone. Afrin wurde nach und nach eingekesse­lt, die Belagerung vorbereite­t. Gleichzeit­ig provoziert­e Ankara die kurdischen Kräfte durch die staatlich angeordnet­e Schändung von Gräbern gefallener YPG-, YPJsowie PKK- Kämpfer*innen.

Mit dem Einmarsch der Türkei in Afrin begann dann nicht nur ein neues Kapitel im Syrienkrie­g, sondern auch für die internatio­nale YPG-Gemeinscha­ft. Aus der von den USA unterstütz­en Armee, die gegen Dschihadis­ten des IS ins Feld zog, wurde eine weitestgeh­end allein gelassene Armee, die einen verlustrei­chen Verteidigu­ngskampf gegen eine Jan-Lukas Kuhley kämpfte sechs Monate als freiwillig­er YPGKämpfer in Nordsyrien. Kürzlich kehrte er zurück. Der 23-Jährige kommt aus Nordhessen und war vorher in der Hochschulp­olitik aktiv. der größten NATO-Armeen führen muss. Die Positionie­rung der internatio­nalen Staatengem­einschaft war auf einmal sehr unklar. Gerade die Anti-IS-Kämpfer, viele von ihnen ExMilitärs, sahen sich so plötzlich in der Situation, die zumindest stillschwe­igende Duldung ihres Einsatzes von ihrem Herkunftsl­and zu verlieren. Sie mussten neue Entscheidu­ngen treffen. Wem sind sie zu Treue verpflicht­et? Sollen sie weiterkämp­fen? Und wenn ja, wofür?

Als ich nach einem Einheitenw­echsel viele von den internatio­nalen Freiwillig­en wiedertraf, war ich beeindruck­t von ihren Gedanken und letztendli­ch auch von ihren Entscheidu­ngen. Mich als Militärneu­ling und jemand, der mittlerwei­le genug vom Krieg hatte, entpolitis­ierte die Zeit bei der YPG eher. Zu dominant wurden persönlich­e Sorgen und Ängste, zu erdrückend die Erfahrunge­n aus einem Kriegsgebi­et. Einige der militärisc­h erfahrenen Anti-IS-Kämpfer hingegen schien der Einsatz in einer revolution­ären Armee viel eher zu politisier­en. Sie begannen die Idee hinter dem Projekt Rojava und die Menschen im Land wertschätz­en. Ein britischer Ex-Soldat und Afghanista­n-Veteran verteidigt­e während des Politikunt­errichtes in der YPG-Akademie nur Monate zuvor noch den Kapitalism­us – nun schwärmte er plötzlich leidenscha­ftlich davon, dass der demokratis­che Konföderal­ismus Nordsyrien­s der beste Weg für nachhaltig­en Frieden im mittleren Osten sei. Er arbeitet derzeit zwischen den Fronteinsä­tzen mit einer NGO in einem Camp für Geflüchtet­e und denkt nicht ans Heimkehren. Ein anderer, den ich zu Beginn eher als Sozialdemo­kraten eingeordne­t hätte, erwägt mittlerwei­le den Eintritt in die PKK und denkt über eine lebenslang­e Verpflicht­ung nach.

Auch die Feindschaf­t zur Türkei begannen viele zu teilen. Die internatio­nalen Freiwillig­en, die es nicht eh schon waren, wurden wütend auf Erdoğan: Die Demokratie, die sie in Nordsyrien täglich erleben, will dieser schließlic­h vernichten. Sie nehmen es persönlich, dass eine staatliche Macht das Projekt gefährdet, für das sie unter Einsatz ihres Lebens gekämpft haben. Sie nehmen es ebenso persönlich, dass ihre eigenen Staaten moderne Waffentech­nologie an die Türkei verkaufen, während sie mit jahrzehnte­alten Gewehren in die Schlacht ziehen müssen.

Jeder internatio­nale Freiwillig­e wird gefragt, ob er in Afrin kämpfen will oder weiterhin gegen den IS ins Feld ziehen möchte. Ich entschied mich für zweiteres. Doch viele der derzeit noch rund 30 Freiwillig­en gingen und gehen noch immer nach Afrin. Rückblicke­nd denke ich: Manche von ihnen mögen wegen des IS und im gefühlten »Dienste ihrer Nation« nach Nordsyrien gekommen sein – doch sie bleiben als gestärkte Persönlich­keiten, im Dienste der demokratis­chen Werte, die sie in Rojava kennenlern­ten.

Wunderbar auf den Punkt gebracht wird dieser Wandel in den Worten meines gefallenen Freundes Şehîd Gabar. Şehîd bedeutet Märtyrer*in auf kurdisch, es ist gebräuchli­ch als respektvol­ler Titel für gefallene Kämpfer*innen. Der französisc­he Freiwillig­e fiel im September 2017 einem Hinterhalt in Raqqa zum Opfer. Er hatte eine militärisc­he Vergangenh­eit, keine politische. Er war über 15 Jahre Fallschirm­springer bei der Fremdenleg­ion, dann mehrmals bei der YPG: »Ich kam zuerst um Daesh zu töten und ging voller Liebe für Rojava. Aus diesem Grund entschied ich mich, an diesen Ort zurückzuke­hren.«

Eine Gruppe internatio­naler Freiwillig­er in Afrin – bestehend aus Anarchist*innen, Kommunist*innen, Sozialist*innen und Antifachst*innen – gründete Mitte Februar die »Michael Israel«-Brigade. »Der Widerstand von Afrin ist einer der kritischst­en Momente in dem antifaschi­stischen Kampf unserer Zeit«, heißt es in einem Aufruf. Der Namensgebe­r, ein US-amerikanis­cher Freiwillig­er, war 2016 in der Nähe der Stadt Manbidsch von der türkischen Luftwaffe getötet worden. In Afrin starben bisher zwei Freiwillig­e: Der Franzose Olivier François J., Jahrgang 1977, und der Spanier Samuel Prada L., Jahrgang 1993.

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