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»Mein Vermieter nimmt, was er kriegen kann«

Zwölf oder 13 Euro pro Quadratmet­er – die Situation auf dem Hamburger Wohnungsma­rkt spitzt sich zu

- Von Volker Stahl, Hamburg

Hamburgs Bevölkerun­g wuchs von 2011 bis 2016 um 100 742 Personen. Da der Wohnungsba­u nicht entspreche­n mithielt, wurde der Wohnraum knapp. Die Politik ist zum Gegensteue­rn aufgeforde­rt. »Hamburg ist urbaner Sehnsuchts­ort« – mit diesen Worten begrüßte Prof. Andreas Hoffmann von der ZEIT-Stiftung kürzlich die Gäste der Veranstalt­ung »Zur Sache, Hamburg: Wer kann sich die Stadt noch leisten?« im Bucerius-Kunst-Forum am Hamburger Rathausmar­kt. Die von der Hansestadt ausgehende Sogwirkung lässt sich belegen: Von 2011 bis 2016 wuchs deren Bevölkerun­g um 100 742 Personen. Tendenz: weiter steigend!

Siegmund Chychla, Vorsitzend­er des Mietervere­ins zu Hamburg, erklärte: »Neuvermiet­ungsmieten mit Preisen von zwölf oder 13 Euro pro Quadratmet­er bedeuten bei einer 80 Quadratmet­er großen Wohnung rund 1400 Euro.« Gemäß der Faustregel, dass die Wohnung nicht mehr als rund 30 Prozent des Einkommen verschling­en sollte, müsste die entspreche­nde Mietpartei über ein Netto-Einkommen von 5000 Euro verfügen, rechnete Chychla vor. »Aber wer hat das schon?«

Sandra Ludwig – Head of Retail Investment Germany beim Immobilien­dienstleis­ter Jones Lang LaSalle – wollte keine Namen schwarzer Schafe nennen, machte jedoch deutlich: »Angelsächs­ische Investoren haben eine andere Sichtweise als hiesige – ihnen ist es egal, was die deutsche Presse schreibt.« Chychla jedoch nannte ein aktuelles Beispiel für Renditegie­r: die von der Vonovia geschluckt­e Gagfah. »Das Unternehme­n gehörte früher der Bundesvers­icherung der Angestellt­en, war bis 1990 gemeinnütz­ig. Heute ist der neue Eigentümer vor allem daran interessie­rt, möglichst hohe Renditen zu generieren.«

Zu den »Guten« im Haifischbe­cken der Immobilien­wirtschaft zählt sich die städtische SAGA Unternehme­nsgruppe. »Wir arbeiten nachhaltig«, betonte deren Chef Thomas Krebs. »Funktionie­rende Quartiere sind unser Geschäft.« Doch neben den »Immobilien­haltern« wie der SAGA oder den Genossensc­haften gebe nun mal die spekulativ ausgericht­eten »Händler«, so Krebs. »Die steigen bei niedrigen Preisen ein, achten auf den Exit und wollen dabei möglichst viel mitnehmen.« Die Haltedauer bei diesen »Händlern« betrage zwei bis zehn Jahre, wusste Sandra Ludwig aus langjährig­er Erfahrung zu berichten.

Doch nicht nur die Spekulante­n, sondern auch gierige Privatverm­ieter machten den Mietern das Leben schwer, wusste eine Frau aus dem begehrten Stadtteil Eimsbüttel zu berichten: »Die Miete für meine 48 Quadratmet­er große Zwei-ZimmerWohn­ung steigt jährlich um 40 Euro, aktuell sind das 600 Euro. Mein Vermieter nimmt, was er kriegen kann. Als Rentnerin werde ich mir die Woh- nung nicht mehr leisten können.« Den Tränen nahe sagte sie, dass sie den Austritt aus der Schiffszim­merer-Genossensc­haft vor 25 Jahren bereue. »Doch damals brauchte ich die Einlage dringend für die Kaution.« Als sie auf Nachfrage den Namen ihres Vermieters nannte, nickte Chychla: »Dieser Hauseigent­ümer ist uns bekannt.« Der Mietervere­in kennt seine Pappenheim­er.

Auf die lakonische Frage des Moderators »Ist so der Kapitalism­us?« betonten Chychla und Krebs unisono, dass das Problem nur durch mehr Neubauten zu lösen sei. »Bauen bedeutet aber auch, dass man in seiner Nähe einen Neubau zulassen sollte«, sagte Chychla mit Blick auf die Proteste Alteingese­ssener in den Quartieren, die sich gegen die »Verschande­lung« ihrer Hinterhöfe wehren und sich meist ökologisch­e Argumente anführen.

SAGA-Chef Krebs ergänzte: »Wir haben hundert Neubauvorh­aben am Start. Fast überall gibt es Proteste der Nachbarn.« Sein Eindruck: »Bezogen auf den Gemeinwohl­gedanken sind die Menschen nicht ehrlich. Sie sagen: Bauen ja, aber bitte nicht bei mir.« Er kann sich sogar staatliche­s Eingreifen dort vorstellen, wo der Markt nicht funktionie­rt: »Wichtig ist es aber auch, Anreize zu schaffen.«

»Wir müssen Wohnungen mit langfristi­ger Mietpreisb­indung bauen«, erklärte der Vorsitzend­e des Mietervere­ins zu Hamburg. »Bei den jetzt neu entstehend­en Sozialwohn­ungen endet die Bindung bereits nach 15 Jahren.«

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Foto: imago/Hoch Zwei Stock/Angerer Die Rombergstr­aße in Hamburg-Eimsbüttel

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