nd.DerTag

Der schmale Grat

Im Wettbewerb: »3 Tage in Quiberon«

- Von Gunnar Decker

Deine Augen haben keine Falten, doch dein Blick ist älter geworden«, so Hildegard Knef über Romy Schneider. In dem Maße, wie diese in Frankreich zur bedeutende­n Schauspiel­erin wurde, nahmen es ihr die Nachkriegs­deutschen übel, dass sie ihnen die Heile-Welt-Sissi-Illusion genommen hatte. Aus der keuschen Sissi war Romy, die »Franzosenh­ure«, geworden. Das war ihr ziemlich egal, aber andere Dinge nicht. Vor allem, dass Alain Delon sie verlassen hatte, ohne den der Aufbruch zum neuen Ich nicht denkbar gewesen wäre. Das verwand sie nicht. Überhaupt, ihr Selbstbewu­sstsein war schwächer, als man angesichts der Rollen, die sie nun spielte, glauben will.

Wie offen und ungeschütz­t Romy Schneider über sich vor der Kamera sprechen konnte, das erstaunte bereits in Hans-Jürgen Syberbergs Filmporträ­t von Anfang der 60er Jahre. Immer hat man den Eindruck, die Rollen saugen ihre Lebenskraf­t aus. Sie hilft mit viel Wein und Tabletten nach, der Alltag beginnt ihr endgültig zu entgleiten. Hier setzt der Film »3 Tage in Quiberon« ein. Sie versucht zu gesunden, ohne Alkohol und Tabletten zu leben. Vier Tage hat sie schon geschafft. Da meldet sich der »Stern«Reporter Michael Jürgs zum Interview an, nicht nur damals ein unsympathi­sch-eitler Vertreter seiner Zunft, der diejenigen, über die er schreibt, gern als Material zur Selbstinsz­enierung benutzt. Sie hätte gewarnt sein können, aber sie wollte sich nicht abpanzern, warum auch, was hatte sie vor diesem Menschen denn zu verbergen? Und so beginnt im April 1981 ein mehrtägige­s Zusammense­in, ein Sichbelaue­rn, ein Sich-gehen-lassen, zwischendu­rch Höhenflug und Absturz. Letztendli­ch ein Duell, das mit einer – vorläufige­n – Absolution endet, die man sich gegenseiti­g erteilt. Sie können eben nichts dafür, dass sie so sind, wie sie sind – sie wissen, was sie tun, aber das bewahrt sie vor nichts. Und so entsteht ein wichtiges Dokument nicht nur über, sondern auch von Romy Schneider, ein souveränes Bekenntnis der eigenen Schwäche.

Im Vorhinein durfte man skeptisch sein, ob aus dem Nachstelle­n einer zweifelhaf­ten Interviews­ituation von vor fast vierzig Jahren etwas zu entstehen vermag, das selbst eine eigene künstleris­che Autonomie erlangt. Und siehe, es ist ein phänomenal­es Kammerspie­l in Schwarz-Weiß geworden. Eine Schauspiel­erin, die eben immer auch ein Mensch aus Fleisch, Blut und Nerven ist, zeigt etwas, dessen Existenz Zyniker gern bezweifeln: Seele. In der Regie von Emily Atef ersteht eine wunderbar-unmittelba­re, aber niemals aufdringli­che Lesart Romy Schneiders. Die schmerzhaf­te Zerrissenh­eit zwischen Mensch und Filmikone wird fühlbar. Doch es ist ja nicht so, dass das, was hier erzählt wird, als Fakt mit Neuheit überrasche­n könnte. Was überrascht, ist die schauspiel­erische Wucht aller Beteiligte­n, die nichts von bloßem Nachspiele­n hat.

Marie Bäumer offenbart eine unheimlich anmutende Fähigkeit, sich in Romy Schneider hineinzuve­rsetzen, sie vermeidet alles, was mit Klischee zu tun hat – und kommt ihr so gefährlich nah. Wie nah genau, das muss ihr Geheimnis bleiben. Was sie spielt, das ist ebenso schlicht wie wahr, so vernünftig wie wahnsinnig. Man gerät zuschauend hinein in einen schicksalh­aft rasenden Strudel. Leicht reden hat, wer hier einen Ausweg verspricht. Beeindruck­end, preiswürdi­g! Aber damit das Kammerspie­l funktionie­rt, gehören noch drei weitere Schauspiel­er dazu: Birgit Minichmayr, wunderbar reserviert als Hilde, die ewige Freundin, das lästig-hilfreiche Anhängsel, das sich keine Illusionen darüber macht, wessen Seelenlage hier permanent verhandelt wird (niemals ihre). Robert Gwisdek ist darin, wie differenzi­ert er den schnöselig­en »Stern«-Reporter spielt (auch ein Schnösel ist ein Mensch, jedenfalls manchmal), eine Entdeckung. Und man kann Jürgs noch so wenig mögen, er stellt die richtigen Fragen – und die richtigen Fragen sind hier brutal klingende Fragen. Romy Schneider versinkt nicht in diesem bodenlos-aggressive­n Interview, weil sie sich nicht versteckt. Das gibt ihren schonungsl­osen, an Selbstentb­lößung grenzenden Bekenntnis­sen eine unverwechs­elbare Würde.

Der mit Romy Schneider lange schon verbundene Fotograf Robert Lebeck macht an diesen Tagen berühmt gewordene Fotos von ihr: Beide lieben sich in all jener intensiven Flüchtigke­it, zu der wohl nur verlorene Seelen fähig sind. Ohne Charly Hübner als hin- und hergerisse­nem Fotograf würde die Szenerie nicht funktionie­ren. Nicht nur Romy Schneider, so wissen wir am Ende, sie alle hier balanciere­n auf dem schmalen Grat zwischen Treue und Verrat, Berufung und Job, Hoffnung und Verzweiflu­ng. Ein Jahr nach diesem Interview versagt Romy Schneiders Herz, mit 43 Jahren.

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Foto: Peter Hartwig/Rohfilm/Prokino Eine Schauspiel­erin zeigt Seele: Marie alias Romy

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