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Vom Club in den Krieg

Die Organisati­on Cadus will dort Unterstütz­ung leisten, wo andere nicht mehr hingehen

- Von Niklas Franzen

Vor drei Jahren gründeten Berliner*innen Cadus. Heute leistet die Organisati­on medizinisc­he Nothilfe im Nahen Osten. Das Prinzip: Hilfe zur Selbsthilf­e. Sommer 2014. Der Syrien-Krieg tobt und der Islamische Staat (IS) treibt in etlichen Staaten sein Unwesen. Immer mehr Flüchtling­e machen sich über das Mittelmeer auf die lebensbedr­ohliche Flucht nach Europa. Es sind Bilder, die ratlos und ohnmächtig machen.

In Berlin fragt sich eine Gruppe von Aktivist*innen: Wie können wir helfen? Es sind Mediziner*innen, Techniker*innen und Event-Manager*innen. Alle kommen aus der linken Musik- und Clubszene, einige hatten zuvor in der humanitäre­n Hilfe gearbeitet. Was verbindet: Die Unzufriede­nheit mit den konvention­ellen Hilfsorgan­isationen. »Der mangelnde Bezug zu lokalen Gemeinscha­ften und die fehlende Innovation­sfreude haben genervt«, erinnert sich Sebas- tian Jünemann. »Deshalb haben wir eine eigene Organisati­on gegründet.« So entstand der Cadus e.V.

Am Anfang unterstütz­te Cadus die Seenotrett­ung. Es wurden Spenden für ein Rettungsbo­ot gesammelt, die Cadus-Aktivist*innen fuhren auf Rettungsbo­oten mit. Die Gruppe und der Unterstütz­erkreis wuchsen schnell. Es kristallis­ierte sich heraus, dass auch auf dem Land Hilfe nötig ist. So entstand die Idee, medizinisc­he Nothilfe zu leisten. Dort wo sonst niemand mehr hingeht. Orte gab es genug.

Monatelang­e schraubten und bastelten die Mitglieder von Cadus an ihrem bislang größten Projekt: dem Mobilen Krankenhau­s. Das Krankenhau­s auf Rädern besteht aus zwei LKW und mehreren Behandlung­sund Operations­zelten, die schnell aufund wieder abgebaut werden können. Eigentlich wollte Cadus damit den Norden von Syrien ansteuern, genauer gesagt die kurdische Region Rojava. Allerdings erwies sich der Grenzübert­ritt vom Irak nach Syrien als sehr komplizier­t.

Als im Sommer 2017 die Schlacht um die IS-Hochburg Mossul ihren Höhepunkt erreichte, war den Cadus-Mitglieder­n schnell klar: Es kommt zu einer humanitäre­n Katastroph­e, da müssen wir hin. Viele Krankenhäu­ser lagen in Schutt. Die medizinisc­he Infrastruk­tur war am Boden. Internatio­nale Hilfsorgan­isationen hatten sich längst zurückgezo­gen.»In Mossul gab es einfach keine Ärzte mehr, niemand wollte dort arbeiten«, erinnert sich Jünemann.

Hunderttau­sende Menschen lebten aber weiterhin mitten im Krieg. Zwei Kilometer von der Front entfernt richtete Cadus in einer ehemaligen Autowerkst­att ihre Krankensta­tion ein. Wochenlang versorgten die Ärzte Schwerverl­etzte. Die Freiwillig­en kamen aus dem Ausland und arbeiteten ehrenamtli­ch. So auch der ausgebilde­te Rettungsas­sistent Jünemann, der zwischen den Einsätzen weiterhin als Türsteher einer SzeneBar in Berlin-Kreuzberg arbeitete.

Den humanitäre­n Grundsatz nach Neutralitä­t verpflicht­et behandelte Cadus alle Verletzten. In Mossul arbeitete Cadus auch eng mit dem ira- kischen Militär zusammen. Jünemann verteidigt das: »Wir arbeiten nicht da, wo es uns das Militär erlaubt, sondern es ist eine Absprache miteinande­r. Wir müssen wissen, wo mit einem Mindestmaß an Sicherheit zu rechnen ist.«

Mittlerwei­le ist Mossul vom IS befreit. Die Arbeit von Cadus geht in anderen Teilen des Landes weiter. Denn für Cadus geht es nicht nur um Nothilfe, sondern auch darum, Gesundheit­ssysteme langfristi­g zu stärken. In den kurdischen Gebieten Nordsyrien­s bildet die Organisati­on Ärzt*innen aus, im Irak wird geholfen, Notaufnahm­en wieder aufzubauen. Das Prinzip: Hilfe zur Selbsthilf­e. Fallen die linken Szenemitgl­ieder auf? »Die meisten von uns hatten ja schon vorher in Krisengebi­eten gearbeitet. Aber die lokalen Bewohner*innen scherzten, dass bei Cadus die Einstellun­gskriterie­n dunkele Klamotten und Tattoos sind«, erinnert sich Jünemann.

Medien aus der ganzen Welt berichtete­n über die kleine Berliner Organisati­on. Einige porträtier­ten Jünemann als »den Türsteher mit dem großen Herzen.« Diese Darstellun­g war nicht unproblema­tisch für Cadus. »Wir sind vorsichtig mit den Medien geworden. Die wollen Emotionen darstellen, die sich gut verkaufen«. Cadus will zudem versuchen sich von der Spendenabh­ängigkeit zu lösen. Ein Anfang: Im Februar gewann die Organisati­on eine halbe Millionen US-Dollar bei einem Wohltätigk­eitspreis. Das Geld ist jedoch schon für die nächsten Reisen eingeplant. Und viele Dinge fehlen weiterhin. Deshalb hat Cadus den »Crisis Response Maker Space« entwickelt. Das klingt nach Berliner Start-Up-Szene und heißt übersetzt: technische Lösungen für humanitäre Probleme entwickeln. Im Kreativdor­f Holzmarkt am Spreeufer basteln die Cadus-Mitglieder momentan an Rettungssy­stemen.

Wie geht es weiter? Das Mobile Krankenhau­s macht sich bald nach Nordsyrien auf. Auch das kriegsgepl­agte Jemen soll irgendwann angesteuer­t werden. Jünemann ist sich sicher: »Wir werden weiter da arbeiten, wo andere nicht hingehen.«

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