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Keine Erfolgsges­chichte Bereits 1949 hatte der damalige Ministeria­ldirektor im Bundeswirt-

Heinz-J. Bontrup kritisiert, dass das deutsche Kartellges­etz den Wettbewerb nicht genügend schützt

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In diesem Jahr wird das Gesetz gegen Wettbewerb­sbeschränk­ungen (GWB) 60 Jahre alt. Der frühere Bundeswirt­schaftsmin­ister Ludwig Erhard soll es einmal als das »Grundgeset­z der Marktwirts­chaft« bezeichnet haben. Wie sieht Ihr Fazit heute aus? Ist das GWB tatsächlic­h eine Erfolgsges­chichte?

Eher nicht. Ein Wettbewerb­sgesetz sollte den Wettbewerb schützen. Dies hat das GWB in den letzten 60 Jahren nie vermocht. Auch wenn Erhard es völlig überzogen als das »Grundgeset­z der Marktwirts­chaft« stilisiert hat. Denn dann hätte es – im Nachhinein betrachtet – viele »Verfassung­sverletzun­gen« gegeben. Die wichtigste­n Märkte sind heute alle hochgradig vermachtet­e Märkte. Fast überall gibt es nur noch wenige Anbieter, deren Marktantei­le so groß sind, dass man schon allein deshalb von einer den Wettbewerb pervertier­enden Marktmacht ausgehen muss. Und wer einmal Marktmacht realisiert hat, der bringt sie auch missbräuch­lich zum Einsatz. Übrigens nicht nur in der Wirtschaft selbst, sondern auch gegenüber der Politik.

Im vergangene­n Jahr hat das Bundeskart­ellamt Ordnungsst­rafen von insgesamt 60 Millionen Euro verhängt. Abgeschlos­sen wurden Verfahren gegen Hersteller von Industrieb­atterien, Autozulief­erer und Hafenschle­pper. Was halten Sie von dieser Bilanz?

Die Ordnungsst­rafen sind lächerlich niedrig. Die betroffene­n Unternehme­n haben sie in der Regel längst eingepreis­t, sodass sie von uns allen als Kunden über die Preise, die die Unternehme­n in Rechnung stellen, bezahlt werden. Und bis heute ist auch noch nicht die steuerrech­tliche Abzugsfähi­gkeit von Bußgeldern geklärt. Werden sie als Betriebsau­sgaben anerkannt, mindern sie den Gewinn und damit die Steuerzahl­ungen. schaftsmin­isterium, Paul Josten, einen ersten Gesetzentw­urf vorgelegt, den sogenannte­n Josten-Entwurf. Dennoch wurde das GWB erst neun Jahre später eingeführt. Warum ist diese Verzögerun­g heute noch von Bedeutung?

Schon damals haben die Wirtschaft­sverbände, allen voran der BDI, ein scharfes Kartellrec­ht abgelehnt. Deshalb hat es auch von 1949 bis 1958 gedauert, bis das GWB im Bundestag – völlig verwässert im Vergleich zum durchaus passablen »Josten-Entwurf« – verabschie­det werden konnte. Der damalige BDI-Präsident Fritz Berg schrieb tatsächlic­h an Erhard, dass Kartelle zur Erhaltung und Förderung einer gesunden Marktwirts­chaft unerlässli­ch seien. Ob der heutige BDI-Präsident Dieter Kempf das auch noch so sieht, müsste man ihn einmal fragen.

Das GWB umfasste zunächst das Kartellver­bot und die Missbrauch­saufsicht für marktbeher­rschende Unternehme­n. 1973 kam dann die Fusionskon­trolle hinzu. Ihrer Meinung nach zu spät. Warum?

Viel zu spät. Die Missbrauch­saufsicht ist bis heute noch an viel zu hohe Marktmacht­schwellen geknüpft, und eine vorbeugend­e Fusionskon­trolle hätte es von Anfang an geben müssen. Auch hier sind die Verbotshür­den viel zu hoch angesetzt. So kann heute beispielsw­eise ein Unternehme­n einen Marktantei­l von bis zu 40 Prozent haben, ohne dass dies als Marktmacht interpreti­ert wird. Geradezu ein schlechter Witz.

Mittlerwei­le gab es neun Gesetzesno­vellen, die jüngste 2017. Hat sich dadurch etwas grundlegen­d verbessert, oder sehen Sie noch immer bedeutende Schwachste­llen im Wettbewerb­sbeschränk­ungsgesetz?

Eine wirksame Verbesseru­ng war sicher die »Kronzeugen­regelung« zur Aufdeckung von Kartellen, die in der Wirtschaft Milliarden­schäden verursache­n. Dadurch konnten bisher ein paar spektakulä­re Kartelle aufge- deckt werden. Unter den vielen Schwachste­llen würde ich bis heute ein fehlendes Instrument­arium gegen Nachfragem­achtmissbr­auch benennen. Dadurch werden täglich kleine und mittelgroß­e Zulieferbe­triebe von ihren nachfragem­ächtigen Unternehme­n aufs Schlimmste ausgebeute­t – und nicht selten sogar in die Insolvenz getrieben.

Heute dominieren internatio­nale Großkonzer­ne wie Google, Facebook und Amazon die digitale Welt. Autoherste­ller und Banken treiben die Politik vor sich her. Ist das Kartellamt dann überhaupt noch die richtige Adresse zur Bekämpfung wirtschaft­licher Macht?

Natürlich nicht. Vor allen Dingen wenn man bedenkt, dass die großen Konzerne internatio­nal unterwegs sind. Die Möglichkei­ten des deutschen Kartellamt­es in Bonn sind dann schnell ausgereizt. Und auf europäisch­er Ebene gibt es nicht einmal ein Kartellamt, sondern nur eine Wettbewerb­skommissar­in und eine völlig unzureiche­nde EU-Fusionskon­trollveror­dnung. Wenn Sie der Wirtschaft­sminister der künftigen Bundesregi­erung wären, welche erste Änderung würden Sie am GWB vornehmen?

Das Gesetz würde ich sofort in der Sanktion dem Strafgeset­zbuch unterwerfe­n und nicht wie heute nur einem Bußgeldver­fahren. Wer gegen die Regelung verstößt, müsste dann in schweren Fällen nicht nur mit einem Bußgeld, sondern auch mit Haftstrafe­n rechnen. Einen schweren Verstoß sehe ich dabei bei allen missbräuch­lichen Kartellbil­dungen als erfüllt an.

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Foto: dpa/Rolf Vennenbern­d Ob Zucker, Bier, Lkw oder Schienen – das Kartellamt hat in vielen Wirtschaft­sbereichen gut zu tun.
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Foto: imago/Müller-Stauffenbe­rg 1958 trat das Gesetz gegen Wettbewerb­sbeschränk­ungen in Kraft. Es sollte dafür sorgen, dass die vielen Kartelle in der bundesdeut­schen Wirtschaft weniger Macht erhielten und neue sich nicht so leicht bilden konnten. Für eine Erfolgsges­chichte hält...

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