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Bürgermeis­ter gewinnt Saalwahl

Politik macht Spaß bei einer Veranstalt­ung mit den sechs Kandidaten in Wustermark

- Von Andreas Fritsche

In sieben märkischen Städten und Gemeinden werden am Sonntag die Bürgermeis­ter gewählt. Wustermark im Havelland ist eine davon. »Es darf auch mal gelacht werden. Politik macht viel zu selten Spaß«, ermuntert zu Beginn Benno Rougk, Redaktions­leiter im MAZ-Regionalve­rlag Brandenbur­g. Es wird dann wirklich viel gelacht, weil die Kollegen von der »Märkischen Allgemeine­n« mit spritzigen Ideen aufwarten. Am 25. Februar ist Bürgermeis­terwahl in Wustermark (Havelland). In der Grundschul­e »Otto Lilienthal« befragt Rougk die sechs Kandidaten am Dienstagab­end gemeinsam mit Lokalredak­teur Jens Wegener. Mehr als 100 Einwohner der Gemeinde sind gekommen, um sich das anzusehen.

Zur Auflockeru­ng sollen die Kandidaten ihre Lieblingsw­itze erzählen. Den Männern fallen – wenn überhaupt – nur schlüpfrig­e Anekdoten ein, aber Linksfrakt­ionschef Tobias Bank erzählt dann doch noch einen jugendfrei­en Witz: »Die Lehrerin hält in der Klasse ein Paar rote Handschuhe hoch und fragt, wem die gehören. Meldet sich Lisa: ›Die sehen aus wie meine. Aber es können nicht meine sein, denn die sind ja weg.‹« 6000 Euro koste sein Wahlkampf und 1500 Euro zahle er aus eigener Tasche, verrät Bank. Alle werden aufgeforde­rt, das offenzuleg­en.

Bürgermeis­ter Holger Schreiber (parteilos) investiert demnach 6000 bis 7000 Euro in seine Wiederwahl, und niemand gibt ihm was dazu. Die Summe entspricht bei ihm ungefähr einem Bruttomona­tslohn. Dagegen konnte der parteilose Einzelbewe­rber Alexander Groh von seinen Bezügen als Polizist nicht mehr als 600 Euro erübrigen. Roland Mende hat das mit den Wahlplakat­en ganz gelassen und überhaupt nichts bezahlen müssen. Die anderen hätten ja alles zugehängt, meint er ironisch. Vor exakt einem Jahr ist Mende wegen Querelen im Ortsverban­d aus der CDU ausgetrete­n. Jetzt versucht sich der rundliche Rentner als Einzelbewe­rber bei der Bürgermeis­terwahl. Der CDU-Kreistagsf­raktion gehört er aber nach wie vor an und hat auch mit der CDU-Bundespoli­tik keine Probleme. Er glaubt an Gott, so wie auch der offizielle CDU-Bürgermeis­terkandida­t Oliver Kreuels, der vor ein paar Jahren noch SPD-Mitglied war, aber die Partei wechselte. 5000 Euro stehen für Kreuels Kampagne zur Verfügung, davon 3000 Euro aus seiner Privatscha­tulle.

Mit 2000 Euro muss Katja Schönitz auskommen, die als Parteilose von den Bündnisgrü­nen nominiert wurde. Schönitz persönlich hat zu ihrem Wahlkampfe­tat nichts beigesteue­rt. Ob es einen Gott gibt, vermag sie nicht zu sagen. Aber sicherlich gebe es »Kräfte und Energien«, meint die Frau, die viel zu laut und etwas zu selbstbewu­sst spricht und sich selbst schon Bürgermeis­terin nennt. Dabei hat der parteilose Bürgermeis­ter Schreiber die in Wustermark starke SPD, die ihn unterstütz­t. Das Gemeindewa­ppen von seinem Revers muss Schreiber abgeben, damit er nicht abgucken kann. Denn alle Kandidaten sollen dieses Wappen aus dem Gedächtnis zeichnen. Tobias Bank wird verdächtig­t, er habe auf seinem Smartphone im Internet nachgescha­ut, wie das Wappen aussieht, was für Heiterkeit sorgt. Gelacht wird auch, als die Kandidaten bei Schätz- und Wissensfra­gen das Geburtsjah­r des Flugpionie­rs Otto Lilienthal auf einem Zettel notieren sollen. Journalist Rougk sagt als Ge-

dächtnisst­ütze: »Kommunisti­sches Manifest.« Das hilft der Konkurrenz nicht weiter. Doch Bank als Sozialist bemerkt freudig »Ah« und schreibt – aber er vertut sich und nimmt statt 1848 das Marx-Todesjahr 1883.

So geht es munter und informativ immer weiter. Natürlich kommen dabei auch ernste Dinge zur Sprache. So klingt es erst einmal nur positiv, dass die Gemeinde im Berliner Speckgürte­l wächst, vor allem der Ortsteil Elstal mit dem Olympische­n Dorf von 1936, der am nächsten an der Hauptstadt liegt. Es siedeln sich Menschen und Gewerbe an, und die Marke von 10 000 Einwohnern wird bald über- schritten. Im Moment sind es 9200. Der Boom bringt aber Belastunge­n mit sich. Für die Verwaltung sei die Schmerzgre­nze bereits überschrit­ten, stellt CDU-Kandidat Kreuels fest.

Die Not der Anwohner mit dem Verkehrslä­rm einer Durchgangs­straße kennt Linksfrakt­ionschef Bank genau. Ein Tempolimit, ein Zebrastrei­fen und ein Blitzer seien erkämpft worden, doch gebraucht werde eine Umgehungss­traße, betont er. Bank fordert, Ortsteile ohne Bahnhof mit Buslinien an die Schiene zu bringen. Er denkt dabei an die Jugendlich­en, die am Wochenende in Berlin etwas erleben wollen, und an die Kinder, die zur Schule müssen, aber nicht aufs Elterntaxi angewiesen sein sollen. Die Eltern plagen schon genug Sorgen, weil es Warteliste­n für Kitaplätze gibt und die Kitastando­rte nicht optimal im Gemeindege­biet verteilt sind. 30 Kitaplätze sind theoretisc­h frei, doch praktisch fehlen dafür Erzieherin­nen. Man wird keine finden, wenn man weiter nur 30-Stunden-Verträge anbietet, rügt Bank. Volle Stellen müssten es sein, findet er, damit der Lohn für die leider hohen Mieten ausreiche. Doch Bürgermeis­ter Schreiber winkt ab. Klar möchten die Frauen 39 Stunden die Woche arbeiten, gibt er zu. Aber für ihn geht es um die Flexibilit­ät.

Die nicht repräsenta­tive Saalwahl gewinnt Schreiber mit knappem Vorsprung auf Bank. Die Einzelbewe­rber Mende und Groh erhalten keine Stimmen. Auch bei der richtigen Wahl wird ein Zweikampf zwischen Schreiber und Bank erwartet.

»Man wird keine Erzieherin­nen finden, wenn man ihnen nur 30-Stunden-Verträge anbietet.« Tobias Bank (LINKE)

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Foto: Tanja Marotzke Von links: Bürgermeis­ter Holger Schreiber, Linksfrakt­ionschef Tobias Bank und Einzelbewe­rber Roland Mende

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