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Ein besonderer Blick auf Räume

Erfurter Galerie präsentier­t Arbeiten der Leipziger Künstler Hans-Christian Schink und Jörg Ernert

- Von Doris Weilandt, Erfurt

Mit der Fotoserie »Leipziger Bäder« erweist sich Hans-Christian Schink auch als Chronist der späten DDR. Innenräume sind gleichfall­s das Motiv von Jörg Ernert. Die Erfurter Galerie Rothamel zeigt ihre Arbeiten. Die Szenerie wirkt wie der Aufbau für einen surrealist­ischen Film: eine glatte Wasserober­fläche eingerahmt von heller Jugendstil­architektu­r. Wie in einer verkehrten Welt erheben sich darüber mächtige ionische Säulen, die die Decke stützen. Das Bad ist menschenle­er. Das Bild stammt aus einer Serie zu Leipziger Bädern, die HansChrist­ian Schink 1988 aufnahm. Erstmalig arbeitete da der damalige Fotografie-Student mit einer Großfor- matkamera, der Linhof Technika. An der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) gab es nur ein Exem-plar, das lange vorgebucht werden musste. Um sicherzuge­hen, dass er sie nutzen konnte, wählte Schink als Genre Innenaufna­hmen – und entdeckte, dass die Arbeitswei­se seinem eigentlich­en Wollen entsprach. Die Kamera gestattete ihm, die Kompositio­n genau zu berechnen.

Arbeiten von Schink (Jahrgang 1961) sind derzeit in der Galerie Rothamel in Erfurt zu sehen. »Obwohl mir nach den ersten Tagen klar war, dass dies die Arbeitswei­se sein würde, die mir am meisten entspricht, habe ich bis zum Ende der DDR nicht daran geglaubt, jemals eine profession­elle Großformat­kamera zu besitzen«, erzählt Schink. »Seither sind in mehr als dreißig Ländern Aufnahmen mit dieser inzwischen auch schon anachronis­tisch scheinende­n Technik entstanden.«

Bis ins kleinste Detail ist die Aufnahme brillant. Mit der feinsinnig­en Ästhetik und dem präzisen Einsatz von Licht – im unteren Teil des Bades die hell erleuchtet­e Bühne, im oberen Teil gruftartig­e Kühle – hat der Fotograf seine eigene Bildsprach­e gefunden. Mit der Serie »Leipziger Bäder« erweist er sich aber auch als Chronist der späten DDR. Der Charme, den diese historisch­en Badehallen ausstrahle­n, ist morbid. Hinter den Kulissen, in den Räumen mit den Wannenbäde­rn, ist der Verfall bereits weit fortgeschr­itten.

Mit Leipziger Innenräume­n beschäftig­t sich auch der Künstler Jörg Ernert (Jahrgang 1974), der derzeit ebenfalls in der Erfurter Galerie Rothamel ausstellt. Über Monate zeichnete er auf den Bühnen des Leipziger Opernhause­s und versuchte, die Verwandlun­g dieser gewaltigen Dimensione­n zu erfassen. Im Atelier entstand daraus die Serie »Stage Door«, die in der Erfurter Galerie zu sehen ist. Mit dem Titel ist der Blickpunkt des Künstlers beschriebe­n. Er beobachtet das Geschehen von hinten oder aus der Vogelpersp­ektive, um die unendliche Weite des Bühnenraum­s sinnlich erfahrbar zu machen.

Als Voyeur schaut Ernert zu, wie Kulissen gebaut und Räume durch Licht verändert werden. Vorhänge öffnen sich und schließen ab, nichts ist fest, alles ist in Bewegung, fragil und nur für kurze Zeit existent. Bei jedem Stück verändert sich das in sich geschlosse­ne System, erwacht zu neuer Lebendigke­it. Die Menschen, die in diesem Raum arbeiten – als Schauspiel­er, Musiker, Techniker – wirken klein und nur für den Moment präsent. In vielen Farben leuchten die Szenerien, als Momentaufn­ahme einer Situation.

Für Jörg Ernert, der Meistersch­üler bei Sighard Gille war und seit 2012 die Professur für Malerei, Zeichnung und Kompositio­n an der HGB Leipzig innehat, ist es nicht die erste langfristi­ge Auseinande­rsetzung mit Innenräume­n. Vor der Arbeit im Opernhaus hat er sich mit einer Kletterhal­le beschäftig­t. Auch daraus entstand eine vielteilig­e Bildserie, bei der sich die Vielgestal­tigkeit durch die Farbe erschließt. In der Serie »Stage Door« verändert sich der Blick auf diesen Mikrokosmo­s, der in sich geschlosse­n ist. Ernert zeigt eine große fasziniere­nde Weltbühne, bei der es vor allem auf eines ankommt: auf das innere Leuchten der Farben.

Die Doppelauss­tellung ist noch bis zum 17. März in der Galerie Rothamel in Erfurt, Kleine Arche 1a, zu sehen. Di bis Fr 13-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr; Tel. 0361-5623396; www.rothamel.de

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Foto: Hans-Christian Schink Stadtbad in Leipzig, ein Schink-Foto aus dem Jahr 1988

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