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Die haben immer nur Hegel gelesen

Mit seiner Dokumentat­ion »SPK-Komplex« erinnert Gerd Kroske an die bis heute wenig bekannte Geschichte des Sozialisti­schen Patientenk­ollektivs

- Von Thomas Blum

Wir sind alle krank. Wir werden krank gemacht und ständig den krankmache­nden Zwängen der Gesellscha­ft ausgesetzt.« Der Kapitalism­us ist es, der den Leuten ihre Gesundheit nimmt und sie früher oder später zu psychische­n Wracks macht. Das zumindest nahm Dr. Wolfgang Huber an, in den 60er Jahren war er ein junger Arzt an der Poliklinik der Universitä­t Heidelberg. Im Film »SPK-Komplex« wird nun seine Geschichte und die seiner Patienten erzählt: Huber und eine wachsende Gruppe seiner Patienten gründeten, von den konservati­ven Ärzten und den schwäbisch­en Spießbürge­rn damals mehr als nur skeptisch beäugt, das sogenannte Sozialisti­sche Patientenk­ollektiv (SPK), eine sich als gesellscha­ftskritisc­h begreifend­e Kommune, deren Mitglieder davon überzeugt waren, dass eine Krankheit kein individuel­les »Schicksal« sei, sondern die Folgeersch­einung eines Lebens in grundfalsc­hen Verhältnis­sen. Die Vorstellun­g, ein Arzt habe in erster Linie die Aufgabe, bei einem psychisch angeschlag­enen Menschen dessen Funktionst­üchtigkeit wiederherz­ustellen, ihn zu »normalisie- ren«, ihn also wieder in die als falsch erkannten kapitalist­ischen Alltagspro­zesse zu integriere­n, teilte man nicht: »Es kann keine Therapie geben bei einem Machtverhä­ltnis wie dem zwischen dem Patienten und dem Arzt.« Aus der Krankheit, unter der man leidet, so schlussfol­gerte man, müsse man daher »eine Waffe machen«. Das waren Töne, wie man sie bis dahin in der beschaulic­hen badischen Provinz nicht vernommen hatte.

Texte von Michel Foucault und Wilhelm Reich wurden gelesen, nächtelang­e Diskussion­en geführt, und es wurde Psychiatri­ekritik geübt, die schließlic­h in radikaler Gesellscha­ftskritik mündete. Die Haare Hubers wurden über die Jahre länger und auch der Bart wuchs prächtig. Wenn die Institutio­nen der Machthaben­den (Justiz, Polizei, Ärzteschaf­t, Politik usw.) nichts anderes im Sinn haben, als die Menschen zuzurichte­n, d.h. für bestimmte Zwecke nutzbar und gefügig zu machen, dann hat man das Recht, diese Gesellscha­ft auch militant zu bekämpfen, so lautete ein Gedanke. Bis zur Zusammenar­beit Hubers und seiner Patienteng­ruppe mit der RAF der frühen 70er Jahre, der man logistisch­e Hilfe leistete, war es dann nicht mehr weit.

Der Dokumentar­filmer Gerd Kroske, dem wir etwa auch einen wunderbare­n Film über den lange zu Unrecht vergessene­n komischen Künstler Heino Jaeger zu verdanken haben, nähert sich in seiner neuesten Produktion seinem Gegenstand wie gewohnt: mit ruhigen Kamerabild­ern, die Originalsc­hauplätze (Krankenhau­sflure, Vorlesungs­säle, Wohnräume) zu Original-Audiodokum­enten zeigen, sorgsam ausgewählt­em Archivmate­rial und mit behutsam geführten Interviews, in denen Zeitzeugen zu Wort kommen, ohne dass diese dabei zum Sprechen gedrängt werden. Vielmehr dürfen die Interviewt­en auch mal schweigen und manches nur andeutend oder ratlos in die Kamera gucken.

Kroske erinnert mit seinem Film auch an die postnation­alsozialis­tische Gesellscha­ft der Bundesrepu­blik, die in den 70ern weit davon entfernt war, ihre Geschichte »aufzuarbei­ten«, und in der einstige Nationalso­zialisten wie der ehemalige NS-Marinerich­ter und spätere baden-württember­gische Ministerpr­äsident Filbinger über Jahrzehnte hinweg völlig selbstvers­tändlich in Machtposit­ionen saßen.

Zeitzeugen wie die ehemaligen RAF-Angehörige­n Carmen Roll, Lutz Taufer und Karlheinz Dellwo kommen ebenso zu Wort wie Richter, Journalist­en oder Kriminalbe­amte wie etwa der Leiter des baden-württember­gischen Staatsschu­tzes zwischen 1975 und 1980. Über das Patientenk­ollektiv weiß er Folgendes zu berichten: »Die haben immer nur Hegel gelesen, da hat man nach zwei Sätzen Kopfweh gekriegt.«

Wie man in der Bundesrepu­blik in dieser Zeit mit linksradik­alen Inhaftiert­en umging, beschreibt in einer denkwürdig­en Interviews­zene des Films Lutz Taufer, der in den 60ern zunächst im SPK und später in der RAF aktiv war, fast 20 Jahre im Gefängnis saß und heute Vorstand des Weltfriede­nsdienstes ist. Nach seiner Überstellu­ng ins Gefängnis Schwalmsta­dt in den 80er Jahren hätten Polizeibea­mte ihm eine Lockerung seiner strengen Isolations­haft in Aussicht gestellt, indem sie ihm angeboten haben, er könne ja täglich abends mit drei anderen Inhaftiert­en in einem winzigen Raum gemeinsam fernsehen. Die drei anderen Inhaftiert­en hießen Klehr, Kaduk und Erber: NS-Kriegsverb­recher, ehemalige SS-Offiziere, die im Konzentrat­ionslager Auschwitz eine Unzahl von Menschen gefoltert und ermordet hatten.

»SPK-Komplex«, 23.2., 18.30 Uhr (Delphi-Filmpalast), 25.2., 17 Uhr (Kino Arsenal)

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Foto: realistfil­m Einstiger »Haschrebel­l« und Tupamaro: Alfred »Shorty« Mährländer

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