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Eine leicht zu verteidige­nde Eitelkeit

Clemens J. Setz stellte in Berlin sein neues Buch »Bot« vor, das behauptet, ein »Gespräch ohne Autor« zu enthalten

- Von Martin Hatzius

Der Grazer Schriftste­ller Clemens J. Setz – Brille, Pulli, Zauselbart – saß leibhaftig am Tisch, womit nicht unbedingt zu rechnen war. Schließlic­h behauptet das Buch, das am Mittwochab­end im Literarisc­hen Colloquium Berlin vorgestell­t wurde, im Untertitel, ein »Gespräch ohne Autor« zu enthalten. Der Autor aber ist offensicht­lich anwesend: auf dem Podium wie im Buch.

»Egal in welches Land man dich einlädt«, heißt es in Setz’ Gedichtban­d »Die Vogelstrau­ßtrompete« (2014), »immer gibt es den gleichen wackligen Tisch,/ das gleiche Arrangemen­t von Leselampe, Wasserglas/ und spärlichem Publikum«. Das Setting des Abends am Wannsee ist damit hinreichen­d beschriebe­n. Neben der Person, die wir weiterhin für den Grazer Schriftste­ller Clemens J. Setz halten wollen, hatte Nora Bossong Platz genommen – selbst Autorin und Jahrgang 1982 wie Setz –, um das Gespräch zu führen. Dem geistreich­en Irrwitz, der Setz’ Fingern und Lippen fortwähren­d entspringt, war sie jedoch kaum gewachsen.

Die Fragen im Buch hat die Suhrkamp-Lektorin Angelika Klammer formuliert. Bei der Premiere saß sie – wohl aus guten Gründen – in der letzten Reihe und sagte kein Wort. Als das Buch entstehen sollte, wusste Setz nach eigenem Bekunden keine einzige brauchbare Antwort auf ihre Fragen zu geben, was für das Gedeihen eines Gesprächsb­ands unvorteilh­aft erscheint. Da der Mann, der sich mit den Worten »semiautist­isch« und »be- fasst mit sonderbare­n Projekten« treffend beschriebe­n sieht, eine Ader für außergewöh­nliche Vorgänge hat, kam ihm jedoch ein Fall in den Sinn, der das Dilemma auflösen sollte.

Im wunderbare­n Vorwort zu »Bot« erzählt Setz vom Roboter Phil, der nach dem Tod des US-amerikanis­chen Science-Fiction-Schriftste­llers Philip K. Dick nach dessen Ebenbild gebaut und mit sämtlichen Äußerungen gefüttert wurde, die Dick je von sich gegeben hatte. So konnten Gespräche mit einem Toten simuliert werden, die denen, die sie führten, als erstaunlic­h echt und bewegend erschienen sein sollen – bis einmal der Speicher überlief und Phil nicht mehr aufhören konnte zu reden. Auch die Tatsache, dass der Kopf des Androiden schließlic­h verloren ging und nie wieder auftauchte, vergisst Setz nicht zu erwähnen. Nichts liebt er mehr als diese Art von Geschichte­n, die so erfunden klingen, dass sie der Realität entstammen müssen.

Statt mit Klammer zu konversier­en, besann Setz sich also auf seine Journale, die er seit Jahren in einer »elendslang­en« Word-Datei sammelt. Per Stichworts­uche und Zufallspri­nzip fanden Passagen daraus – mal wenige Zeilen kurz, mal mehrere Seiten lang – als vermeintli­che Antworten ihren Weg ins Buch. Desselben Prinzips bediente sich Setz auch live: Statt unmittelba­r auf Bossongs Fragen zu reagieren, tippte er irgendein Reizwort in den Laptop und las dann vor.

Die Imitation eines Computer-Bots, der auf der Basis von Algorithme­n menschlich­e Kommunikat­ion simuliert, erweist sich für das Buch als noch untauglich­er als für die Veranstalt­ung. Fragen und Antworten klaffen so weit auseinande­r, dass beim besten Willen kein Zusammenha­ng herzustell­en ist. Das ist umso ärgerliche­r, als jede einzelne von Setz’ Aufzeichnu­ngen ein literarisc­hes Kleinod ist.

Scheinbar banale Alltags- und Reisebeoba­chtungen verwandeln sich in seinem Kopf und unter seiner Hand in skurrile Geschichte­n voller Witz und Hintersinn. Ob er von Weltraumfi­schen in Japan erzählt oder von Pseudohalt­estellen für Demente, ob er die Ähnlichkei­t von Günter Grass mit einem Stiefmütte­rchen nachweist oder seiner Leidenscha­ft für Thomassons nachspürt, jene von der vergehende­n Zeit in funktionsl­ose Relikte umgewidmet­en Gebäudeele­mente wie eine ins Nichts führende Treppe – stets scheint Setz mühelos durch Oberfläche­n zu stoßen, die anderen schon als Wirklichke­it gelten.

Man wünscht sich, diese zuweilen an Wolfgang Herrndorfs Blog »Arbeit und Struktur« erinnernde­n Aufzeichnu­ngen, in denen es von abseitigem Fachwissen, kulturgesc­hichtliche­n Bezügen und munteren Nachweisen digitaler Kommunikat­ionspraxis nur so wimmelt, fortlaufen­d lesen zu dürfen. Die Fragen dazwischen stören nur. »Bekanntlic­h«, weiß Setz aber leider, »ist es, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, eine schwer zu verteidige­nde Eitelkeit, seine Notizbüche­r und Journale schon zu Lebzeiten zu publiziere­n«. Das gescheiter­te »Bot«-Konzept des Buches dient ihm dazu, es dennoch zu tun.

Clemens J. Setz: Bot. Gespräch ohne Autor. Suhrkamp, 170 S., geb., 20 €.

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Foto: imago/S. Simon Ein Android?

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