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Der eingebilde­te Doktor

Eine Komödie um einen Gauner und Menschenfr­eund: »Docteur Knock«

- Von Felix Bartels

Erzählt wird die Geschichte eines beinah liebenswer­ten Ganoven, der sich, auf einem Schiff Zuflucht suchend, als Arzt ausgibt. Am Ende der Seereise beschließt er, Medizin zu studieren. Als nunmehr ausgebilde­ter Mediziner übernimmt er Jahre später die Praxis in einer Kleinstadt, wo er feststelle­n muss, dass es den Menschen unerfreuli­ch gut geht. Er beginnt, in der Gemeinde ein Bewusstsei­n für Krankheite­n zu etablieren, denn die benötigt er für sein Geschäft.

Scharfsinn­ig und mit vielen Pointen, visuell aber etwas zu glatt, sodass der Eindruck der behauptete­n Historizit­ät sich nicht recht einstellen mag, erzählt Lorraine Lévy diese Geschichte, in der sich aus der einfachen Idee, dass der gesunde Mensch das Unglück des Arztes sei, ein ganzes System der Krankheits­beschaffun­g entwickelt. Die Gratisbeha­ndlung wird zur Einstiegsd­roge, der örtliche Postbote zum Laufbursch­en, die Schule zur Aufklärung­sanstalt über schrecklic­he Krankheite­n, in der Hypochonde­r gezüchtet werden. Der Apotheker ist der natürliche Verbündete des Doktors. Ob dieser nicht das Wohl der Patienten dem des Arztes unterordne, fragt jener in einem schwachen Moment. Aber doch auch unter das des Apothekers, entgegnet der Doktor. Was den Apotheker dann wieder überzeugt.

Für Knock sind gesunde Menschen »undefinier­te Wesen«. Wer nichts hat, ist nichts. Er sieht sich als »Diener der Medizin« und mit seiner Ankunft das »Zeitalter der Medizin« angebroche­n. Nichts geht ohne Ideologie. Der Pfarrer wird dann folgericht­ig zum Gegenspiel­er und die dramaturgi­sche Konstrukti­on spätestens da sehr schematisc­h. Seelsorger gegen Körperheil­er: Dem Pfarrer bleiben die Kirchenbes­ucher aus, weil alle neuerdings zum Arzt gehen, und Knocks Heilungen werden im Dorf als Wunder angesehen. »Jedem seine Gemeinde«, pariert Knock die Klagen des Pfarrers. Daran ist gar nichts zwingend, außer dass es die Fabel vorantreib­t. Nur bleibt das Gegenspiel des Kirchenman­nes dann viel zu schwach. Vom Anfang weg als Antagonist etabliert, wird die Figur dramaturgi­sch kaum genutzt. Im Finale erhält der Pfarrer einen müden Auftritt, der, wie zu befürchten steht, als Showdown gemeint ist.

Aller Gestaltung­swille scheint in die Hauptfigur geflossen zu sein. Mit ihr aber hat Lévy die Fabel neu erfunden. Jules Romains Komödie »Knock oder Der Triumph der Medizin« (1923) lässt sich als Satire auf den virulent werdenden Faschismus Europas verstehen: auch der eine Medizin gegen Krankheite­n, die eigens herbeigere­det werden. Lévy umgeht die eindeutige­n Zuweisunge­n von Gut und Böse, und das gestattet ihrem Helden charakterl­iche Tiefe.

Knock, der von Beginn an statusbewu­sst auftritt, ist in mehrfacher Hinsicht Außenseite­r. Er ist der einzige Mensch schwarzer Hautfarbe, hat eine kriminelle Vergangenh­eit, und seine medizinisc­he Laufbahn begann mit Hochstapel­ei. Die Hautfarbe wird erfreulich dezent behandelt, über ein paar Witze geht das nicht hinaus. Wichtiger ist die Story des Autodidakt­en, die sensibel arrangiert ist. Alle Autodidakt­en fühlen sich minderwert­ig. Sie haben das Gefühl, nicht genug zu sein und nicht dorthin zu gehören, wo sie doch allein vermöge ihrer Leistung stehen. Die Anerkennun­g kam erst durch die Leistung und wird somit als abhängig erlebt. Folglich hat der Autodidakt immer den Eindruck, seine Wichtigkei­t nachweisen zu müssen. Genau das tut Dr. Knock, als er gewahr wird, dass niemand im Dorf so recht krank sein will. Er handelt nicht bloß aus Geschäftss­inn wie sein Urbild bei Romain. Indem er seine Nützlichke­it arrangiert, verteidigt er sich selbst, dessen zweite Persönlich­keit nahezu vollständi­g auf seiner Tätigkeit als Arzt aufgebaut ist. Obgleich er längst die akademisch­e Weihe hat, trägt sein medizinisc­hes Handeln noch die Züge seiner ersten Schritte. Die Knock-Methode bringt, neben gesunden Menschen, zugleich Hypochonde­r hervor, und der Hypochonde­r ist einfach das Pendant des Hochstaple­rs auf der konsumtive­n Seite. Der eingebilde­te Arzt macht den eingebilde­ten Kranken.

Die große Schwäche des Films liegt darin, dass er all das andeutet, aber nichts davon zum Ende führt. Die Ambivalenz der Hauptfigur, in der Gauner und Menschenfr­eund zusammenfi­nden – gut besetzt mit Omar Sy, einem Darsteller, auf den sich alle irgendwie einigen können –, wird kaum je als Kampf gezeigt, und wenn der Held am Ende schließlic­h siegen muss, scheint nicht nur das Dorf, sondern auch die Erzählung selbst seine Zwielichti­gkeit vergessen zu haben.

»Docteur Knock« [»Knock«], Frankreich 2017. Regie, Drehbuch: Lorraine Lévy. Darsteller: Omar Sy, Ana Girardot, Alex Lutz. 113 Min.

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Foto: dpa/Wild Bunch Docteur Knock

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