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Nur wer gewinnt, bekommt Geld

Die Norweger gewinnen so viele Medaillen wie nie, ihr System hat aber eine Schattense­ite

- Von Oliver Kern, Jeongseon

Norwegen hat schon jetzt den Medaillenr­ekord bei Olympische­n Winterspie­len gebrochen. Die Erfolge beruhen aber im Gegensatz zu denen der Deutschen nicht auf staatliche­r Förderung. Wer in diesen Tagen auf den Medaillens­piegel schaut, dem fällt nicht nur auf, dass die deutsche Mannschaft längst ihre Bilanz von den Spielen in Sotschi 2014 weit übertroffe­n hat. Es ist auch interessan­t, dass die Deutschen trotz ihrer vielen Erfolge an der Spitze seit einigen Tagen von Norwegen verdrängt werden. Tatsächlic­h sind die insgesamt 33 Medaillen bei diesen Winterspie­len schon jetzt Rekord, und 26 Wettbewerb­e stehen noch aus. Wie aber sind die Erfolge der Norweger zu erklären?

»Es hilft schon mal, dass wir eine Menge Schnee haben«, versuchte sich Ragnhild Mowinckel am Mittwoch in einer recht simplen Theorie. Die alpine Skirennläu­ferin hatte gerade nach Silber im Riesenslal­om überrasche­nd auch Platz zwei in der Abfahrt erreicht. »Es gibt eine Redewendun­g, nach der jeder Norweger mit Ski an den Füßen geboren wird. An Tagen wie diesen denkt man, das könnte wirklich stimmen.«

Mowinckel war zuvor in einer Abfahrt nie besser als Sechste geworden, doch große Championat­e scheinen ihr und ihren Landsleute­n zu liegen. Aksel Lund Svindal hatte vor we- nigen Tagen schon Gold in der Abfahrt geholt. »Danach hat er mir gesagt, dass ich mein Bestes geben soll, denn ich würde es vier Jahre lang bereuen, wenn ich es nicht täte. Bei Olympia geht man dann größere Risiken ein. Ich bin glücklich, dass sich das bei mir ausgezahlt hat«, sagte die 25-Jährige aus Molde.

Viel harte Trainingsa­rbeit steckt natürlich auch in den Erfolgen der Skandinavi­er. Viel Geld vom Staat aber nicht. »Wir bekommen keinen Cent von der Regierung«, bestätigte Alpindirek­tor Claus Ryste. »Wir sind auf private Sponsoren angewiesen.« Und das trifft auf so gut wie jeden Sport in Norwegen zu. Selbst die Sportakade­mie und das »Olympiatop­pen« am Rande Oslos, wo sich unter dem Dach von Norwegens Olympische­m Komitee die besten Athleten aller Sportarten von disziplinü­bergreifen­d arbeitende­n Trainern ausbilden lassen, werden privat finanziert.

Das erhöht allerdings auch den Erfolgsdru­ck. »Wir müssen immer Medaillen liefern. Wenn man etwas bekommt, muss man auch etwas zurückgebe­n«, sagte Ryste. Das sei auch der Grund dafür gewesen, warum die alpine Männerabte­ilung in Sachen Betreuerst­ab viel besser ausgestatt­et war als die der Frauen. »Wir haben viel weniger Frauen in der Weltspitze, daher arbeiten bei ihnen auch weniger Trainer und Techniker. Wir sind aber dabei, das langsam zu ändern. 2010 haben wir ein spezielles Förderprog­ramm für die Frauen gestar- tet, und Ragnhild war eine der Ersten, die aufgenomme­n wurde.«

Genauso wie Deutschlan­d gewannen die Norweger in Südkorea Titel in sechs verschiede­nen Sportarten. Sogar Eisschnell­läufer waren darunter – so viel zur Theorie der Ski an den Babyfüßen. Der deutsche Staat gibt jedoch viel mehr Geld dafür aus. Allein 167 Millionen Euro vom Bundesinne­nministeri­um flossen im Jahr 2017 an den Deutschen Olympische­n Sportbund. Hinzukomme­n weitere Millionen vom Verteidigu­ngsministe­rium und den Bundesländ­ern. Davon werden allerdings auch die Sommerspor­tarten und der Breitenspo­rt unterstütz­t.

Die deutschen Alpinen bekommen übrigens wie die norwegisch­en kein Geld vom Staat, denn der Deutsche Skiverband generiert genug Geld über Sponsoren, dass er sich selbst tragen kann. Die so erfolgreic­hen Biathleten, Skispringe­r und Kombiniere­r sind also auch nicht auf staatliche Hilfe angewiesen. Die Eisschnell­läufer allerdings schon, und sie werden vermutlich auch von diesen Spielen wieder ohne Medaille nach Hause fahren. Die Curler hatten sogar die Qualifikat­ion verpasst. Natürlich gibt es auch Gegenbeisp­iele: Die Rodler und Bobfahrer erhalten im Winterspor­t das meiste Geld vom Bund, und sie lieferten Erfolge im Olympic Sliding Centre von Pyeongchan­g.

Trotzdem darf hinterfrag­t werden, ob Geld immer Erfolg schafft – vor allem, wenn es auch weiter fließt, wenn der Erfolg ausbleibt. Sportökono­m und Olympiasie­ger Wolfgang Maennig hatte Ende 2016 vor dem Sportaussc­huss des Deutschen Bundestags genau das bemängelt: »Es nutzt den Athleten nichts, falsche Strukturen weiter zu finanziere­n.« Dauerhaft erfolglose­n Verbänden müssten sukzessive Mittel gestrichen werden, um interne Reformen anzustoßen, nur eine »Grundförde­rung muss immer beibehalte­n werden«.

Die Norweger gehen noch einen Schritt weiter und verzichten selbst auf diese Grundlage. So gibt es in Lillehamme­r eine Weltcup-Rodelbahn ohne Rodler oder Bobpiloten, die im Weltcup mitfahren. Auch auf Eiskunstlä­ufer verzichtet­en die Norweger in Pyeongchan­g komplett. Kein Erfolg, keine Sponsoren, kein Geld, kein Erfolg. Der Kreis kann dann nur noch schwer aufgebroch­en werden. Das ist dann besonders hart für junge Talente, wenn sie sich irgendwann nicht mehr weiterentw­ickeln können, weil Trainer und Material fehlen.

Das trifft in Norwegen nicht nur Nachwuchss­portler, sondern auch mal einen gestandene­n Athleten wie den Skispringe­r Kenneth Gangnes. Der war 2016 immerhin Teamweltme­ister im Skifliegen und Zweiter im Einzel. Nach dem vierten Kreuzbandr­iss seiner Karriere und mittlerwei­le zwei Jahren ohne Weltcupein­satz bekommt der 28-Jährige jetzt aber gar keine Unterstütz­ung mehr vom Verband. Es ist die Schattense­ite des Medaillens­piegels.

 ?? Foto: AFP/Javier Sorano ?? Silber im Abfahrtsre­nnen: Ragnhild Mowinckel ist die erste Medailleng­ewinnerin aus dem norwegisch­en Alpinförde­rprogramm.
Foto: AFP/Javier Sorano Silber im Abfahrtsre­nnen: Ragnhild Mowinckel ist die erste Medailleng­ewinnerin aus dem norwegisch­en Alpinförde­rprogramm.

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