Hunde, Russen und Julian Reichelt
Keiner weiß, wie sich die SPDBasis bei der gerade angelaufenen Abstimmung über die Fortsetzung der Großen Koalition entscheidet. Während große Teile der Parteiführung für ein Ja zur Wiederauflage des Bündnisses mit der Union die Werbetrommel rühren, vergeht derzeit keine Woche, in der das Boulevardblatt »Bild« nicht versucht, seine Leserschaft davon zu überzeugen, warum diese Sache mit Basisdemokratie keine gute Idee sein soll. Stattdessen meint die Zeitung zu wissen, was für das Land und die SPD gut sei. Unverhohlen wirbt »Bild« für die GroKo, wobei ein in seinem Ausgang schwer kalkulierbarer Mitgliederentscheid das vom Blatt gewünschte Ergebnis natürlich gefährden könnte.
Nachdem sich das Springer-Medium Anfang Februar bereits ausführlich darüber echauffierte, dass auch SPD-Mitglieder ohne deutsche Staatsbürgerschaft an dem Basisentscheid teilnehmen dürfen, legte »Bild« am Dienstag noch einmal nach. »Dieser Hund darf über die GroKo abstimmen« prangte als Schlagzeile auf der bundesweit erscheinenden Titelseite. In dem Beitrag schildert das Kampagnenblatt, wie es gelang, die dreijährige Hundedame Lima als SPD-Parteimitglied zu registrieren. Spaßiger Fakt am Rande: Lima ist nicht nur ein Hund, sondern auf der spanischen Sonneninsel Mallorca geboren. Eine tierische Ausländerin wird Genossin und stimmt über die Zukunft der Bundesrepublik ab? Nicht nur Wutbürger dürften darüber schäumen, was der SPD einfalle, derartig lasch zu überprüfen, wer da alles Mitglied in ihrer Partei werden könne.
Schwer betroffen gibt sich auch »Bild«-Vizechef Nikolaus Blome in einem Kommentar. Der Fall von Hündin Lima sei »nicht zum Lachen«, weil er zeige, wie »hochgradig anfällig für Manipulationen« der SPD-Basisentscheid sei. Blome beschreibt gar ein Szenario, in dem »Massen von Rechtsaußen-Aktivisten« oder die »Trolle-Truppen auf russischem Ticket« das Mitgliedervotum beeinflussen könnten.
Moment, der Russe? Da war doch irgendwas. Richtig! Aufmerksamen »Bild«-Beobachtern dürfte dieses Angstszenario mit Bezug zum SPDBasisentscheid irgendwie bekannt vorkommen. Letzte Woche mutmaßte das Blatt über »brisante E-Mails« eines russischen Hackers namens »Juri« aus St. Petersburg, der JusoChef Kevin Kühnert angeboten haben soll, ihn mit gefälschten SocialMedia-Accounts bei der NoGroKoKampagne zu unterstützen. Als »Beleg« diente ein angeblicher E-MailWechsel, den »Bild« von einem anonymen Informanten zugespielt bekommen haben will. Erst im letzten Satz des Textes räumt »Bild« ein: »Für die Echtheit der E-Mails gibt es keinen Beweis.« Trotz der schon damals sehr dünnen Indizienlage war dies dennoch kein Hindernis, die Geschichte zu einem Aufmacher aufzublasen.
Eine Woche später ruderte »Bild« dann vorsichtig zurück und behauptete nun, Analysen durch IT-Sicherheitsexperten würden den Verdacht nahelegen, die Mails seien von einem SPD-Server versendet worden. In dieser Variante war Kühnert plötzlich kein Mittäter und mutmaßlicher NoGroKo-Verschwörer mehr, der für eine Intrige Kontakt zu einem dubiosen Russen hatte, sondern plötzlich vielleicht das Opfer der eigenen Genossen. Warum »Bild« dies nicht alles prüfte, bevor es von einer »Schmutzkampagne bei der SPD« schrieb, bleibt das Geheimnis von Chefredakteur Julian Reichelt. Die Geschichte reichte aber, um JusoChef Kühnert und die NoGroKo-Initiative als dubios dastehen zu lassen. Irgendetwas bleibt halt immer hängen, so das Kalkül.
Am Mittwoch stellte sich die Geschichte schließlich als Fake-Aktion des Satiremagazins »Titanic« heraus. In einem Beitrag auf seiner Website reklamiert die Zeitschrift für sich, Urheberin des angeblichen Mailverkehrs zwischen Kühnert und »Juri« zu sein. »Eine anonyme Mail, zwei, drei Anrufe – und ›Bild‹ druckt alles, was ihnen in die Agenda paßt«, kommentiert »Titanic«-Onlineredakteur Moritz Hürtgen die Satireaktion, an der er nach eigenen Wort beteiligt war.
Unter dem Hashtag #miomiogate machen sich inzwischen zahlreiche User auf Twitter über die mangelnde journalistische Sorgfalt der »Bild« lustig. Auch Hürtgen hat für das Boulevardblatt nur Spott übrig: »Ich kann Volkschefredakteur Julian Reichelt und seine Leute verstehen: Wie soll man solche Fälschungen erkennen, wenn man unbedingt eine Kampagne fahren will?«
Auch eine Manipulation des Basisentscheids durch rechte Trolle oder russische Hacker ist nicht möglich. Wie »Bild« selbst korrekt schreibt, müssen für einen Aufnahmeantrag in die SPD zahlreiche persönliche Daten angegeben werden. Ausgefüllt war der Antrag von Lima laut SPD mit einem Frauennamen, korrekter Adresse, Geburtsdatum, einer Bankverbindung sowie einer Mailadresse.
In vielen Fällen führe der zuständige Ortsverein noch ein Telefonat mit Interessenten für eine Mitglied- schaft, es sei hier aber keine Telefonnummer angegeben worden, erklärte ein SPD-Sprecher auf dpaNachfrage. An Lima gingen mehrere Einladungen zu Infoveranstaltungen, darunter von Andrea Nahles und Olaf Scholz zu einer Regionalkonferenz. Auch die Unterlagen zur Teilnahme an dem Mitgliedervotum landeten im Briefkasten des Frauchens.
Letztere Information ist ein entscheidender Hinweis darauf, warum eine massenhafte Manipulation durch russische Trolle höchst unwahrscheinlich ist. Da die Briefwahlunterlagen an eine real existierende Postadresse gehen müssen und nicht etwa einfach an irgendeine DHLPackstation verschickt werden, dürfte es schwerfallen, hierzulande Tausende Anschriften zu finden, wo sich mal eben unbemerkt Post aus den Briefkästen klauen ließe oder sich deren Besitzer an einer gezielten Aktion beteiligen, um der SPD zu schaden.
»Bild« steht für seinen investigativen Journalismus einiger Ärger ins Haus. Die SPD erklärte, sie werde sich »wegen grober Verstöße gegen die Grundsätze der journalistischen Ethik« an den Deutschen Presserat wenden. »Der Bericht ›Dieser Hund darf über die GroKo abstimmen‹ ist in seiner Kernaussage falsch, zudem hat die ›Bild‹ bei der Recherche durch Angabe falscher Identitäten beim Parteieintritt Ziffer 4.1. des deutschen Pressekodex verletzt«, betont die Partei. »Ein Hund stimmt nicht mit ab«, versicherte auch Andrea Nahles. Die Vorsitzende der SPDBundestagsfraktion verwies darauf, dass auch eine eidesstattliche Erklärung zu unterschreiben sei. »Wie ein Hund das vollbringt, ist mir ein Rätsel. Das halte ich nicht für möglich.« Sollte sich hingegen ein Mensch als Hund ausgeben, könnte eine strafrechtlich relevante Täuschung vorliegen. »Wenn das eine Täuschung ist, dann werden wir das auch ahnden.«