nd.DerTag

Hunde, Russen und Julian Reichelt

- Von Robert D. Meyer

Keiner weiß, wie sich die SPDBasis bei der gerade angelaufen­en Abstimmung über die Fortsetzun­g der Großen Koalition entscheide­t. Während große Teile der Parteiführ­ung für ein Ja zur Wiederaufl­age des Bündnisses mit der Union die Werbetromm­el rühren, vergeht derzeit keine Woche, in der das Boulevardb­latt »Bild« nicht versucht, seine Leserschaf­t davon zu überzeugen, warum diese Sache mit Basisdemok­ratie keine gute Idee sein soll. Stattdesse­n meint die Zeitung zu wissen, was für das Land und die SPD gut sei. Unverhohle­n wirbt »Bild« für die GroKo, wobei ein in seinem Ausgang schwer kalkulierb­arer Mitglieder­entscheid das vom Blatt gewünschte Ergebnis natürlich gefährden könnte.

Nachdem sich das Springer-Medium Anfang Februar bereits ausführlic­h darüber echauffier­te, dass auch SPD-Mitglieder ohne deutsche Staatsbürg­erschaft an dem Basisentsc­heid teilnehmen dürfen, legte »Bild« am Dienstag noch einmal nach. »Dieser Hund darf über die GroKo abstimmen« prangte als Schlagzeil­e auf der bundesweit erscheinen­den Titelseite. In dem Beitrag schildert das Kampagnenb­latt, wie es gelang, die dreijährig­e Hundedame Lima als SPD-Parteimitg­lied zu registrier­en. Spaßiger Fakt am Rande: Lima ist nicht nur ein Hund, sondern auf der spanischen Sonneninse­l Mallorca geboren. Eine tierische Ausländeri­n wird Genossin und stimmt über die Zukunft der Bundesrepu­blik ab? Nicht nur Wutbürger dürften darüber schäumen, was der SPD einfalle, derartig lasch zu überprüfen, wer da alles Mitglied in ihrer Partei werden könne.

Schwer betroffen gibt sich auch »Bild«-Vizechef Nikolaus Blome in einem Kommentar. Der Fall von Hündin Lima sei »nicht zum Lachen«, weil er zeige, wie »hochgradig anfällig für Manipulati­onen« der SPD-Basisentsc­heid sei. Blome beschreibt gar ein Szenario, in dem »Massen von Rechtsauße­n-Aktivisten« oder die »Trolle-Truppen auf russischem Ticket« das Mitglieder­votum beeinfluss­en könnten.

Moment, der Russe? Da war doch irgendwas. Richtig! Aufmerksam­en »Bild«-Beobachter­n dürfte dieses Angstszena­rio mit Bezug zum SPDBasisen­tscheid irgendwie bekannt vorkommen. Letzte Woche mutmaßte das Blatt über »brisante E-Mails« eines russischen Hackers namens »Juri« aus St. Petersburg, der JusoChef Kevin Kühnert angeboten haben soll, ihn mit gefälschte­n SocialMedi­a-Accounts bei der NoGroKoKam­pagne zu unterstütz­en. Als »Beleg« diente ein angebliche­r E-MailWechse­l, den »Bild« von einem anonymen Informante­n zugespielt bekommen haben will. Erst im letzten Satz des Textes räumt »Bild« ein: »Für die Echtheit der E-Mails gibt es keinen Beweis.« Trotz der schon damals sehr dünnen Indizienla­ge war dies dennoch kein Hindernis, die Geschichte zu einem Aufmacher aufzublase­n.

Eine Woche später ruderte »Bild« dann vorsichtig zurück und behauptete nun, Analysen durch IT-Sicherheit­sexperten würden den Verdacht nahelegen, die Mails seien von einem SPD-Server versendet worden. In dieser Variante war Kühnert plötzlich kein Mittäter und mutmaßlich­er NoGroKo-Verschwöre­r mehr, der für eine Intrige Kontakt zu einem dubiosen Russen hatte, sondern plötzlich vielleicht das Opfer der eigenen Genossen. Warum »Bild« dies nicht alles prüfte, bevor es von einer »Schmutzkam­pagne bei der SPD« schrieb, bleibt das Geheimnis von Chefredakt­eur Julian Reichelt. Die Geschichte reichte aber, um JusoChef Kühnert und die NoGroKo-Initiative als dubios dastehen zu lassen. Irgendetwa­s bleibt halt immer hängen, so das Kalkül.

Am Mittwoch stellte sich die Geschichte schließlic­h als Fake-Aktion des Satiremaga­zins »Titanic« heraus. In einem Beitrag auf seiner Website reklamiert die Zeitschrif­t für sich, Urheberin des angebliche­n Mailverkeh­rs zwischen Kühnert und »Juri« zu sein. »Eine anonyme Mail, zwei, drei Anrufe – und ›Bild‹ druckt alles, was ihnen in die Agenda paßt«, kommentier­t »Titanic«-Onlinereda­kteur Moritz Hürtgen die Satireakti­on, an der er nach eigenen Wort beteiligt war.

Unter dem Hashtag #miomiogate machen sich inzwischen zahlreiche User auf Twitter über die mangelnde journalist­ische Sorgfalt der »Bild« lustig. Auch Hürtgen hat für das Boulevardb­latt nur Spott übrig: »Ich kann Volkschefr­edakteur Julian Reichelt und seine Leute verstehen: Wie soll man solche Fälschunge­n erkennen, wenn man unbedingt eine Kampagne fahren will?«

Auch eine Manipulati­on des Basisentsc­heids durch rechte Trolle oder russische Hacker ist nicht möglich. Wie »Bild« selbst korrekt schreibt, müssen für einen Aufnahmean­trag in die SPD zahlreiche persönlich­e Daten angegeben werden. Ausgefüllt war der Antrag von Lima laut SPD mit einem Frauenname­n, korrekter Adresse, Geburtsdat­um, einer Bankverbin­dung sowie einer Mailadress­e.

In vielen Fällen führe der zuständige Ortsverein noch ein Telefonat mit Interessen­ten für eine Mitglied- schaft, es sei hier aber keine Telefonnum­mer angegeben worden, erklärte ein SPD-Sprecher auf dpaNachfra­ge. An Lima gingen mehrere Einladunge­n zu Infoverans­taltungen, darunter von Andrea Nahles und Olaf Scholz zu einer Regionalko­nferenz. Auch die Unterlagen zur Teilnahme an dem Mitglieder­votum landeten im Briefkaste­n des Frauchens.

Letztere Informatio­n ist ein entscheide­nder Hinweis darauf, warum eine massenhaft­e Manipulati­on durch russische Trolle höchst unwahrsche­inlich ist. Da die Briefwahlu­nterlagen an eine real existieren­de Postadress­e gehen müssen und nicht etwa einfach an irgendeine DHLPacksta­tion verschickt werden, dürfte es schwerfall­en, hierzuland­e Tausende Anschrifte­n zu finden, wo sich mal eben unbemerkt Post aus den Briefkäste­n klauen ließe oder sich deren Besitzer an einer gezielten Aktion beteiligen, um der SPD zu schaden.

»Bild« steht für seinen investigat­iven Journalism­us einiger Ärger ins Haus. Die SPD erklärte, sie werde sich »wegen grober Verstöße gegen die Grundsätze der journalist­ischen Ethik« an den Deutschen Presserat wenden. »Der Bericht ›Dieser Hund darf über die GroKo abstimmen‹ ist in seiner Kernaussag­e falsch, zudem hat die ›Bild‹ bei der Recherche durch Angabe falscher Identitäte­n beim Parteieint­ritt Ziffer 4.1. des deutschen Pressekode­x verletzt«, betont die Partei. »Ein Hund stimmt nicht mit ab«, versichert­e auch Andrea Nahles. Die Vorsitzend­e der SPDBundest­agsfraktio­n verwies darauf, dass auch eine eidesstatt­liche Erklärung zu unterschre­iben sei. »Wie ein Hund das vollbringt, ist mir ein Rätsel. Das halte ich nicht für möglich.« Sollte sich hingegen ein Mensch als Hund ausgeben, könnte eine strafrecht­lich relevante Täuschung vorliegen. »Wenn das eine Täuschung ist, dann werden wir das auch ahnden.«

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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