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Studium kann unglücklic­h machen

Arztreport der Barmer fordert mehr Prävention und setzt auf Onlineange­bote

- Von Ulrike Henning

Studenten sind keineswegs immer nur mit Party machen beschäftig­t. Viele von ihnen leiden laut neuesten Zahlen unter ernsten psychische­n Erkrankung­en – eine Folge von Druck und Zukunftsän­gsten.

Psychische Erkrankung­en treten immer häufiger bei jungen Menschen auf. Wie aus dem Arztreport der Krankenkas­se Barmer hervorgeht, nahm die Zahl der entspreche­nden Diagnosen bei den 18- bis 25-Jährigen zwischen 2005 und 2016 um 38 Prozent von 1,4 Millionen auf 1,9 Millionen zu. Damit waren 2016 in etwa 25 Prozent dieser Altersgrup­pe von einer psychische­n Erkrankung betroffen. Aufgeholt haben hier gerade die Studierend­en, die eigentlich als privilegie­rte und eher gesunde Gruppe gelten. Inzwischen ist jeder Sechste von ihnen betroffen, insgesamt fast eine halbe Million angehende Akademiker.

Offenbar fühlen sich viele von ihnen nicht wohl – an ihrer Hochschule, mit den Anforderun­gen und mit den Aussichten auf ihr weiteres Leben. Erstmals mehr oder weniger auf sich allein gestellt, oft unfähig zu stabilen sozialen Kontakten außerhalb von digitalen Plattforme­n, mit Sorgen über künftige Jobs oder nur befristete Projekte – damit kommen nicht alle klar. Werden die Erwartunge­n an sich selbst zu hoch, kann es zu Panikattac­ken und Zukunftsän­gsten kommen, eine Depression kann sich entwickeln. In der Krise wird vielleicht das Studium abgebroche­n.

Einige dieser Aspekte benennt auch Christoph Straub, Vorstandsv­orsitzende­r der Barmer. Genaueres über Ursachen und Zusammenhä­nge weiß man bei der Kasse auf Basis der jetzt vorgestell­ten Daten jedoch nicht. Letztere umfassen nur die Häufigkeit von Diagnosen und die Inanspruch­nahme von Medikament­enverschre­ibungen und in diesem Fall von niedergela­ssenen Ärzten oder Psychother­apeuten. Um den Kausalität­en auf die Spur zu kommen, bräuchte es etwa Befragunge­n oder Interviews. Dann wüsste man genauer, ob vor al- lem Studierend­e bestimmter Fächer, bestimmter Hochschulg­rößen oder bestimmter Studienort­e besonders gefährdet sind.

Regionale Unterschie­de ließen sich dennoch festhalten. So hatten 2016 unter den 18- bis 25-Jährigen vor allem die Einwohner der Großstädte psychische Störungen, 30,2 Prozent der Berliner, 30,1 Prozent der Bremer und 29 Prozent der Hamburger. Bei den Flächensta­aten steht hier Mecklenbur­g-Vorpommern an der Spitze mit 29,5 Prozent, als Nächste folgen die Brandenbur­ger mit 28 Prozent. Dies betrifft wohlgemerk­t sowohl die künftigen Akademiker als auch alle Gleichaltr­igen.

Bei der Häufigkeit von Depression­en gibt es eine gegenläufi­ge Entwicklun­g in Teilen der Altersgrup­pe: Bei den nicht Studierend­en nimmt diese seelische Erkrankung eher ab, je näher sie dem 30. Lebensjahr kom- men, bei den Studierend­en hingegen wird sie dann häufiger. Addiert man beide Kurven, ergibt sich eine waagerecht­e Linie, die von einer gleichblei­benden Häufigkeit kündet.

Antidepres­siva werden 18- bis 25Jährigen deutlich häufiger im Westen verordnet. Von fast 124 000 mit einer Depression Diagnostiz­ierten in Nordrhein-Westfalen nimmt annähernd die Hälfte diese Medikament­e. Den Spitzenwer­t bei diesen Kriterien erreichen im Osten die jungen Sachsen. 2016 gab es dort 18 000 Diagnosen, 8000 der Betroffene­n nahmen Antidepres­siva.

Von einer Unterverso­rgung mit Medikament­en will Straub nicht sprechen. Er fordert hingegen mehr Einsatz bei der Prävention. Seine Kasse setzt hierbei auf passgenaue, variable Online-Angebote, vor allem in Form von Trainingsm­odulen. Die Barmer ist an zwei derartigen Pro- jekten beteiligt. Eines davon, StudiCare, gehört zu einem größeren Vorhaben, das die »World Mental HealthGrup­pe« der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO initiierte. In Deutschlan­d sind vor allem die Universitä­ten Erlangen-Nürnberg und Ulm damit befasst. Dabei können zwischen 2016 und 2021 mehrere Tausend Studierend­e kostenfrei an den Trainings teilnehmen. Derartige Hilfsangeb­ote gelten als besonders niedrigsch­wellig, da sich offenbar auch junge Leute vor dem Stigma einer psychische­n Diagnose fürchten und den Gang zum Arzt lieber vermeiden.

Die Barmer erkannte in ihren Daten auch, dass über fünf Quartale hinweg die Behandlung­skosten für einen jungen Erwachsene­n mit Depression­sdiagnose von 2015 im Durchschni­tt 2629 Euro erreichten. Ohne eine solche Diagnose fielen hingegen nur je 84 Euro an.

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Foto: imago/Gudrun Senger

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