Nein, jetzt ist nicht »mal gut«
Mit derAfD feiert derGeschichts revisionismus fröhli ch eUrständ
Berlin. Man muss wahrlich nicht so tun, als ob die Bundesrepublik tatsächlich den selbstverliehenen Titel des »Aufarbeitungsweltmeisters« verdient. Dafür ist die Geschichte der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus zu übervoll von Verharmlosung, Totschweigen und Täterschutz. Doch zumindest die schlimmsten Zeiten von Relativierung und Geschichtsrevisionismus schienen vorbei. Ganz offenbar zum Ärger der AfD, die seit ihrem Auftauchen nicht nur den Islam, Flüchtlinge und Genderthemen als Zielscheiben auserkoren hat, sondern auch den erinnerungspolitischen Diskurs zurück nach ganz rechts treiben will – nach der Methode: »Jetzt muss doch mal gut sein!«
Dieses Ansinnen der Rechtspopulisten brachten die Grünen am Freitag im Bundestag auf die Tagesordnung und ließen über »Demokratie und Erinnerungskultur angesichts rechtsextremistischer Angriffe« debattieren. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz warf der AfD »Geschichtsrevisionismus in Reinform« vor. Aus den Reihen der AfD hätten Abgeordnete kürzlich bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus einer HolocaustÜberlebenden Applaus verweigert. »Stattdessen faseln Sie von ›Schuldkult‹, von einer ›Erinnerungsdiktatur‹, von einem ›Denkmal der Schande‹«, erklärte von Notz. Die Rechts- populisten würden »fast täglich Nazivokabular« benutzen und einen »offenen und ekelhaften Rassismus« vertreten.
Und tatsächlich kann die AfD auch schon jetzt realpolitisch kräftig mitmischen beim (fortgesetzten) Ignorieren und Verharmlosen. Zusammen mit CDU und Freien Wählern stimmten die Rechtspopulisten gegen einen Gedenkort am Schauplatz der NS-»Erntedankfeste« auf dem Bückeberg bei Hameln in Niedersachsen. Bis auf zwei Hinweistafeln soll dort alles so bleiben, wie es ist. Bleibt zu hoffen, dass das Land Niedersachsen, dem der Grund gehört, das doch wesentlich anders sieht.
Eine Kampagne fordert die Anerkennung der »Asozialen« und »Berufsverbrecher« als Opfer des Nationalsozialismus. Es sind die ignorierten Opfer des Nationalsozialismus: die »Asozialen« und »Berufsverbrecher«. Mehrere Zehntausend Menschen wurden in KZs ermordet, weil sie nicht in die »deutsche Volksgemeinschaft« gepasst haben. Eine Anerkennung hat bis heute aber nicht stattgefunden. Warum?
»Es sind unbequeme Opfer«, sagt die Historikerin Dagmar Lieske im Gespräch mit »nd«. »Oft waren das sehr brüchige Biografien und daher nicht als Vorzeigeüberlebende geeignet«. Als »Asoziale« bezeichneten die Nazis Menschen, die aus sozial-rassistischen Gründen nicht ihrem Idealbild entsprachen: Obdachlose, Prostituierte, Bettler. In den KZs wurden sie mit einem schwarzen Winkel gekennzeichnet. »Berufsverbrecher« waren für die Nazis Menschen, die durch vergangene Haftstrafen einen inneren Drang zu kriminellen Taten gezeigt hätten. Verbrechen wurde ihnen als charakterliche Eigenschaft zugeschrieben. In vielen Fällen reichte ein Fahrraddiebstahl, um mit dem grünen Winkel als »Berufsverbrecher« stigmatisiert zu werden.
Obwohl tausende Menschen ermordet wurden, gibt es nur wenige Überlieferungen. Viele Überlebende schwiegen über die ihnen angetanen Gräueltaten. Lieske meint: »Das Stigma ist bis heute groß«. Auch für die Geschichtswissenschaften seien die Häftlinge mit dem schwarzen und grünen Winkel lange Zeit nicht interessant gewesen. Das soll sich nun ändern: Eine Gruppe von Wissenschaftlern kämpft mehr als 70 Jahre nach dem Ende der NSDiktatur für eine offizielle Anerkennung der »Asozialen« und »Berufsverbrecher« als Opfergruppe des Nationalsozialismus. Seit Sonntag ist eine Petition online. In der Gruppe ist auch Frank Nonnenmacher aktiv, dessen Onkel als »Asozialer« und »Berufsverbrecher« unter anderem in die KZs Sachsenhausen und Flossenbürg verschleppt wurde. Die Aktivisten wollen mit ihrer Unterschriftenkampagne Druck auf die Bundesregierung aufbauen. Für Mitinitiatorin Lieske ist das Ziel aber auch: das Thema im öffentlichen Bewusstsein bekanntmachen. Für Entschädigungszahlungen sei es zwar in den meisten Fällen zu spät, aber Gelder für Forschung und Gedenkstättenarbeit seien dringend notwendig.
Auch soll an die Zeit nach dem Nationalsozialismus erinnert werden: Viele »Asoziale« wurden bis weit nach dem Kriegsende »verwahrt«. Die KZ-Haft gegen »Berufsverbrecher« galt nicht als spezifisch nationalsozialistisches Unrecht, sondern als »Kriminalpolitik mit anderen Mitteln«. Dies habe eine Aufarbeitung und Organisierung der Opfer erschwert. Bis heute gibt es keine offiziellen Interessengruppen. Allerdings: Im Jahr 2015 gründeten Künstler den »Zentralrat der Asozialen«. Die Gruppe versteht sich nicht als offizielles Sprachrohr, sondern will auf die vergessenen NS-Opfer aufmerksam machen – und die Kontinuitäten von Ausgrenzung deutlich machen. Denn: Bis heute werden sozialschwache und von Normen abweichende Menschen diskriminiert. Der Begriff »asozial« ist immer noch fest in der deutschen Sprache verankert. Auch die Historikerin Lieske beobachtet eine Zunahme von Sozialdarwinismus.
Eine Relativierung des millionenfachen Mord an den Juden durch eine Parallelisierung wollen die Wissenschaftler verhindern. »Die Shoah ist singulär«, sagt Lieske. »Aber auch die ›Asozialen‹ und ›Berufsverbrecher‹ waren Opfer der Nazis. Niemand saß zu Recht im KZ.«