nd.DerTag

»Du linke Sau, wir kriegen dich!«

Verfahren wegen Bedrohung in Bernau musste wegen neuer Vorwürfe ausgesetzt werden

- Von Andreas Fritsche

Ein Jugendlich­er flüchtete vor mutmaßlich­en Neonazis in das LINKEBüro in Bernau. Am Freitag wollte der Angeklagte Jörn K. vor Gericht die Mittäter nicht verraten. Es ging um eine Geldstrafe von 1000 Euro wegen Beleidigun­g und Bedrohung am 7. September vergangene­n Jahres. Aber nun geht es eventuell um mehr. Falls Jörn K. und seine bislang unbekannte­n Kumpane ihr Opfer am 29. November wirklich noch einmal verfolgt haben, würde die Strafe sicherlich höher ausfallen.

Am Amtsgerich­t Bernau vertagte Richter Andreas Müller am Freitag den Prozess gegen Jörn K., da ihm von einem zweiten Vorfall vorher überhaupt nichts bekannt war. Das soll nun erst einmal ermittelt werden. »Alles andere wäre nicht fair«, stellte Richter Müller fest, der für ein paar ungewöhnli­che Urteile bekannt ist und dafür, dass er bei der Bundestags­wahl 2002 als Parteilose­r für die PDS kandidiert­e, die damals aber nur mit zwei Berliner Politikeri­nnen ins Parlament einzog. Inzwischen hat sich das ohnehin nie innige Verhältnis von Müller zur Linksparte­i abgekühlt, nicht zuletzt, weil der Richter mit seiner Streitschr­ift »Schluss mit Sozialroma­ntik« auch gegen justizpoli­tische Vorstellun­gen der Genossen argumentie­rte.

Gestanden hat Jörn K. am Freitag, dass er am 7. September 2017 sein Opfer, einen 15-jährigen Schüler, beleidigte und bedrohte. »Du linke Sau, wir kriegen dich!«, hat er gerufen. Das gibt er zu. Auch den Begriff »Jude« hat er als Schimpfwor­t ausgestoße­n. Als Neonazi möchte er aber trotzdem nicht angesehen werden. In einer Erklärung, die sein Rechtsanwa­lt Robert Tietze für ihn abgab, bezeichnet­e sich der 18-jährige Industriem­echaniker Jörn K. als politisch desinteres­sierten Anhänger des Fußballclu­bs Union Berlin. Jörn K. habe sich an dem Tag lediglich geärgert, weil die Union-Aufkleber in Bernau immer wieder mit Symbolen der Antifa überklebt worden seien. Sein Mandant sei »vielleicht ein bisschen treu- deutsch, aber kein Nazi«, beteuerte Anwalt Tietze. In der NPD sei Jörn K. auch nicht. Den zufällig mit seinem Rennrad vorbeifahr­enden 15-Jährigen stoppten die Täter mit der Frage, ob er die »Scheiß Antifa«-Aufkleber angebracht habe. Der 15-Jährige verneinte das und fuhr weiter. Er filmte die Täter aber später mit seinem Mobiltelef­on, was Jörn K. nach eigener Aussage auf die Palme brachte. Das Opfer entkam in die Geschäftss­telle der Linksparte­i, wo man ihn kennt, weil er im Wahlkampf Plakate klebte. Linksfrakt­ionschefin Dagmar Enkelmann hatte gerade Sprechstun­de. Es kam zu einer dramatisch­en Szene. Jörn K. versuchte dort einzudring­en, der 15-jährige hielt die Tür zu.

Der Angeklagte ließ nun erklären, er schäme sich dafür und wolle sich entschuldi­gen. Zeugen wie Dagmar Enkelmann mussten nicht aufgerufen werden. Richter Müller glaubte, bis 13 Uhr mit der Sache durch zu sein und sein Urteil sprechen zu können.

Doch dann schilderte das Opfer im Gerichtssa­al 10, er habe am 29. November, als er mit zwei Freunden un- terwegs war, definitiv Jörn K. und – wenn er sich nicht täusche – auch die beiden anderen Täter am Bahnhof wiedergese­hen und sei vor ihnen geflüchtet. Die Täter hätten dann einen seiner Freunde mit einem Messer bedroht, damit dieser verrät, wo ihr Opfer sei. Doch Jörn K. bestritt dies. Er beteuerte, er habe das Opfer zwar wirklich noch irgendwann einmal am Bahnhof gesehen, ihn aber weder angepöbelt noch bedroht. Das stimme alles nicht.

Daraufhin setzte Richter Müller das Verfahren aus. Ein neuer Termin muss erst noch angesetzt werden. Die Identität der beiden Männer, die bei dem ersten Vorfall am 7. September an seiner Seite waren, wollte Jörn K. mit Verweis auf den »Ehrenkodex« seiner Fußballfan­gruppierun­g nicht preisgeben, ohne wenigstens vorher mit ihnen darüber geredet zu haben. Prinzipiel­l wollte er nicht Namen und Adressen nennen, weil 36 Zuschauer im Saal saßen, die der Staatsanwa­lt der linken »Gegenseite« zuordnete. Das stimmte im Prinzip. Es waren etliche Genossen erschienen.

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