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Treue Partner

Gewerkscha­ften stehen zur Sozialpart­nerschaft.

- Von Bodo Zeuner

Ob Werbung für die GroKo oder Metall-Tarifabsch­luss – die Gewerkscha­ften setzen auf partnersch­aftliche Lösungen statt auf Kämpfe. Doch das ist ein Irrweg. Die IG Metall hat in ihren Stammbranc­hen Metall&Elektro einen viel beachteten Tarifvertr­ag erstritten, und der DGB-Chef lobt die SPD-Elemente im Vertrag über die Große Koalition. Mir drängt sich ein Déjà-vuGefühl auf: Kennen wir das nicht aus uralten Zeiten, aus den 70er und 80er Jahren? Gibt es eine Wiederaufe­rstehung des »Rheinische­n Kapitalism­us« samt der deutschen Sozialpart­nerschaft, bei der »Arbeitgebe­r« und »Arbeitnehm­er« zum Wohl des Unternehme­ns und der Gesamtwirt­schaft zusammenwi­rkten, die Beschäftig­ten an den Erträgen in Maßen beteiligt wurden und die meisten »sozial Schwachen« wohlfahrts­staatliche Absicherun­gen erhielten?

Dieses Modell war längst totgesagt worden. Zu übermächti­g schienen das global mobile Kapital, die politische­n Kräfte der Deregulier­ung, der Privatisie­rung und des Sozialstaa­tsabbaus, zu unausweich­lich die Zersplitte­rung und Prekarisie­rung der Lohnabhäng­igen und der Niedergang der Gewerkscha­ften als Organisato­ren von Solidaritä­t. In Deutschlan­d flüchteten die »Arbeitgebe­r« aus Tarifvertr­ägen, und die neoliberal gewendete Sozialdemo­kratie des Kanzlers Schröder zerriss soziale Sicherunge­n so brutal, wie es sich keine konservati­ve Regierung getraut hatte. Das merkten auch die »Sozialpart­ner«: Wo früher ein Verhandlun­gsklima »auf Augenhöhe« gepflegt (oder mindestens simuliert) wurde, gab es jetzt für Betriebsrä­te und Gewerkscha­ftsführer nur noch »concession bargaining«, also Verhandlun­gen zur Abwendung von Schlimmere­m, oft bei Schonung der Stammbeleg­schaften auf Kosten der Ränder, aber immer Umverteilu­ng von unten nach oben und Erhöhung der Wettbewerb­sfähigkeit des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt durch Lohn- und Sozialdump­ing.

Wird das jetzt alles anders? Sind die Gewerkscha­ften wieder mächtige, anerkannte Partner der »Arbeitgebe­r« geworden? Finden sie in einer irgendwie »erneuerten« SPD wieder eine Vertreteri­n sozialer Gerechtigk­eit im Regierungs­apparat?

Offensicht­lich ist, dass die führenden Vertreter von IG Metall und DGB, Jörg Hofmann und Reiner Hoffmann, und die sie tragende Schicht von Funktionst­rägern auf eine solche Entwicklun­g hoffen. Der Tarifabsch­luss der IG Metall zeigt klassische Merkmale sozialpart­nerschaftl­ichen Ausgleichs: Einerseits bringt er spürbare Lohnerhöhu­ngen, auch wenn der Verteilung­sspielraum, jedenfalls der branchensp­ezifische, keineswegs ausgeschöp­ft wurde. Außerdem hebt er das Thema Arbeitszei­tverkürzun­g wieder auf die tarifpolit­ische Bühne und tut einen Schritt zur Respektier­ung individuel­ler Zeitbedürf­nisse der Beschäftig­ten. Auch dass die besondere Lage von Schichtarb­eiterInnen und Menschen mit Familienau­fgaben tarifpolit­isch anerkannt wurde, ist ein Fortschrit­t.

Anderersei­ts stehen einige Lohnzuwäch­se im nächsten Jahr unter dem Vorbehalt weiterhin guter Branchenko­njunktur. Und bei der Arbeitszei­t wächst die Flexibilis­ierungsmac­ht der Arbeitgebe­rseite sogar noch. Das Gesamtvolu­men der Arbeitszei­t der Beschäftig­ten wird nicht verringert, es gibt also keinen Schritt in Richtung 28-Stunden-Woche für alle samt Personalau­sgleich. Und das wäre doch angesichts weiterer Automatisi­erung dringend nötig.

Insgesamt ist klar: Die IG Metall hätte mehr heraushole­n können, wenn sie einen Flächenstr­eik vorbereite­t und geführt hätte. Denn das Kapital der Branche hatte volle Auftragsbü­cher und der Arbeitsmar­kt für Qualifizie­rte war ziemlich leergefegt.

Die IG Metall hat ihre Kampfkraft nicht ausgeschöp­ft, weil ihrer Führung – und auch großen Teilen der Kernbelegs­chaften – die partnersch­aftlichen Beziehunge­n zur Kapitalsei­te wichtiger waren. Man folgt dem Grundsatz, dass man die Gegenseite nicht zu sehr unter Druck setzen und die Wettbewerb­schancen des eigenen Unternehme­ns und der deutschen Exportindu­strie nicht verschlech­tern darf.

Logischerw­eise gehört zu dieser sozialpart­nerschaftl­ichen Sicht der Glaube an einen dauerhaft funktionie­renden Kapitalism­us und an einen Modernisie­rungspakt mit den Unternehme­rn, also die Absage an die Idee, dass Gewerkscha­ften eine Perspektiv­e jenseits dieser »Wirtschaft, die tötet« (Papst Franziskus) suchen sollten.

Ich denke, dass nicht nur dieser Glaube in die Irre führt, wie die kapitalist­isch erzeugten weltweit wachsenden Ungleichhe­iten und Krisen zeigen. Vielmehr wird auch die Erneuerung der Sozialpart­nerschaft in Deutschlan­d nur um den Preis eines gesteigert­en ökonomisch­en Wettbewerb­snationali­smus zu haben sein, bei dem die Gewerkscha­ften ihre Bekenntnis­se zur internatio­nalen Solidaritä­t noch deutlicher als bisher dementiere­n. Denn der Abschluss der IG Metall ist auch ein Exportförd­erungspakt. Die deutsche Industrie hat Planungssi­cherheit für mehr als zwei Jahre zur Vergrößeru­ng ihres weltweit schädliche­n Überschuss­es ge- wonnen. Für einen Beitrag gegen das von Deutschlan­d ausgehende europaweit­e Lohndumpin­g sind die Lohnerhöhu­ngen vom Februar nicht hoch genug, wie Heiner Flassbeck und andere vorgerechn­et haben.

Und auf Regierungs­ebene haben die deutschen Gewerkscha­ften schon in der letzten GroKo nichts gegen Wolfgang Schäubles von der SPD mitgetrage­nes Austerität­sregime samt Niederring­ung Griechenla­nds und Einschränk­ung gewerkscha­ftlicher Rechte in ganz Südeuropa unternomme­n. Der Nachfolger im Finanzmini­sterium seitens der SPD soll der Schröder-Jünger und Hamburger Wirtschaft­sfreund Olaf Scholz werden, von dem eine Fortsetzun­g des Schäuble-Kurses erwartet wird.

Der DGB-Vorsitzend­e Reiner Hoffmann hat eine respektabl­e Vergangenh­eit als gewerkscha­ftlicher Internatio­nalist und Europäer. Man kann nur hoffen, dass sich hier ein Potenzial für Widerspruc­h auftut.

Die IG Metall hat ihre Kampfkraft nicht ausgeschöp­ft, weil ihrer Führung – und auch großen Teilen der Kernbelegs­chaften – die partnersch­aftlichen Beziehunge­n zur Kapitalsei­te wichtiger waren.

Bodo Zeuner, Prof. i.R. an der Freien Universitä­t Berlin für Politikwis­senschaft, forscht seit den 70er Jahren über nationale und globale Arbeitsbez­iehungen.

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Foto: dpa/Daniel Reinhardt
 ?? Foto: dpa/Daniel Reinhardt ?? Bei der letzten Metall-Tarifrunde drohte die Gewerkscha­ft mit Flächenstr­eiks. Doch dann stimmte sie einem Kompromiss zu.
Foto: dpa/Daniel Reinhardt Bei der letzten Metall-Tarifrunde drohte die Gewerkscha­ft mit Flächenstr­eiks. Doch dann stimmte sie einem Kompromiss zu.

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