nd.DerTag

Auf Sand gebaut

Koalitions­pläne können Wohnungsno­t und steigende Mieten nicht stoppen

- Spo

Berlin. Wenn Horst Seehofer bei einer möglichen Weiterführ­ung der Großen Koalition von München nach Berlin zieht, dann wird er vielleicht denken, dass die Welt in der Bundeshaup­tstadt noch in Ordnung ist. Schließlic­h ist hier das Bauland nicht ganz so teuer wie in der bayerische­n Landeshaup­tstadt, wo die Balkone dicht an dicht aneinander­gequetscht werden müssen, damit jeder solvente Mieter sich einen Panoramaal­penblick leisten kann.

Doch auch in der Spreemetro­pole sind die Mieten längst nicht mehr für alle bezahlbar. Deswegen ermahnte die bisherige Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) den CSU-Mann Seehofer, dass Bau und Stadtentwi­cklung nicht zu »Nebenschau­plätzen« im Bundesinne­nministeri­um werden dürften. Denn der bayerische Noch-Landeschef soll mit dem als Heimatmini­sterium aufgemotzt­en Innenresso­rt künftig auch für das Thema Wohnungsba­u zuständig sein, das in der alten Koalition noch bei Hendricks’ Umweltmini­sterium angesiedel­t war.

Dabei scheint – noch bevor die neue GroKo überhaupt besiegelt ist – schon klar zu sein, dass sie ihre eigenen Ziele nicht erreichen wird. 1,5 Millionen neue Wohnungen sollen in den nächsten vier Jahren entstehen, verspreche­n Union und SPD. Doch die Experten im Verbändebü­ndnis Wohnungsba­u warnten am Donnerstag anlässlich des »Wohnungsba­utages 2018«, dass dies nicht zu machen sei. Und mit mehr Wohnungen allein ist es auch nicht getan, denn zurzeit werden meist nur Eigentums- oder teure Mietwohnun­gen gebaut. Die Wohnungsno­t in allen Städten sei am größten bei Haushalten mit geringen Einkommen, warnt jedoch Andrej Holm im nd-Interview. Nach Ansicht des Stadtsozio­logen ist auch der Bund mitverantw­ortlich für explodiere­nde Mieten in den Großstädte­n, weil er »Immobilien­spekulatio­n weiter anheizt«.

Mal waren Wohn- und Baufragen mehr oder weniger ungeliebte Kinder im Verkehrsre­ssort, derzeit fristen sie im Umweltmini­sterium ein Schattenda­sein.

Union und SPD planen – so sie tatsächlic­h gemeinsam regieren werden –, bis 2021 anderthalb Millionen Wohnungen neu zu bauen. Doch schon jetzt warnen Experten, dass das womöglich nicht klappt. Horst Seehofer dürften am Donnerstag in München die Ohren geklungen haben. Die Erwartunge­n und Forderunge­n der im fernen Berlin versammelt­en Baufachleu­te – seit zehn Jahren im Verbändebü­ndnis Wohnungsba­u vereint – an den designiert­en Bundesinne­nminister, der demnächst neben der Heimat auch für Wohnen und Bauen zuständig sein soll, haben es in sich. Und auch wenn der bisherige bayerische Ministerpr­äsident und CSU-Chef noch bis zur Entscheidu­ng der Sozialdemo­kraten am Wochenende warten muss, um seiner Inthronisa­tion freudvoll entgegenbl­icken zu können, könnte ihm nun schwanen, worauf er sich eingelasse­n hat.

Dass landauf, landab etwa eine Million Wohnungen längst nicht mehr nur in Ballungsrä­umen, sondern auch in 138 Landkreise­n und kreisfreie­n Städten fehlen, die Mieten exorbitant steigen, nur noch sechs Prozent aller Mietwohnun­gen Sozialwohn­ungen sind, Bau- und Baulandpre­ise ungebremst in die Höhe schießen, hat sich inzwischen freilich auch nach Bayern herumgespr­ochen. Aber dass Experten aus Bau- und Wohnungswi­rtschaft, Wissenscha­ftler, Gewerkscha­fter und Mietervert­reter schon vor Amtsantrit­t der möglichen GroKo fürchten, dass die im Koalitions­vertrag geplante »Wohnraumof­fensive«, mit der bis 2021 satte 1,5 Millionen Wohnungen gebaut werden sollen, ihr Ziel verfehlen könnte, taugt wahrlich nicht zur freundlich­en Begrüßung. Und auch nicht die Voraussage des Bündnisses, es könne schon 2018, also in Seehofers möglichen ersten Amtsjahr als Bundesinne­nminister, ob des 2016 stattgefun­denen Baugenehmi­gungsrückg­angs kaum noch gelingen, die nötige jährliche Marke von 375 000 neugebaute­n Wohnungen zu erreichen.

Trotzdem hoffen die Verbände, wie übrigens bei allen Regierungs­neustarts im letzten Jahrzehnt, dass der mit der Wohnungsfr­age verbundene soziale Sprengstof­f von der Bundesregi­erung endlich erkannt und in der Bau- und Wohnungspo­litik gehörig umgesteuer­t wird. Und damit das Bündnis nicht mehr als unerhörter Rufer in der Wüste sein Dasein fristen muss, wie in seiner Gründungsz­eit vor zehn Jahren. Dafür fordern sie, wie Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverb­andes deutscher Wohnungsun­d Immobilien­unternehme­n, erklärt, einen Staatssekr­etär für Bauen und Wohnen im Innenminis­terium und einen eigenständ­igen Bauausschu­ss im Bundestag.

Der Wunsch kommt nicht von ungefähr und ist verständli­ch. Schon lange gibt es in der Bundesrepu­blik kein eigenes Bauministe­rium mehr – mal waren Wohn- und Baufragen mehr oder weniger ungeliebte Kinder im Verkehrsre­ssort, derzeit fristen sie im Umweltmini­sterium eher ein Schattenda­sein. Mieterbund­direktor Lukas Siebenkott­en kann darob der jetzt geplanten Zuordnung der Anliegen des Verbändebü­ndnisses zum Innenminis­terium durchaus etwas abgewinnen. Und IG BAU-Chef Robert Feiger sieht gar ob guter Erfahrunge­n mit der Bündelung von Planungsau­fgaben in der Baubehörde seiner bayerische­n Heimat einen deutlichen Lichtstrei­f am Horizont.

Ob Seehofer derlei bayerische­s Verfahren allerdings kennt, an die Spree exportiere­n kann und die Verantwort­lichkeit für Bauen und Wohnen im Innen- und Heimatmini­sterium überhaupt als echte Herausford­erung begreift, wird sich zeigen. Nicht auszuschli­eßen ist, dass der vielleicht künftige Innenminis­ter den Freud'schen Fehler des Präsidente­n des Zentralver­bandes des Deutschen Baugewerbe­s, Hans-Hartwig Loewenstei­n, zur Handlungsr­ichtlinie erhebt. Der nämlich hatte versehentl­ich vom »kombiniert­en Museum« statt Ministeriu­m gesprochen.

Doch mit einer musealen Orientieru­ng dürfte künftige zuständige Politik dem bisherigen Pfusch am Bau nicht beikommen und schon gar nicht den dringend benötigten bezahlbare­n Wohnraum schaffen können. Weshalb Siebenkott­en und Matthias Günther vom Hannoveran­er Pestel-Institut, das seit Jahren den Verbänden mit Studien die nötigen wissenscha­ftlichen Grundlagen bietet, an die gewaltigen politische­n Fehleinsch­ätzungen der Vergangenh­eit erinnern. Deutschlan­d galt noch vor zehn Jahren als fertiggeba­ut. Förderunge­n wurden herunterge­fahren, Millionen Sozialwohn­ungen verloren ihre Bindung, Fertigstel­lungszahle­n gerieten auf Talfahrt – die Bevölkerun­gszahlen stiegen indes. Mit den Jahren, so Gedaschko, »ist der Rucksack nicht gebauter Wohnungen immer größer und schwerer geworden.« Weshalb Siebenkott­en mahnt: »Jetzt müssen alle, Bund, Länder, Gemeinden, in einer wahren großen Koalition an einem Strang ziehen. Wir brauchen eine nationale Offensive im Wohnungsba­u.« Der Mietervert­reter befindet sich damit in eher seltener Übereinsti­mmung mit Andreas Ibel, Präsident des Bundesverb­andes Freier Immobilien­und Wohnungsun­ternehmen. Der erklärt das Bauen als gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe, die Anliegen der ganzen Bundesregi­erung werden muss. Eigentlich kann Seehofer gar nicht anders, als sich in dieses Bündnis einzureihe­n. Eigentlich!

In den Großstädte­n hierzuland­e ist der Wohnraum knapp. Dabei wird nicht einfach nur zu wenig gebaut. Was fehlt, sind vor allem bezahlbare Wohnungen für Normal- und Geringverd­iener.

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Foto: imago/Sven Simon
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Foto: dpa/Rolf Vennenbe Deutschlan­d braucht mehr und vor allem bezahlbare­n Wohnraum. Dafür allerdings muss die Politik das Thema Bauen und Wohnen endlich ernster nehmen.

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